Jüngst schlugen die Wellen hoch in der Deutschen Zentralbücherei im dänischen Apenrade (Aabenraa). Der Chefredakteur der Zeitung der deutschen Minderheit „Nordschleswiger“, Gwyn Nissen, stimmte Leser des Blatts auf dessen Ende und den Übergang zu reiner Online-Berichterstattung ein. Im Interview erläutert er, weshalb er das als riesige Chance begreift und weshalb die Deutschen in Dänemark generell nicht meckern können.

Herr Nissen oder Gwyn – in Dänemark duzen sich ja alle -, wir stehen hier ganz oben im Rundbau des Verlagshauses, in dem unter anderem Du mit Deiner 22-köpfigen Redaktion residierst, und haben einen herrlichen Blick über Apenrade. Wenn ich an unser winziges Prager Redaktionszimmerchen denke, kommen mir die Tränen.

Apenrade hat einen großen Sponsor, den in Deutschland geborenen dänischen Reeder Hans Michael Jebsen, der heute in Hongkong lebt, aber hier sein Abitur gemacht hat. Aus Verbundenheit zu dieser Stadt hat er sich zur Aufgabe gestellt, alte Gebäude aufzukaufen, um sie perfekt zu restaurieren. Wo immer Du hinsiehst, erblickst Du zahlreiche Ergebnisse seines Engagements. Auch unser Verlagshaus, indem noch drei andere, dänische Redaktionen sitzen, hat er völlig neu aufgehübscht. Hier arbeiten zu dürfen, ist wahrlich ein Geschenk.

Über uns laufen an der Erkerwand auf einem zweisprachigen, weithin leuchtenden Laufband die aktuellen Schlagzeilen des Tages. Ist das der Grund, weshalb bei einer Grünphase der Ampeln hier nur maximal drei Fahrzeuge die Kreuzungen überqueren? In Tschechien würden das im gleichen Zeitraum locker 15 Autos schaffen.

Das wäre natürlich toll, möglicherweise ist das sogar so (lacht). Aber das Leben hier ist generell im Vergleich zum quirligen Prag völlig entschleunigt. Wir haben keine Eile.

Gut, angesichts der Mentalitätsunterschiede sparen wir uns vielleicht dann besser ein deutsches Nachrichtenlaufband des Landes-Echos an einem Haus in einer der Magistralen Prags. Aber ernsthaft: Sind die paradiesischen Zustände hier eine Folge der Geschichte und des Renommees Deines Blattes?

Tatsächlich ist der „Nordschleswiger“ die erste freie deutsche Zeitung, die nach dem Zweiten Weltkrieg außerhalb Deutschlands gegründet wurde. Zunächst erschienen wir als Wochenblatt, dann von Montag bis Freitag und jetzt bis Samstag. Wir hatten bis Anfang der 1950er Jahre einen dänischen Polizisten hier in der Redaktion, der auf uns aufpasste. Bis die Dänen sagten, die Deutschen sind loyal, da gibt es nichts mehr zu überwachen. Anfang Februar 2021 feiern wir unser 75-jähriges Erscheinen. Allerdings wird am nächsten Tag unsere Zeitung als Papierausgabe und als E-Paper eingestellt, wir sind dann danach nur noch online, ergänzt durch ein Monatsmagazin im Papierformat.

Dem liegt eine Entscheidung der deutschen Minderheit in Dänemark zugrunde, die viele überrascht hat. Immerhin hattet Ihr erst 2013 eine Redaktionsgemeinschaft mit dem Flensburger Tageblatt sowie zwei dänischen Blättern gegründet. Politiker sprachen da von einem „historischen Ereignis für die Region“. Was ist seither schief gelaufen?

Diese Redaktionsgemeinschaft hat sich bewährt und soll auch weitergeführt werden. Wir als „Nordschleswiger“ haben ein Problem, das diese Entscheidung befördert hat: Unsere Auflage sinkt und hat einen kritischen Punkt erreicht. Wir haben in Nordschleswig, also dem Süden Dänemarks, wo die deutsche Minderheit neben der in Kopenhagen lebt, weniger als
1.500 Abonnenten. Wir erreichen die Minderheit nicht mehr.

