Die Küchen des europäischen Kontinents erfreuen sich in Kasachstan höchster Beliebtheit. Manch einem Unternehmer gelingt es dabei gar, den Geschmack des Vorbilds noch zu übertreffen.

Der Name „Ficelle“, der vom französischen Wort für „Faden“ kommt, ist die Bezeichnung für ein langes Weißbrot, etwas dünner als ein Baguette. „Ficelle“ ist auch der Name eines Cafés in Almaty, durch das sich ein paneuropäischer roter Faden zieht: Geschirr aus der Schweiz, Rezepte, einige Zutaten und Formen für Süßspeisen und Marmeladen aus Frankreich, Brotrezepte hauptsächlich aus Österreich, aber auch Finnland, Deutschland und Frankreich, Kaffee, Tee und Kleingebäck aus Italien. Für Mittag- und Abendessen wird das Ganze ergänzt durch mediterrane Gerichte, Bier aus Deutschland und Tschechien und ein Sortiment aus internationalen Weinen. Zu den wichtigsten Kunden gehört die polnische Botschaft.

Besseres Brot als in Europa

Die Innenausstattung des „Ficelle“ ist westlich angehaucht, das Café könnte in dieser Form genauso in einem In-Viertel in München stehen: Ein von A bis Z durchgestylter Raum, spärliche Dekoration, schlichte Lederbänke – alles ist aufeinander abgestimmt. Sogar der Serviettenhalter ist Designerware. Die Wände sind weizengelb und purpurrot gestrichen. „Die Farben repräsentieren gelbes und rotes Getreide“, erklärt Chefin Alexandra Wjalzewa. Letzteres ist Hauptbestandteil für ein rötliches Brot. Das Patent für die Zutaten hat eine österreichische Firma, und deshalb sind auch Deutsche vom Geschmack überrascht.

Gearbeitet wird im „Ficelle“ nur mit natürlichen Zutaten, viele davon werden importiert, um einen gleichbleibenden Geschmack zu garantieren. Auf Farbstoffe und Geschmacksverstärker, wie man sie in Supermarktbrot findet, wird verzichtet. Dabei hat der Kunde bei den rund 40 verschiedenen Brotsorten tatsächlich ein Geschmackserlebnis, wie es auch in Europa nur selten zu finden ist.

Ihr Handwerk haben die Angestellten allerdings bei Europäern gelernt: Vor drei Jahren beschloss der Geschäftsmann Juri Kim, dessen Firma gerade in die Wohnanlage Keremet gezogen war, dort ein neues Business zu eröffnen. Dabei war ihm noch nicht klar, worin dieses bestehen sollte. Mit Alexandra WjalzeWa, die bereits von Kindheit an den Traum hatte ein Café zu eröffnen und ebenfalls kräftige Unterstützung von ihrem Sohn bekommt, fand er eine motivierte Partnerin. Sie besuchten mehrere Messen und ließen schließlich Bäckermeister aus Österreich nach Kasachstan kommen, um dort Fachkräfte auszubilden. Mittlerweile hat das Café seine Stammkundschaft, und es wird sogar ein Ausbau um Terasse und Wintergarten geplant.

Es gehören nicht nur Ausländer zur Kundschaft. Wegen der etwas ungünstigen Lage im Innern einer Wohnanlage kommen vor allem Einheimische, die im Keremet arbeiten oder wohnen. Sie freuen sich nicht nur über die wenigen regionalen Spezialitäten, sondern auch die neuen exotischen Geschmäcker. Anfangs mussten sie wohl durch Gratisproben an die ungewohnten Gerichte gewöhnt werden, erklärt die Direktorin, nun hätten sie jedoch Vertrauen gefasst und würden sich mutig ins Unbekannte stürzen und sich sogar mal an Brot in anderer Form wagen: Dreieckiges Brot sei wohl doch nicht gefährlicher als das kasachische Kastenbrot.

Ungewohnte Tischmanieren

Trotzdem gibt es immer wieder Unklarheiten: „Einmal hatten wir Garnelen mit zerlassener Butter und Baguette auf der Speisekarte“, erzählt Alexandra Wjalzewa. „Den Leuten war es erst unangenehm, mit den Händen zu essen, wie es sich bei diesem Gericht gehört. Nachdem wir ihnen jedoch erklärt hatten, dass man das hier darf, fingen sie an sich zu entspannen.“
Außerdem sind laut der Direktorin die französischen Süßspeisen, die man im „Ficelle“ bekommt, leichter als kasachische: Bei den meisten werde ganz auf Mehl verzichtet. Vor allem kasachischen Männern sei das manchmal sogar zu leicht, aber sie haben eine gute Möglichkeit zum Ausgleich gefunden: Sie essen Brot dazu.

Zuletzt klagt Alexandra Wjalzewa noch über einen weiteren Unterschied zwischen den Gästen: Einheimische ließen sich leider weniger Zeit als Europäer. Da die Gerichte alle frisch zubereitet werden, würden viele bei der Wartezeit nervös werden. In diesem Falle würde die westeuropäische Tradition des Aperitif trinkens der Geduld zu gute kommen- eine Tugend, die nicht nur bei den traditionell überpünktlichen Deutschen, sondern auch bei den hungrigen Kasachen erst noch gelernt werden muss.

Das Café „Ficelle“ befindet sich am Rand der Wohnanlage Keremet zwischen der Satpajew- und der Timirjasew-Straße, von unten kommend auf der linken Seite des Sejfullin-Prospekts.)

Mit freundlicher Unterstützung von Nurgul Zhazykbayeva

Von Emilie Caissier

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