Wer sagt, dass traditionell-kasachische Instrumentalmusik und Discosounds nicht miteinander vereinbar seien, hat die CD „Tronicstan“ noch nicht gehört. Die beiden europäischen DJs Rene Breitbarth und Reynold wagten im Juni dieses Jahres zusammen mit Künstlern aus Kasachstan und Kirgisistan den Versuch eines Crossovers von akustischer und elektronischer Musik. Vinzenz Greiner hat sich für die DAZ durch dieses Experiment durchgehört.

/Bild: Trenton Records . ‚„Tronicstan“ erscheint bei dem Berliner Platten-Lable „Trenton Records“.’/

1. Kirill Zaretskii – Train to CA

Der Opener „Train to CA“ zerschneidet das rote Band zur Eröffnung einer neuen Klangwelt. Ich kann mich der Vorstellungen nicht erwehren, eine Treppe hinabzusteigen, die in einen dunklen Club mündet. Gestalten treiben auf den gleichmäßigen Schallwellen, die gegen die Wände schwappen. Der Sound flackert wie das weiße Licht, das die Welt in Zeitlupe gießt.

Verwandlung: Kairat Tussupbekow wird an den Plattentellern zum DJ „K-Slide“.

2. Timur Boranbayev – Desert Rain

Die Schläge des Synthesizers prasseln wie ein Wüstenregen auf das Trommelfell. Boranbayev schaufelt mit gezupften Dombra-Saiten eine singende Düne auf, die immer größer wird… Ich flattere leicht als roter Seidenschal über einen sandenen Ozean. Das Mädchen, von deren Hals ich geglitten bin, steht auf der Düne und sieht mir ohne Reue lächelnd hinterher.

3. Almatronic – TianShanica

Das dritte Stück durchzieht ein stumpfes Wabern, dessen Klangvolumen die durchaus tanzbaren House-Beats an Üppigkeit übertrumpft. In die Mitte des Tonkreises treten aber immer wieder traditionelle Instrumente. Ich fühle mich wie bei einer Jamsession, bei der jeder mal mitmischen darf. Darunter ein runzeliges Männchen mit weißem Bart und einer Kobys in der Hand, aber auch ein Jungspund, der sich einen Funk-Riff aus den 80ern abgehört hat und auf dem Hals seines Zweisaiters herunterpickt. Das Stück hat so viele Falten wie das Gesicht des alten Nomaden.

4. Andrey Potyomkin – Steppe Chords

Wer will da nicht tanzen? Synthetisierte High-Hats und abgedämpfte Dombrasaiten geben einen rhythmischen Trab vor, wobei man sein inneres Pferd kaum im Zaum zu halten vermag. Ab und an spornt Potyomkin den Gaul in Synkopen an, wodurch er eine drängende Geschwindigkeit aufsattelt; nur um sie wenig später wieder in einzeln gestreuten beatfreien Phasen zu zügeln.

5. Rene Breitbarth – Kasak

Das durchdachte Werk gleicht einer Zwiebel, deren Schichten einzeln für sich abgelöst und untersucht werden können. Zu Tränen wird man indes dabei nicht gerührt. Denn eine solche musik-architektonische Raffinesse geht auf Kosten des Gefühls: „Kasak“ baut wesentlich weniger Atmosphäre auf als die anderen Stücke. Wenn man bei den zentralasiatischen DJs Ältestenräte und Stammesstrukturen heraushört, dann ist Breitbarth dagegen Technokrat.

6. Malianer – Kara Kemer

Bei der Konzeption hat Malianer die peitschenden Beats einer industriellen Revolution unterzogen. Metallisch stempeln sie am Laufband ihr kantiges Muster in die unteren Ebenen des Songs. Es ist gar so, als würde eine riesige Party in einer Fabrikhalle gefeiert – eine Großraumdisko mit verchromten Heizungsrohren, die im 4/4-Takt mitklingen. Der Werksrhythmus reibt sich an den melancholischen Klängen einer Kobys, die von Sehnsucht singt.