Und jetzt ist Euch das Geld zusammengestrichen worden?

Nein, nein, es ist keine Geldfrage. Wir haben einfach mal bei den Eltern der deutschen Kinder nachgefragt, die in die deutschen Kindergärten oder die deutschen Schulen gehen, wer von ihnen die Zeitung abonniert hat. Von 1.400 Befragten waren das nur 150. Gerade mal zehn Prozent. Vor allem Jugendliche lesen heute keine Zeitung mehr. Wenn wir von „jungen Lesern“ reden, dann handelt es sich dabei um Menschen unter 50 Jahren. Wir kommen nicht mehr an die deutsche Minderheit heran. Also müssen wir digital nachlegen. Es kann nicht sein, dass wir immer mehr Geld ausgeben, aber immer weniger Leser erreichen.

Wie finanziert Ihr Euch heute?

Zum größten Teil über die deutsche Minderheit. Wir erhalten von dort für unsere Arbeit im Jahr 2,4 Millionen Euro. Darüber hinaus weitere 300.000 Euro Sondermittel vom Staat sowie 400.000 Euro durch die staatliche Medienförderung, die alle Medien in Dänemark bekommen, wenn sie eine gewisse Größe haben, eine festgelegte Mindestzahl von Redakteuren beschäftigen und die großen Themenbereiche des Lebens in ihren Print- oder Online-Produkten abdecken.

Das sind für mich völlig utopische Zahlen. Aber gut, Dänemark ist im Vergleich zu Tschechien auch ein sehr reiches Land. Und wir bringen ja auch nur ein Monatsblatt heraus, wenn man von unserer aktuellen Webseite absieht.

Andererseits müssten wir als Minderheit hier auch eigene Fernsehsendungen haben. Das ist so zwischen Staat und Minderheit durch die Europäische Sprachencharta festgelegt. Aber das staatliche dänische Fernsehen hat kein Fenster für uns und allein können wir das auch nicht meistern. Dann, haben letztlich wir gesagt, brauchen wir eigentlich eher einen zeitgerechten Online-Auftritt. Dafür haben wir dann für die Jahre 2018-2021 jährlich 300.000 Euro bekommen. Das reicht in Dänemark, um fünf Online-Redakteure zu beschäftigen. Wir haben derzeit vier und die fünfte Stelle wird demnächst besetzt. Mit denen heißt unser Motto künftig „Web-first“, also online zuerst. Wir stellen schon jetzt alle wichtigen Dinge sofort ins Internet, weil da unsere Zukunft liegt. Das Netz ist eine riesige Chance für uns.

Das Online-Angebot muss freilich angenommen werden. Wie fit sind die ja zumeist älteren Leser des „Nordschleswigers“ im Internet?

Achtung (lacht): Mein Schwiegervater ist 87, der macht sein Online-Banking über sein iPad. Wenn ich ihm irgendwann sage, Opa, es ist jetzt Schluss mit der Papierzeitung, dann kommt er mit seinem iPad und fragt mich, wo er jetzt drücken muss, um uns online zu lesen. Technisch ist das in Dänemark überhaupt kein Problem. Selbst der kleinste Bauernhof hat eine superschnelle Internetverbindung. In diesem Punkt lebe ich im besten Land der Welt. Aber klar, natürlich sind nicht alle fit. Da werden wir versuchen, die Bibliothek, den Sozialdienst oder die Kirche einzuspannen, um technische Nachhilfe zu geben.

Wird Dir und Deinen Kollegen trotzdem die Papierzeitung fehlen?

