Schaut man sich die Schlagzeilen der wichtigsten Zeitungen der letzten Woche an, fällt die Dominanz der mehr oder weniger kleinen Themen auf: Da wird ein Vorschlag zur Umbenennung Astanas in Nursultan doch wirklich ernsthaft diskutiert, da werden einzelne Regierungsschritte zu unterschiedlichen Fragen vorgestellt, es wird die aktuelle Inflationsentwicklung erörtert und über die Chancen einzelner Mannschaften auf den Gewinn der Europameisterschaften im Fußball spekuliert. Wirklich große Themen fehlen, fast bin ich geneigt zu sagen: „Wie fast immer“.

Dabei gibt es diese Themen, beziehungsweise gibt es Fragen, die in der letzten Woche doch ziemlich umfassend große Teile der Weltpresse beschäftigt haben. Vor allem meine ich die Konferenz in Bonn zum Erhalt der biologischen Vielfalt („Biodiversität“), was mit anderen Worten die weltweit bedeutendste Naturschutzkonferenz in diesem Jahr ist. Etwa 6.000 Vertreter aus 190 Ländern und etwa 250 Umwelt-, Naturschutz- und Entwicklungshilfeorganisationen beraten, wie der mehr als dramatische Schwund an biologischen Arten und der natürlichen Lebensräume wenigstens gebremst werden kann. Kasachstan war auf dieser Konferenz mit einer durchaus repräsentativen Delegation vertreten. Doch wie so oft, erfährt die Öffentlichkeit kaum etwas über solche Probleme, geschweige denn, man nähme eine solche Veranstaltung zum Anlass, um die Öffentlichkeit entsprechend zu mobilisieren. Ich interpretiere dieses Vorgehen als die immer noch dominierende Einstellung, dass der Staat mit ein paar Dekreten alle Probleme lösen könnte und den einfachen Leuten sowieso nicht zugetraut wird, etwas Nennenswertes zur Lösung von Umweltproblemen beizutragen.

Dabei ist mittlerweile das Problem des Erhalts der Artenvielfalt auch für Kasachstan an Dramatik kaum zu überbieten. Bekanntestes Beispiel ist die Saiga-Antilope, deren Bestände in den letzten nur 20 Jahren so dezimiert wurden, dass sie jetzt als bedrohte Art gilt. Weltweit radieren wir Menschen täglich (!) mindestens 50 Arten von Lebewesen unwiderruflich aus, oftmals ohne je deren Wert für uns erfahren zu haben. 70 Prozent (!) aller untersuchten Pflanzenarten sind vom Aussterben, deutlicher gesagt durch die Vernichtung von uns Menschen, in ihrer Existenz bedroht. Auch in Deutschland ist das ein Problem. Dort sind 36 Prozent aller Tierarten gefährdet. Tag für Tag verschwinden 113 Hektar Land unter Beton und Asphalt. Wenn zwischen dem Schutz von Feldhamstern und dem Bau einer neuen Autobahn entschieden werden muss, hat in der Vergangenheit immer die Straße gesiegt und tut das heute meist auch noch.

Doch es gibt zu Kasachstan den wesentlichen Unterschied, dass in Europa infolge umfassender und kritischer Berichterstattungen ein spürbares Umdenken einzusetzen scheint. So besagen Umfragen, dass immerhin schon jeder fünfte deutsche Haushalt bereit ist, etwa 100 Euro pro Jahr für den Schutz der Artenvielfalt „zu investieren“. Dafür sind schon Instrumente auf dem Markt, andere werden im Moment entwickelt und diskutiert. So kann man sich bereits seit einiger Zeit über den Kauf spezieller Zertifikate kohlendioxidneutral durch die Welt bewegen. Man fliegt nach wie vor mit dem Flugzeug von Frankfurt nach Almaty und produziert dabei unvermeidlich auch Kohlendioxid. Ein Aufschlag auf den Ticketpreis, der eigentlich kaum ins Gewicht fällt – Steuern und andere Abgaben sind da gewichtiger – geht in spezielle Umweltschutzprojekte, zum Beispiel in den Erhalt oder die Ausweitung von Wäldern, die das während des Fluges erzeugte Kohlendioxid schrittweise wieder absorbieren. Sicher ist in Kasachstan die Einkommenslage anders als in Deutschland, wo bisher auch nur eine ziemlich geringe Schicht von umwelt- und damit sozialverantwortlichen Bürgern solche Dinge praktiziert. Für Kasachstan beklage ich im Moment deshalb auch vor allem das Informations- und Diskussionsdefizit in dieser Frage. Dessen Fehlen aber lässt viele Leute denken, dass es, außer der nicht ganz so guten Almatyer Luft, nicht so dramatisch sein kann mit dem Umweltzustand. Dafür gibt es ja den Staat, und der ist eh schlauer als wir Bürger. Das aber ist ein Trugschluss, auch in Kasachstan ist und kann der Staat nicht grundsätzlich schlauer sein als seine Bürger.

Da kurz- und mittelfristig Appelle kaum etwas am Artenverlust verändern werden, wird es ohne harte ökonomische Maßnahmen kaum gehen. Zum einen brauchten alle Naturgüter einen Preis, nur die Frage des Geldes wird offenbar einigermaßen verstanden. Toter Wald muss also wesentlich teurer sein, als lebendiger Wald. Und: Energie muss wahrscheinlich auch viel teurer werden – hohe Energiepreise verringern die Nachfrage nach ihnen und verringern so den Schadstoffausstoß. Der Mensch ist Teil der Natur, die Natur kann ohne uns existieren, wir aber nicht ohne sie. Ob das aber irgendwann mal wirklich in unsere Köpfe geht?

Bodo Lochmann

13/06/08

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