7. Lav Hard – Southern Sunrise

Nur sehr langsam schält sich eine Melodie aus den dunklen Bässen. Die orientalische Moll-Harmonik klettert langsam nach oben, beschreibt den Lauf einer rot glühenden Scheibe, die sich aus dem dünigen Sand ins Firmament stemmt. Der Song ist für mich der beste der ganzen Platte. Zum einen aufgrund der abwechslungsreichen Melodie, die mal schwingt, mal tanzt, mal als Brise ins Gesicht bläst. Zum anderen weil er konzeptionell ist: der Lauf der Sonne wird grandios in Töne umgesetzt, bis diese sich schließlich in minimaler Tiefe verlaufen. Es wird Abend.

8. DJ Keer – Babylon

Track Nummer acht erinnert von der Melodik her stark an die alter Computer-Rennspiele, bei denen man mit futuristischen Wagen durch Mondkrater braust. Von alten Kobys gestrichene Takthälften fliegen in Fetzen an den Ohrmuscheln vorbei, während ein drahtig-spröde klingendes Keyboard die Fahrbahn an beiden Seiten begrenzt. Irgendwas will einen schneller fahren lassen. Es liegt versteckt irgendwo zwischen den Keyboardtasten und den abgehackten Bässen. Ja stimmt: eine Dombra, die unauffällig die Soße des Stückes andickt.

Die Instrumentalarrangements wurden unter anderem vom Trio „Alashuly“ eingespielt.

9. K-Slide – Immensity of Soul

Der Song kann seinem Titel „die Unermesslichkeit der Seele“ nicht ganz gerecht werden. Vielmehr scheint es, als versuchte K-Slide mit übermäßig langen Dombra-Saiten Abgründe im Bewusstsein auszuloten. Der rote Faden des Stückes wurde in Filigranarbeit an diese Saiten geknüpft. Ab und zu verschwindet das flackernde Licht der Dombra, wird von atmosphärischen Elektroklängen überlagert – es erlischt aber nie zur Gänze. Das Instrument kämpft sich vielmehr seinen Weg wieder in den Vordergrund und leuchtet den Weg tiefer hinab in melancholische Klangabgründe.

10. Viktor Inside – Deep Dombra

Das zehnte Stück arbeitet insbesondere mit anspruchsvoller Rhythmik. Der Takt bleibt zwar gleichmäßig, die vier Vierteln werden aber trommelartig umspielt, treten hinter die Betonung auf der Zwei zurück, werden zerstückelt. Das Echo der gezupften Dombra-Saiten schwebt über dem Kratzen und Schleifen des Beats. Ferner setzt Viktor Inside sie in Kontrast zu elektronischen Ellipsen, die wie die Gezeiten mir der Lautstärke spielen. „Deep Dombra“ ist eines der am anspruchsvollsten geschnürten Pakete der CD. Es will nicht tanzbar sein, „Deep Dombra“ will bewusst gehört werden.

11. Reynold – Astana

Reynold beweist, dass man die Schiffe des Kaspischen Meeres noch bis in die kasachstanische Hauptstadt hören kann. Oder woher sollen sonst die Nebelhörner, die da vom Wind herangetragen werden, stammen? „Astana“ spielt nicht nur mit Entfernung, Echos und Leere erzeugender Fülle. Der französische DJ webt auch xylophonische, hölzerne Elektroklänge, atmosphärische Klangschleier und einer Dombra Entzupftes in einen breit ausgelegten Klangteppich. Ob Reynold mit „Astana“ die dichte Leere seines Stückes verwörtlichen wollte? Egal… Der elfte Track ist ein würdiger Abschluss für das Projekt „Tronicstan“. Im letzten Takt atmet noch einmal ein Nebelhorn aus, und verhallt…

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