Es war mir bisher recht unverständlich, wieso man sich im Internet via Chat mit wildfremden Leuten unterhalten sollte, während man sich in derselben Zeit doch prima mit seinen Freunden treffen oder zumindest mit ihnen telefonieren könnte. Nun kann ich es verstehen.

Nach über einem halben Jahr Rumkränkelei, Leidens und Jammerns sind meine Freunde reichlich überstrapaziert. Sie haben alle Register gezogen und nichts unversucht gelassen. Sie haben mir mit endloser Geduld zugehört, mich aufgemuntert, Händchen gehalten, Ratschläge erteilt, für mich eingekauft und gekocht … bis uns schließlich dann doch die Geduld miteinander ausgegangen ist. Und die ganz Ungeduldigen wollen jetzt partout hören, dass es mir wieder gut geht. Geht es aber nicht. Das Jammern und Leiden geht weiter. Ja, es ist schon viel besser geworden, gewiss, aber ich bin nach wie vor beleidigt, dass mir ständig viel weh tut und ich vieles nicht mehr machen kann, das ich aber machen will und mir meine Orthopädin nun 50! weitere Einheiten Reha-Maßnahmen verschrieben hat, die ich aber nur in einer Einrichtung machen darf, die einem Behindertenverband! angehört. Hinzu kommen hypochondrische Anfälle, wenn sich neue Formen von Beschwerden auftun. Für so etwas finde ich in meinem Freundeskreis kein offenes Ohr mehr, dafür aber reichlich Trost in Internetforen, in die ich auf der Suche nach Antworten gestolpert bin. Das Suchen mit gefährlichem Halbwissen führt meist direkt oder über Umwege zu solchen Krankheiten wie Multiple Sklerose, Krebs oder Gehirntumor. Wirft man aber die Erscheinungen detailgenau ins Netz – „mich zwickt es jeden Tag um 11.11 Uhr im linken Ohrläppchen“ – landet man in den Foren, wo sich Leidensgenossen treffen, die das ganz genauso erlebt und schon alle möglichen Krankheiten bei allen möglichen Fachärzten in zahlreichen Untersuchungen geprüft haben. Die sich von den Ärzten missverstanden und nicht mehr ernst genommen fühlen und sich auch mit sonst niemandem mehr darüber austauschen können. Da gerät man in ein reges munteres Geplauder und Geplapper von Susies und Strolchies und Lissies und Chrissies, die sich total gut verstehen, ganz doll lieb haben, sich küssen, herzen und umarmen. Es flackert und flimmert kunterbunt, weil nach jedem vierten Satzzeichen ein Emoticon gesetzt ist. Dazwischen findet sich auch mal der erfrischend nüchterne Ratschlag eines Mannes, der einfach heißt, wie er heißt: Manfred oder Thomas. Bisher habe ich mich noch nicht in die Gespräche eingeklinkt, was auch nicht nötig ist, da meine Fragen ja schon andere Leute gestellt haben. So kann ich mir wenigstens die vielen Untersuchungen sparen, die andere schon hinter sich gebracht haben, mit der Gewissheit: Nützt ja doch nichts. Ich muss mir aber auch keine Sorgen machen, weil unnötig, weil alles viel harmloser, wie andere schon wissen. Und vor allem: Ich fühle mich verstanden, und das, ohne mich mitgeteilt zu haben. Danke, Susy, das hat mir jetzt echt total geholfen, dir auch alles alles Liebe! Kuss.

Julia Siebert

12/06/09

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