Die Sonne brennt vom Himmel, trockener, salziger Staub bläst mir um die Nase, in der Ferne nagen einige Kamele an vertrockneten Büschen. Ich bin in Südkasachstan, genauer gesagt in dem Städtchen Aralsk, das seinen Namen natürlich vom Aralsee hat. Ich hatte schon lange den Traum, ihn einmal mit eigenen Augen zu sehen. Nun stehe ich hier, im feinen Sand vor meinem einfachen Hotel, und warte auf meinen Fahrer.

Der Aralsee steht für eine der größten menschengemachten Naturkatastrophen. Einst war der Aral mit einer Fläche so groß wie Bayern der viertgrößte Binnensee der Welt. Dann begann die Sowjetunion in wahnwitzigen Bewässerungsplänen das Wasser der zentralasiatischen Ströme Syrdarja und Amudarja, den einzigen Zuflüssen in den See, auf die Baumwollplantagen Usbekistans und Turkmenistans umzuleiten. Seit den 1960er Jahren ist der Wasserspiegel kontinuierlich gesunken. Der See verlor 90 Prozent seiner Wasserfläche und zerfiel in zwei Teile. Der nördliche liegt in Kasachstan, der westliche befindet sich größtenteils in Usbekistan. Die einst florierenden Fischerdörfer, darunter das usbekische Muynak, ganz im Süden des Sees gelegen, und das kasachische Aralsk verloren ihre Lebensgrundlage. Das Wasser verschwand, und mit ihm die Fische. Versandung und Versalzung des Bodens waren die Folge.

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Heute befindet sich der See 20 Kilometer weit weg vom ehemaligen Hafen; an die heutige Küste schafft man es nur mit einem geländegängigen Fahrzeug. Der Weg ist beschwerlich, es geht über staubige Pisten, durch Sandstürme, die meiste Zeit nur im Schritttempo. Dabei war Aralsk einst auf seine Fischereiindustrie besonders stolz. Davon zeugt noch heute ein großes Wandmosaik mit dem Antlitz Wladimir Lenins im historischen Bahnhofsgebäude des Städtchens. Lenin höchstselbst richtete sich im Jahre 1921 an die Fischer des Arals, um für Lebensmittelspenden gegen eine Hungersnot zu bitten, die im Astrachaner Wolgagebiet ausgebrochen war. Die Sendung von 14 Eisenbahnwaggons mit Fisch aus dem Aralsee war ein großer Propagandaerfolg, der an längst vergangene, goldene Zeiten erinnert.

Auf dem Weg zum Ufer passieren wir das Dorf Schanalasch. Ich sehe im ersten Moment nur eine völlig vom Staub bedeckte Straße, an deren Rändern sich schemenhaft die Umrisse von Hütten abzeichnen. Erst durch den Hinweis des Fahrers bemerke ich, dass die Dächer der Häuser neu, die Zäune gepflegt aussehen. Dieser Teil des Dorfes scheint erst kürzlich gebaut worden zu sein. Dies war notwendig geworden, da der alte Teil des Dorfes, der etwas näher am Wasser liegt, inzwischen im Sand versinkt. Aber das ist nicht der einzige Grund: Die Fischerei bringt wieder Geld ein. Das Wasser, und damit auch die Fische kommen langsam zurück.

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In den 1990er Jahren ließ die kasachische Regierung mit Hilfe der Weltbank einen Staudamm errichten, um wenigstens den nördlichen, bei weitem kleineren Teil des Sees zu retten. Auch in Aralsk keimt die Hoffnung, dass das Wasser zurückkommt und der Hafen irgendwann einmal wieder in Betrieb genommen werden kann. Der in Usbekistan liegende Teil scheint hingegen für Experten auf immer verloren zu sein.

Hinter einer gewaltigen Kette aus roten, sandigen Felsen taucht das tiefblaue Wasser auf. Ein langgezogener Streifen kühlen Nasses und saftige grüne Büsche stehen am Ufer. Ich stehe auf einem Felsvorsprung und blicke über diese staubtrockene Mondlandschaft hinweg auf den See. Es ist eine beeindruckende Szenerie. Nie Naturgewalt und das Ausmaß eines verschwindenden Sees wird mir selbst hier nur im Ansatz bewusst. Die Tragödie, aber auch die Schönheit des Aralsees faszinieren mich. Und zumindest in Aralsk liegt Aufbruchstimmung in der Luft. Vielleicht kann auch ich die Stadt irgendwann noch einmal so glücklich und stolz sehen, wie sie einst einmal war.

Philipp Dippl

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