Weltfinanzkrise, Rentensystem und Monster, die im Schrank warten Bei den jüngsten Moskauer Gesprächen gab es so viel zu besprechen, dass die Diskussionsrunde gleich zwei Mal in einer Woche stattfand – in München und Moskau.

Einsamkeit, Krankheiten und Armut: In Deutschland fürchten sich viele Menschen vor dem Alter. Doch auch in Russland zweifeln immer mehr Frauen und Männer an einem wirklich ruhigen Lebensabend – besonders, seitdem die russische Regierung im vergangenen Jahr das Eintrittsalter für die Rente angehoben hat. Die Ängste der älteren Arbeitnehmer beider Länder standen am 28. Mai im Zentrum der Moskauer Gespräche, die im Rahmen des Kultur- und Geschäftsforums „Made by Deutschen aus Russland“ in München stattfanden.

Das deutsche Rentensystem stoße langsam, aber sicher an seine Grenzen, erläuterte Horst Wiesent, Leiter des Pflegeunternehmens SeniVita, auf der Veranstaltung. Immer öfter reiche die Rente nur gerade so, um Grundbedürfnisse im Alter zu stillen. Auch die russlanddeutschen Spätaussiedler seien von diesem Problem betroffen, schilderte Anne Hofinga, Leiterin des Sozialforums des Petersburger Dialogs. Viele stellten sich auf Engpässe im Alter ein. Grund sei das sogenannte Fremdrentengesetz, das Russlanddeutsche, selbst wenn sie seit langem in Deutschland arbeiten und sozial integriert sind, mit einer geminderten Rente benachteilige. Allerdings würden in Deutschland viele Bedürftige durch funktionierende soziale Einrichtungen aufgefangen.

Von einer solchen Praxis sei Russland noch weit entfernt, beklagte Michail Firsow, Professor am Moskauer Institut zur Fortbildung von Arbeitern im Sozialbereich und der Pflegebranche. Oft würden staatliche Gelder vor allem in die Außenpolitik gesteckt – und nicht in den Aufbau eines funktionierenden Sozialstaates. Statt auf den Staat verließen sich die Russen wie schon zu Sowjetzeiten vor allem auf die eigene Familie und ihre Datscha, um über die Runden zu kommen, verdeutlichte Firsow.

Am vorletzten Maitag fand dann bereits der nächste Durchgang der Moskauer Gespräche statt. Diesmal wieder wie gewohnt in der russischen Hauptstadt. Thema der Gesprächsrunde im Deutsch-Russischen Haus war der elfte Jahrestag der Weltfinanzkrise von 2008, welche das globale Bankensystem in seinen Grundfesten erschütterte und im Zusammenbruch des amerikanischen Finanzhauses Lehman Brothers gipfelte.

„Wo stehen wir heute?“, fragte Moderatorin Eva Schmidt im Hinblick auf Lehrstunden aus der Krise. „Und droht uns bald die nächste?“ Die überraschend einmütige Antwort der vier Diskussionsteilnehmer: Ja, der nächste Finanzcrash kommt mit Sicherheit! „Es ist wie zu Beginn eines Horrorfilms“, verdeutlichte Reint E. Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. „Die Familie versammelt sich friedlich am Küchentisch und nur die Zuschauer wissen, dass gleich etwas Schreckliches passiert.“ Volkswirtschaftler Christian R. Proaño von der Universität Magdeburg ergänzte: „Aber was genau für ein Monster kommt, ist noch nicht klar.“ Niemand könne vorhersagen, von welcher Seite das Finanzsystem unter Druck gerate.

Der Grund für den pessimistischen Ausblick der Wirtschaftsexperten: Auch mehr als eine Dekade nach dem Desaster ist die globale Finanzwirtschaft nicht ausreichend stabil aufgestellt. Protektionismus, Deregulierung und Handelskonflikte wie zwischen den USA und China bestimmen zunehmend das Geschehen. Der Einfluss von Kryptowährungen und Schattenbanken nimmt zu. Auch an Moskau gehen diese Entwicklungen nicht vorbei. „Russland muss auf die Krise nicht warten“, verdeutlichte der frühere russische Finanzminister Andrej Netschajew, „sie ist schon seit fünf Jahren da!“ Allerdings könnten die zu erwartenden Probleme auch Chancen bieten, erläuterte Zukunftsforscher Jan Berger. Daten und Informationen hätten mittlerweile ein größeres Gewicht als der Besitz von Banken. „Ich hoffe daher, dass eine Krise die grundsätzliche Frage nach einem Finanzsystem der Zukunft aufwirft.“

Lisa Petzold, Birger Schütz, mdz

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