Na klar. Ich habe mit 12 als Jugendreporter angefangen, das ist jetzt 43 Jahre her. Da steckt eine Menge Herzblut drin. Und auch in der Redaktion gibt es Skepsis. Aber es werden Zeiten kommen, da ein Artikel, den jetzt 1.500 Zeitungsleser lesen, im Netz von Zehntausenden gelesen wird. Braucht man mehr Motivation? Dennoch wird es nicht leicht, die Zeitungsleser dazu zu bringen, dass sie künftig eine halbe Stunde ihr „Blatt“ online konsumieren und nicht nur gucken, was es Neues von den Facebook-„Freunden“ gibt. Um den Wechsel schmerzfreier zu vollziehen, wird das Online-Angebot kostenfrei sein. Die Leser gehen somit von einem bezahlten Zeitungs-Abo zu einer kostenlosen Webseite über. An einen Bezahlmodus denken wir nicht, auch wenn guter Journalismus seinen Wert haben sollte.

Lass uns noch etwas zur Politik kommen: Mir sind die langen Schlangen an den Grenzübergängen zwischen Deutschland und Dänemark aufgefallen.

Die Dänen machen hier eine reine Symbolpolitik. Von 13 Übergängen wird an dreien kontrolliert. Über die zehn anderen kann man einfach rüberfahren. Die Dänen sagen aber stolz, sie hätten tausende Verdächtige abgewiesen. Wer das ist und woher die kamen, wissen sie nicht. Andererseits werden Flensburger nicht nach Dänemark gelassen, wenn sie ihren Ausweis versehentlich nicht dabei haben. Das ist nicht mehr lustig. Selbst Busse, die vom Weihnachtsmarkt in Flensburg kommen, werden kontrolliert. Da schauen sich die Grenzer dann 50 Betrunkene an. In der Ferienzeit ist Samstag Bettenwechsel. Wenn man daran nicht denkt und rasch mal über die Autobahn nach Deutschland will, gerät man in einen Riesenstau. Das nervt total. Andererseits machen das auch die deutschen Grenzer an den Übergängen nach Österreich.

Angela Merkel ist in Tschechien wegen ihrer Migrationspolitik nahezu schon eine Unperson. In Dänemark auch?

Sie hat ihren einstigen Heldenstatus verloren, steht aber nicht so in der Kritik wie in Ostmitteleuropa.

Interessieren sich die Dänen für Deutschland?

Wahnsinnig! Deutschland ist immer beliebter geworden, ist wichtigster Handelspartner und wird wirtschaftlich wie politisch als überaus bedeutsam empfunden. Viele Dänen machen Kurzurlaub in Berlin. Kreative junge Unternehmen in Kopenhagen führen deutsche Namen, machen auf Deutsch Werbung. Das hilft auch unserer Minderheit. Früher war das anders. Da gab es sofort Widerspruch, wenn man die deutsche Nationalmannschaft oder einen Klub toll fand statt etwa Barcelona oder Manchester United.

Die deutsche Karte wird, anders als in Tschechien, nicht mehr gezogen, wenn es in den Kram passt?

Nur dann, wenn jemand seinen Verstand ausgeschaltet hat. Jedes Volk braucht irgendwelche Feindbilder. Das ist bei uns nicht mehr Deutschland, sondern es sind die Muslime. In einem kleinen Ort dicht bei Apenrade haben bei den letzten Parlamentswahlen 38,6 Prozent für die extrem Rechten wegen deren harter Migrationspolitik gestimmt, auch Deutsche. Manche Leute denken nicht sehr weit. Vielleicht sind wir für die Rechten die nächsten, denen man sagt, geht wieder in Eure Heimat. Beim Streit um zweisprachige Ortsnamen waren die unsere größten Gegner.

Das erste Schild in Deutschland, hinter dem Grenzübergang Krusau, sagt: „Willkommen in Schleswig-Holstein, dem wahren Norden!“. Als Däne würde mich das total ärgern.

Wir sind da nicht so zimperlich. Die Schleswig-Holsteiner sind laut Umfrage die glücklichsten Deutschen und die Dänen die Glücklichsten der Welt. Wir leben also gemeinsam in einer Glücksregion.

Das Gespräch führte Hans-Jörg Schmidt vom LandesEcho Prag. Mit übernehmen den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia