10. Konferenz der Vereinigung der Deutschen Wissenschaftler Kasachstans oder: Wie die Leidenschaft einer Generation von Wissenschaftlern Dekaden fortbesteht, Grenzen überwindet und Erkenntnis födert.

Die wissenschaftliche Konferenz findet seit 1995 biennal statt. Dieses Jahr feierte die Vereinigung der Deutschen Wissenschaftler Kasachstans ihr 20-jähriges Jubiläum und veranstaltete die 10. Konferenz im Rahmen der „Deutschen Woche“ in Almaty. Die vom deutschen Generalkonsulat finanziell unterstützte dreitägige Veranstaltung wurde in dem anmutig gepflegten Sanatorium Kok-Tobe durchgeführt. Ein nahezu magisch friedlicher und zeitloser Ort in dem sonst teils hektischen Almaty. Eine gute Wahl für ein Treffen besonnener Menschen, die sich mit bedeutsamen Spezifika beschäftigen.

Forschungspodium seit 1994

Der Verein, 1994 unter Vorstand von Ernst Boos, Physikprofessor und Mitglied der Akademie der Wissenschaften der Republik Kasachstan, gegründet, hatte sich ehemals zum Ziel gesetzt, ein Netzwerk zwischen Wissenschaftlern aus der deutschen Diaspora in Kasachstan aufzubauen und Beziehungen zu deutschsprachigen Ländern und den jeweiligen Institutionen zu betreiben. Mittlerweile ist man nicht mehr ausschließlich auf die deutsche Minderheit konzentriert und erfreut sich der Mitglieder aller Kulturen, die die jeweiligen Fachgebiete bereichern. Davon werden insgesamt fünf bedient: Geistes-, Natur– und Agrarwissenschaften, Medizin und Jura.

Die Initien beinhalteten auch die Motivation wissenschaftlich-technischer Mitbestimmung in Kasachstan und der Mitgestaltung des Fortschritts des Landes, was einst so viele Deutschstämmige beherbergte und anteilig bis heute noch beherbergt. Zu den Aufgabenbereichen gehört neben dem Austausch auch die Publikation weiterer wissenschaftlicher Beiträge innerhalb und außerhalb Kasachstans sowie die Nachwuchsförderung.

Zur Jubiläumskonferenz gaben sich neben den Teilnehmern aus den Fachbereichen auch auswärtige hochrangige Gäste die Ehre. Generalkonsulin in Almaty, Frau Dr. Renate Schimkoreit, wie auch Vertreter deutscher und kasachischer Organisationen stellten in Begrüßungsworten die Wichtigkeit der Wissenschaftsförderung heraus, auch die des wissenschaftlichen Nachwuchs. Frau Dr. Schimkoreit sprach Worte der Anerkennung: „Ich habe mich mit der Arbeit, die Sie im Laufe der letzten Jahre geleistet haben vertraut gemacht, und war zutiefst beeindruckt von der Vielfalt und dem hohen wissenschaftlichen Niveau.“

Ernsthafte Fachvorträge

Auf der diesjährigen Agenda standen auch tatsächlich wieder Vorträge aus ganz unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen, von denen einige im Folgenden kurz angerissen werden sollen. Behandelt wurden Themen wie die Gewinnung von Gas aus Kohlestaub, Kampf mit organisierter Kriminalität, Förderung erneuerbarer Energien, Reisanbau in Kasachstan oder etwa Ideenansätze rund um die verheerende Ökologie des Aralsees. Was herausragend war, fasst der Kommentar des Leiters des DAAD-Informationszentrums in Almaty Michael Jaumann ganz treffend zusammen: „Was mich besonders erfreut, ist, dass man hier ernsthafte Fachvorträge und greifbare Forschungsergebnisse präsentiert bekommt. Da gibt es hierzulande schon sehr eklatante Unterschiede – viele Konferenzen verlaufen leider als reine Selbstdarstellung.“

Ressourcen und Sozialwissenschaften

Prof. Dr. Wladimir Messerle Ingenieur und Mitglied der „Internationalen Energie-Akademie“ und der „Internationalen Akademie für Informatisierung“, berichtete eingangs über aktuelle Analysen im Bereich Plasmaverfahren bzw. Vergasung fossiler Brennstoffe, insbesondere des massenhaften Kohlestaubs, der bei der Gewinnung der immer noch in großen Mengen geförderten Kohle (z.B. in Ekibastus) übrig bleibt.

Er erläuterte die Verfahren und Vorteile als auch die dazugehörigen Herausforderungen und Problematiken auf ökologischer und ökonomischer Ebene.

Eine impulsive Diskussionsrunde kam nach dem Vortrag von Herrn Prof. Dr. Wladimir Root zustande. Der Jurist und Leiter der rechts– und sozialwissenschaftlichen Sektion der Vereinigung legte einen aktuellen Bericht des UN-Fachkomitees zum internationalen Kampf mit organisierter Kriminalität ab. Dies führte in der anschließenden Fragerunde zu Debatten um vorherrschende Machtstrukturen verschiedenster Regierungen und zu Vergleichen von ihren Justizinstrumentarien bis hin zu Abstraktionen in der Weltpolitik.

Nur 0,1 Prozent von in Kasachstan produzierter Energie sind aus erneuerbaren Ressourcen. Rechnet man Wasserkraftwerke hinzu kommt man auf 4 Prozent. Als Energieträger Nummer eins in Kasachstan beherrscht Kohle den Markt. Kohleförderung und –verbrennung bringt aber offensichtliche ökologische Defizite mit sich oder wie Prof. Dr. Erwin Gossen es leger formuliert: „Wir haben hier zwar noch für die nächsten fünfzig Jahre Kohle, aber das Atmen fällt immerzu schwerer.“ Er hielt einen Vortrag zum Thema Grüne Ressourcen.

Aus aktuell absehbaren staatlichen Bemühungen und Planprojekten rund um die „Grüne Energie“ (DAZ berichtete bereits in der vorangehenden Ausgabe) möchte man den Anteil erneuerbarer Energie bis 2020 auf insgesamt 30% des gesamten Marktanteils aufstocken und bis 2050 sollen es gar 50% werden. Man rechne mit der Einhaltung des Plans und baue schnell, so Gossen. Der Staat hat mit der letzten Neuerung des Investitionsgesetzes im letzten Jahr Tarife für Wind– und Solarenergie fixiert, vergibt Garantien und subventioniert jeweilige Stationen. Eben dieser Punkt ist sehr attraktiv für Investoren und schwemme, nach Aussage von Gossen, diese auf den kasachischen Markt, da mit kaum Verlustrisiko zu rechnen ist. Man orientiert sich besonders in Richtung deutscher Kooperationen und Investitionen, da sich die Zusammenarbeit bereits in den letzten Dekaden bewährt hat. Aber auch Franzosen seien attraktive Geschäftspartner.

Auch Prof. Dr. Boos präsentierte seine neuesten Untersuchungen über ein spannendes Projekt zur schmerzlichen Problematik um das Verschwinden des Aralseewassers. Mittlerweile gibt es über 60.000 Quadratmeter ausgetrockneten Territoriums und man findet Salz– und des Sandspuren von dem ausgetrockneten Seeboden nicht nur in den Gletschern des weit entfernten Tienschan-Gebirges, sondern selbst in den Gletschern Grönlands. Was sich mit diesem Gebiet einer Ökokatastrophe, die nicht mehr reversibel ist, machen lässt, beschäftigt momentan den Wissenschaftler und seine Kollegen. Die Idee war den kahlen Salzboden mit Sonnenbatterien zu bedecken – nach US-amerikanischem Vorbild von Solarparks. Das hätte gleich mehrere positive Faktoren, wie z.B. eine Barriere gegen die Verteilung des aggressiven Salzsandes durch Winde oder das Argument eines preisgünstigen Bodens für grüne Energie. Man könne mehrfache Volumen des kasachischen Staatsverbrauchs gewinnen und exportieren, denn die Region hat im Jahresdurchschnitt überwiegend Sonnentage und wäre, nach Aussage Prof. Boos‘ perfekt für das Vorhaben geeignet. Das Team berechnete bereits auch jeweilige optimale Winkel für die Ausrichtung der Photovoltaikmodule, je nach Tagesphase und Sonnenwinkel. Momentan sei man in der Phase der Investorensuche und geht von einer Amortisierung der Investitionen innerhalb von zehn Jahren aus. Es bleiben einige Fragen noch offen und wären bei Investitionsinteresse zu klären, z.B. die Faktoren der Bodenbeschaffung und des entsprechenden Befestigungs– und Wartungsaufwands. Prof. Boos, unermüdlich, selbst mit seinen 84 Jahren, resümiert seine energetische Präsentation: „Die Idee ist sinnvoll und vielversprechend. Ob sie realisierbar ist, steht bisher in den Sternen“.

In den Sternen steht auch der Fortbestand des Vereins, der so sorgfältige und sachkundige Arbeit leistet. Man ist sehr auf einen Fortbestand der Gesellschaft bedacht. Man hat sich geöffnet und weiß, dass es keine Wiederbelebung der deutschen Diaspora geben kann. Ihre geistige Elite konnte man in diesen drei Tagen vortragen und debattieren hören. Auch Dr.-Ing. Dimitri Moser, Vorsitzender des Jugendsektors der Kasachstandeutschen wissenschaftlichen vereinigung, war mit einem Beitrag vertreten. Er ist einer der Doktoranden, die Prof. Boos im Laufe seiner langen Karriere vorbereitet hat und gehört wohl zu den erfolgversprechenden Wissenschaftlern aus der deutschen Diaspora, auf die man die Hoffnungen setzt, dass die akademische Leidenschaft fortbesteht und weiter getragen wird.

Es ist schwer, wie in so vielen Bereichen, eine sorgfältige und nachhaltige Nachwuchsförderung zu gewährleisten, so auch in der Wissenschaft. Junge Menschen zu bewegen, sich der geduldigen, fortwährenden wissenschaftlichen Arbeit zu verschreiben, ist eine undankbare Aufgabe in Zeiten schnelllebiger, gesellschaftlicher Verschwendungspraxis. Als Anreiz mögen zum Beispiel großartige wissenschaftliche Erfindungen oder Entdeckungen dienen, die seit jeher die Menschheit und ihre Entwicklung prägten. Das alles sind sehr wichtige Evolutionsschritte, die teilweise sehr kleinteilig sind und hinter denen jahrelange, wenn nicht jahrzehnte– oder gar jahrhundertlange Forschung steckt. Hinter all dieser methodischen Logik beziehungsweise durchaus auch mal Unlogik stecken wiederum Menschen. Teilweise sehr charismatische Persönlichkeiten, die ihr Leben der Wissenschaft widmen, die wie Atlas hingebungsvoll eine schwere Bürde auf sich nehmen und denen viel Dank gebührt.

So wurde man auch beim Verlassen der Konferenz und des Sanatoriums das Gefühl nicht los, dass man einen Moment lang die Ehre hatte, eine zeitlose Instanz genießen zu dürfen. Eine Art verdeckte treibende Kraft hinter den Dingen. Hut ab.

Julia Boxler

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