Herrlich so eine WM-Zeit. Ein richtiger Kopfurlaub. Alles dreht sich nur noch darum, wer gegen wen spielt und wer wie hoch gewinnen soll. Man darf ungehemmt laut sein, dumme Sprüche klopfen, jubeln und viel Bier trinken. Sich über fehlende Fairness auslassen, an den Kopp packen, bei Toren aufspringen und spontan fremde Menschen umarmen. Fast wie im Karneval.

Schön ist auch zu sehen, dass sich niemand aus der WM-Affäre ziehen kann. Wer im Vorfeld angab, Fußball als Sport und die WM als Ereignis interessiere nicht, der muss sich jetzt in flagranti beim Miteifern erwischen lassen. Denn es ist schön. Es macht Spaß. Das müssen auch die Antis zugeben, die per se am liebsten einen kühlen Kopf bewahren, sich aus Prinzip nicht von Massenereignissen mitreißen lassen, die alle Werbung und Manipulation aus Grundsatz durchschauen, aus Charaktergründen auf gar keinen Fall Karneval feiern und aus politischen Gründen natürlich nicht zu Deutschland halten. Und da die Antis auf jeden Fall immer mitreden, auch wenn sie bei den meisten Ereignissen gar nicht mitmachen, mischen sie sich auch in die WM ein. Aber das sei ihnen gegönnt, Hauptsache, sie sind dabei, denn Dabeisein ist alles.

Wie sehr mich selbst das Fußballfieber gepackt hat, ist mir auch erst im Verlauf der WM klar geworden. Ja klar, Fußball gucken find ich immer gut. Die bisherigen WMs und EMs habe ich auch nie geschwänzt, und wenn es ums Feiern geht, bin ich eh immer mit von der Partie. Zwar habe ich keinen Plan und Überblick, wer wann wo gegen wen spielt und schlawenzel den ganzen Tag entspannt in der Gegend herum, bis mich dann jemand fragt, ob ich mir gleich das Spiel anschaue. Dann werde ich äußerst unruhig, und es zieht mich flucht- und suchtartig vor den Fernseher.

Bei einem Spiel habe ich nicht sogleich den richtigen Sender gefunden und bin in einem Beitrag über Hochzeitskleider gelandet. Und dachte noch, wie doof sind die Redakteure, dass sie Fußballfans kurz vor Spiel mit Details über Stoffsorten, Stofffarben, Schnittmuster, Schleppen und Schleier belästigen. Ja, wie soll man denn da in Fußballstimmung kommen?! Eben! Junge Junge, so nervös und aggressiv war ich schon lange nicht mehr, nanu!

Und es ist gar nicht so leicht, die richtigen Kompagnons für ein Fußballspiel zu finden. Ein Spiel sah ich im Kreise vieler Kinder der Nachbarn meiner Cousine. Da standen eindeutig die Knabbereien im Vordergrund, und die Kinder immer mitten im Bild. Zudem muss man bei Kindern ständig aufpassen, was man sagt, um ihnen nicht unflätige Worte beizubringen. Eindeutig das falsche Zielpublikum. Ein anderes Spiel sah ich mit einem Anti, wie oben schon beschrieben. Auch nicht so erquicklich, da Antis ja aus Prinzip nie primitiv werden, sondern in allen Lebenslagen ernste gesellschaftspolitische Kommentare loslassen. Da blieb ich auf meinen Stammtischparolen sitzen, da diese mit Sicherheit anstrengende Diskussionen ausgelöst hätten.

Ein weiteres Spiel sah ich zusammen mit Kirchenchorsängern. Wirklich nette Leute, aber sie wussten das Ereignis nicht zu schätzen, setzten sich mitten in den spannendsten Szenen mit einem Kaffee ab und ließen mich mit meinem Humpen Bier stehen. Zwar nicht störend, aber am Ende kein gemeinsames Erleben. Besser war die Stimmung im Kreise von Schauspielern, die nicht und so auch nicht im Fußball an Theatralik missen lassen, es aber nicht gewohnt sind, die Seite des Publikums einzunehmen und bis auf die Torsituationen still auf ihrem Platz sitzen zu bleiben. So blieb mir auch hier ob der zappelnden Darsteller der Blick versperrt. Die letzten Spiele habe ich allein daheim gesehen und muss sagen, endlich konnte ich die WM mal in Ruhe verfolgen und ganz unzensiert mein Fußballfieber ausleben. Herrlich!

Julia Siebert

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