Weite Teile Zentralasiens gehörten im Mittelalter zum Herrschaftsgebiet von Sultan Tamerlan. In kurzen Reportagen wandelt Peter Böhm in seinem Buch „Tamerlans Erben. Zentralasiatische Annäherungen” auf den Spuren dieses Riesenreiches und berichtet vom schwierigen Alltagsleben im heutigen Zentralasien.

Peter Böhm nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die fünf zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Doch es kommt dem Autor nicht in den Sinn, das Ziel seiner Reise in möglichst angenehmem Licht erscheinen zu lassen. Zwar klappert er die bekanntesten Orte und Sehenswürdigkeiten der Region ab, stellt dabei aber geflissentlich die Aspekte heraus, die er für kritikwürdig hält. Der Autor schimpft über den architektonischen Gigantismus in Astana und Samarkand, verurteilt das vergangene Austrocknen des Aralsees und das gegenwärtige Austrocknen des Balchaschsees, geißelt den zentralasiatischen Brauch des Brautraubs und das Niederschlachten von Demonstranten und Aufständischen im usbekischen Andischan.

Die vorgebrachte Kritik ist meist berechtigt. Dennoch ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Autor in jeder erdenklichen Wunde puhlt, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, positive Merkmale Zentralasiens zu benennen. Ohne Zweifel sind das grassierende Aids-Virus oder der vor sich hin strahlende Atommüll brisante Themen, die zu einer ehrlichen Betrachtung der Region dazugehören. Aber Zentralasien, das ist eben auch die Herzlichkeit und der Traditionsreichtum seiner Menschen oder die Schönheit seiner Natur. Dergleichen wird von Peter Böhm ignoriert. Und so ist der Tenor der Reportagensammlung eindeutig: Fahren Sie bloß nicht nach Zentralasien, dieses Buch zeigt Ihnen, warum.

Peter Böhm arbeitete drei Jahre lang als Afrika-Korrespondent in Nairobi und berichtete später für Tageszeitungen und Rundfunksender aus Usbekistan. Jeder der postsowjetischen Republiken Zentralasiens widmet er drei bis vier kurze Reportagen. Im Mittelpunkt steht häufig die Lebensgeschichte einer Einzelperson: Etwa Boris Tarassow, ein pensionierter Bauarbeiter aus der kasachischen Provinzstadt Balchasch, oder Berdiarow, der früher in einer Konservenfabrik arbeitete – früher, als der Aralsee noch bis nach Kasachdarja reichte und nicht wie heute bereits 130 Kilometer nördlich der Stadt im Sand verendet.

„Zentralasiatische Annäherungen” nannte Peter Böhm sein Buch. Tatsächlich aber gelingt es ihm nicht, sich den Menschen im Zentrum Asiens zu nähern. In erster Linie begegnet er ihnen mit Verständnislosigkeit. Insbesondere vor der politischen Lethargie der Turkmenen kapituliert der Autor. Ohne sich um eine Erklärung zu bemühen, konstatiert er, er habe außer der russischen Minderheit niemanden in Turkmenistan gefunden, der sich über das totalitäre Regime des allmächtigen Staatschefs „Turkmenbaschi” beschwert hätte. „Selig sind die, die im Gefängnis sitzen und die Gitter nicht sehen. Amen”, so das Fazit Böhms. Etwas mehr Interesse und Einfühlungsvermögen für das Leben in Zentralasien hätten dem Buch gut getan.

„Tamerlans Erben. Zentralasiatische Annäherungen” von Peter Böhm, Picus Verlag 2005.

Von Hartmut Wagner

20/01/06

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