Standardisiert sind hier nur die Container: Rote und blaue Stahlquader, die einst als Frachtbehälter verschifft wurden, bekommen im Binnenland Kasachstan eine völlig neue Funktion. Welche, zeigen wir in unserer neuen Fotoreportage.

Von außen vertäfelt und groß beschildert, von innen gefüllt mit Nudeln, Zement, Werkzeug oder Gartenzubehör – bunt und vielfältig reihen sich die Container auf dem Basar aneinander, zwängen sich in den Seitenstraßen zwischen Hütten und Verschlägen und warten an stark befahrenen Kreuzungen auf Kundschaft. Die auf 20 oder 40 Fuß genormten Container sind oft erst auf den zweiten Blick als solche wiederzuerkennen. Nur Form und Türen verraten, dass sie vermutlich einst tausende Kilometer über Weltmeere und Landstraßen gereist sind, bevor sie hier an den Straßen und Ecken Almatys strandeten.

Schwärmereien am Straßenrand

In Alexejs Hände kommt nur deutsche Qualität. „Die deutschen Werkzeuge halten doppelt so lange wie die chinesischen“, erklärt der Mittvierziger, während er den Autoreifen seines Kunden umwuchtet. Der Vater eines Sohnes arbeitet zusammen mit seinem Kollegen in zwei hintereinander gereihten Containern, die zu einer Autowerkstatt umfunktioniert wurden. In den dunklen Ecken stehen Geräte; Kabel und Schläuche winden sich durch den Eingang hin zu den wartenden Kunden vor ihren Autos. Alexej bleibt gelassen. Er spricht gebrochen Deutsch, acht Jahre lang hat er in Deutschland gelebt. München, Düsseldorf, Hamburg, Köln – all diese Städte habe er schon besucht. Selbst bis in die Niederlande hätte es ihn damals verschlagen. Für diesen Moment hält Alexej inne und wischt sich den Schweiß von der Stirn.

Leuchtmittel im Containerdickicht

Leuchtmittel im Containerdickicht

Ein gemütliches Sofa, Tee und ein Schachspiel – übliche Requisiten in einem Café. Erst der Blick auf die Details verrät die Container-Realität, die Vitrine wurde kurzerhand zu einem Tisch umfunktioniert, und das Sofa ist flankiert von zwei Regalen. Das Stimmengewirr, das von den Backgammonspielern gegenüber ausgeht, dringt in den verwaisten Container-Kosmos herüber. Muchtar, der Besitzer, ist unter ihnen gerade nur als Zuschauer, denn eigentlich hegt er eine heimliche Liebe fürs Schachspielen. Er deutet auf seinen anderen Container nebenan, der Lampen aller Facetten beherbergt. Hier hat er sich sein zweites geschäftliches Standbein geschaffen. Schon seit mehr als 20 Jahren arbeitet er in seinen zwei Gehäusen aus Stahl, die nach außen kühl und gleichförmig erscheinen, nach innen aber ihre Einzigartigkeit entfalten und Besucher fast vergessen lassen, worum es sich eigentlich handelt – ein Geschäft.

Im verborgenen Discounter

Im verborgenen Discounter

Zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Der 18-jährige Talgat verkauft Nudeln, Öl und schwarzen Tee in einem Container, der seinem Vater gehört. Talgat ist ein netter, sympathischer und sportlicher junger Mann, dessen wirkliches Alter nicht zu seinem Aussehen passt. Er wirkt älter, weil seine Arbeit ihn prägt. So wie er, so sind seine Mitarbeiter sehr neugierig und wollen gern fotografiert werden. Talgats Arbeitsplatz ist versteckt und weit vom Grünen Basar entfernt, aber die Kunden kommen extra zu ihm, weil die Nahrungsmittel dort billiger sind. Hier gibt es viele Container, aber die meisten kaufen trotzdem ihre Produkte bei Talgat. Obwohl der Platz, an dem sich der Container befindet, von außen hässlich und schmutzig ist, hat er viele Kunden. Talgat sitzt in der Koje, und die Kunden kommen zum Schalter bezahlen, hier gibt es auch eine Kasse– fast wie im Supermarkt.

CARGO Kasachstan – Bus, Buch und „Bagasch“

CARGO Kasachstan – Bus, Buch und „Bagasch“

Es ist schon früher Abend, aber die Arbeit geht trotzdem weiter. Abenteuerlich zusammengeschnürte Pakete, graue Stoffbeutel und längliche, undefinierbare Stangen füllen den Platz zwischen Bus und dem Bürocontainer – doch Akschol bahnt sich zielsicher seinen Weg durch die Stolperfallen. Was nach Chaos auf diesem Nebenschauplatz des „Avtowaksal“ in Almaty aussieht, ist auch eines. Doch dann verweist Akschol auf ein schlichtes Buch – darin: minutiös aufgelistete Fahrten, Frachten, Daten, Namen und Adressen, fein säuberlich und ständig akribisch vervollständigt. Bürokratie im Kleinen. Es liegt mittig auf dem Tisch, daneben ein Kugelschreiber – ansonsten gibt sich der Arbeitsplatz recht leer. Ein Container für ein Buch. Eigentlich ist Akschol der Fahrer, allerdings hat er in dem Vier-Mann-Unternehmen alle möglichen Positionen inne: Packer, Träger, Planer oder Kontrolleur – ein Leben zwischen Bus, Buch und Bagasch (Russisch für Gepäck). Schnell muss es vor allem gehen, die Fuhre wird am nächsten Tag in Westkasachstan erwartet. Für Buch und Besitzer geht es aus dem Container hinaus in die Weite der Steppe.

Welt, Markt, Sprache

Welt, Markt, Sprache

Pferd heißt „horse“, verrät das pinke Post-it am Fenster. Die junge Kasachin Assem nutzt die vielen Stunden, während sie am Basar Autozubehör verkauft, um Englisch zu lernen. Inmitten von Batterien, Flaschen und Schmieröl-Kanistern hat sie ihre Bücher auf dem kleinen Verkaufstisch vor sich ausgebreitet. In der kleinen Koje nebenan kleben die grünen und pinkfarbenen Zettel mit den wichtigsten Vokabeln und Sätzen, die sie sich einprägen will. What are you doing? What is the title of the film? Darunter steht die russische Lautschrift, manchmal auch eine kasachische Übersetzung. So hat Assem ihre Vokabeln dort in ihrer Ecke immer im Blickfeld, wenn sie durch das kleine Fenster auf den staubigen Marktplatz nach Kunden Ausschau hält.

Diese Fotoreportage entstand im Rahmen der Zentralasiatischen Medienwerkstatt im August 2013 in Almaty

Von Antje Lehmann, Christoph Richter, Daniela Neubacher und Sarbinas Mambetnasarowa

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