Der Anflug auf Almaty wird immer wieder seiner Schönheit wegen gepriesen. Man könne das mächtige Tienschan-Gebirge unter rosarotem Himmel sehen, die Spiegelungen des kristallenen Lichts in den Gletschern und über den eisblauen Dächern der Stadt. Leider war mir dieses Glück nicht beschieden, und meine Ankunft in dem Land, in dem ich mein journalistisches Praktikum absolvieren sollte, war eher gespenstisch als idyllisch.

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Bei der Zwischenlandung in Astana waren die Tragflächen zugefroren und mussten enteist werden. Dabei wurde das Flugzeug blockiert, weil ein Unterstützungsfahrzeug genau hinter ihm liegen geblieben ist. Meine erste Begegnung mit einem motorisierten Gefährt hier.
Es war gegen drei Uhr morgens, als die Maschine auf Almaty zusteuerte. Nicht nur der Mond war von grünlich-goldenem Nebel wie von einem grotesken Vorhang verhangen, auch die Stadt gab sich nicht zu erkennen, ein dunstiger Film lag, dünnen Wattebäuschen gleich, über den Lichtern. Müsste man nicht davon ausgehen, dass es sich dabei um den allgegenwärtigen Smog handelt, könnte man der Szene ja noch eine schwarze Romantik abgewinnen. Von den Anflügen, die ich bisher erleben durfte, war dieser der undeutlichste. Eine diesige, unförmige Masse lag unter mir, ich wurde ganz im Unklaren gelassen. Rumpelnd setzten wir auf.

Meinen ersten Tag nutze ich bereits, um ein wenig von der Stadt zu erkunden. Ich bin in einer typischen Chruschtschowka untergekommen, die nicht ganz eben ist: öffnet man den Kühlschrank, so schwingt einem die Tür entgegen, Schubladen öffnen sich von selbst, und legt man ein Ei auf den Küchentisch, rollt es sofort hinunter. Abgesehen von der Neigung, sind einige Wände schief gezogen, und im Flur riecht es so stark nach Gas, dass in Deutschland jede Wohnpartei bereits zweimal die Feuerwehr gerufen hätte. Im Treppenhaus steht ein herrenloses Waschbecken. Die Wohnungstüren könnten aus Fort Knox stammen. Ob sie zu den Zeiten der ,,eigentumslosen‘‘ Gesellschaft schmaler ausfielen?

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Gleich neben unserem Apartment werden Hühnerköpfe auf der Straße ausgelegt und feilgeboten. Ich stockte beim Anblick der jeweils fußballgroßen Klötze von zusammengefrorenen, augenbesetzten Blutklumpen und mich überkam zunächst Bestürzung, bevor ich darüber nachdenken konnte, was man wohl mit den Köpfen anstellen könnte. Zum Essen ist ja nichts daran und dass man sie auskocht, wäre mir auch neu. Ich weiß es immer noch nicht. Gleich daneben lagen Hühnerfüße, aber deren Zubereitung ist bekanntlich in vielen Ländern gängig.

Mein Mitbewohner wollte an einem Modelcasting teilnehmen, und prompt zog ich mit. Das Haus war überfüllt von Anwärtern, die sich alle ablichten lassen wollten. Natürlich hatten sich alle schick gemacht, aber nur wenige reichten an die Extravaganz heran, die man auf solchen Veranstaltungen in Industrieländern für gewöhnlich beobachten kann. Trotzdem, niemand schien falsche Scham zu haben, man sah junge Kasachinnen, alte, beleibte russische Frauen, glatt gestraffte Züge, denen mit koreanischer Kosmetik nachgeholfen wurde, unbearbeitete pockennarbige Gesichter, kurz: Menschen allen Alters und von verschiedenstem Aussehen. Nachdem wir ein Vorstellungsgespräch in gebrochenem Russisch absolviert hatten, wurden wir kurz vor die Kamera gebeten und mussten uns in Verbrechermanier ein Schild mit Nummer vor die Brust halten. Wir warten auf Rückmeldung, Geld und Ruhm.

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Auf dem Astana-Platz gibt es eine Anlage, über welche die Reiseführer schweigen. Unweit des dem Auge Saurons ähnelnden, in Richtung der Britisch-Kasachischen Universität weisenden Steindenkmals in der Mitte des Parks liegt ein ,,Liebesgarten‘‘, ein umzäuntes, klassenzimmergroßes Plätzchen, das für die Verliebten errichtet wurde. Hier ist es also staatlich genehmigt, die Turteltäubchen flattern zu lassen, während im Hinterland die Bräute geraubt werden. Und tatsächlich, im Sommer scheint dies ein beliebter Ort zum Schießen von Fotos für junge Paare zu sein. Ich nahm das Drahtgärtlein als institutonalisierten Rosenhag wahr, von stählernen Dornengestrüpp umzäunt und von einem wagnerianischen Schwan-Brunnen bewacht. Man könnte es auch einfach Kitsch nennen!

Natürlich, meine kurzen Beobachtungen wurden von einem zentraleuropäischen Auge gemacht, das sich noch nie zuvor in einer der ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken aufgehalten hat. Dementsprechend fällt es mir leicht, mich über den enormen Verbrauch von Plastiktüten aufzuregen, mich über die eingeschränkte Freiheit des Wortes zu beklagen und zu meinen, die konservative Mentalität in vielen Ausgeburten des Kitschs wiederzuerkennen. Ich will meinen Aufenthalt hier nutzen, diese eurozentrische Schwelle zu überschreiten und hinter jedem erfüllten Klischee die handfesteren Probleme erkennen.

David Modro

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