Krise? Welche Krise? Zu dieser Einschätzung kann man kommen, wenn man sich eine Reihe von Indikatoren auf den Geld- und Finanzmärkten anschaut. Die Börsenindizes befinden sich zum Beispiel seit Jahresbeginn fast überall in Richtung Anstieg.

Der Wert der an den großen Weltbörsen gehandelten Aktien hat seither schon um 15 bis 20 Prozent zugelegt. Auch der kasachische Börsenindex ist von seinem Tiefststand Ende Januar 2009 (etwa 570 Punkte) bis zum 4. Mai auf fast 1000 Punkte geklettert, das ist ein Zugewinn von mehr als 40 Prozent. Doch die Situation in der Realwirtschaft liefert kaum Gründe für diesen schnellen Anstieg. Von einigen Ausnahmen abgesehen, zeigen sich die meisten Indikatoren fallend oder pessimistisch. Die Prognosen zum Wachstum des BIP in diesem Jahr wurden für alle Länder erst vor einigen Wochen korrigiert, aber eben nach unten. In Deutschland soll es einen Rückgang des BIP um 6 Prozent geben. Das ist ein negativer Spitzenwert unter den großen Industrienationen. Schuld daran ist die starke Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft, die in Zeiten der weltweit synchron ablaufenden Wirtschaftskrise besonders negativ zu Buche schlägt.

Auch die Analyse historischer Daten bringt kein Licht in das Dunkel der rätselhaft steigenden Aktienkurse. Vergleicht man die Entwicklungen wichtiger Kenngrößen im ersten Jahr der großen Weltwirtschaftskrise 1929-1933 mit den Daten des nun seit einem Jahr anhaltenden aktuellen Krisenprozesses, wird man eher pessimistisch. So ist damals die weltweite Industrieproduktion im ersten Krisenjahr um 13 Prozent gefallen, in „unserer“ Krise etwa um die gleiche Größe. Das ist irgendwie noch in Ordnung. Der Welthandel jedoch, der in der historischen Krise im ersten Jahr um etwa 5 Prozent zurückgegangen war, ist „bei uns“ im vergangenen Jahr um 15 Prozent eingebrochen. Die Aktienindizes betrugen damals minus 20, heute minus 35 Prozent, das Defizit des „Weltstaatshaushaltes“ damals minus 0,2 Prozent, heute ist es bei etwa 2 Prozent angekommen. In diesem Jahr wird diese Größe wohl bei 4 bis 5 Prozent landen.

Natürlich müsste man eine ganze Reihe spezifischer Bedingungen und Faktoren heranziehen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Perioden zu erklären. Doch eines scheint deutlich zu sein: Die aktuellen Negativprozesse nähern sich im Moment eher den düsteren Szenarien der Weltwirtschaftskrise an, als dass sie sich davon entfernen würden.
Nun sagt man, dass die Aktienkurse eine Art Barometer seien, die die künftige Entwicklung schon mit in die heutigen Kurse einpreisen. Sicher, Erwartungen an die Zukunft spielen eine große Rolle beim Aktienkauf, durch den ja die Kurse letztlich nach oben getrieben werden. Es kann also sein, dass viele Anleger – und das sind nicht nur reiche Leute – Licht am Ende des Krisentunnels sehen, oder von Natur aus optimistisch eingestellt sind. Es kann aber auch sein, dass die Märkte in Richtung nach oben übertreiben und einige wenige positive Fakten gar zu optimistisch interpretieren. Zu den wenigen positiven Nachrichten unserer Tage gehört zum Beispiel die, dass sich die deutschen Verbraucher ihre Kauflaune bisher nicht von der Krise und dem Rummel darum haben verderben lassen. Sie kaufen einfach weiter, als wäre nichts geschehen. Krise? Welche Krise? Das ist natürlich gut so, doch reicht das als Begründung für den drastischen Aufschwung der Aktienmärkte? Na ja: Dann gibt es noch das positive Signal von den Geldmärkten, genauer vom Interbankenmarkt. Über den leihen sich die Geschäftsbanken ohne besondere Absicherung kurzfristige Kredite und sichern so gegenseitig ihre Liquidität. Je höher der Preis für diese Kredite, also je höher die Zinsen, um so höher wird das Risiko der Kreditvergabe eingeschätzt und umgekehrt. Da diese Kredite „unter Kollegen“ nicht abgesichert sind, spielt hier das Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit des Kreditnehmers eine besondere Rolle. Das Positive von diesem Markt: die Zinsen sind wieder stark gefallen, das heißt das gegenseitige Vertrauen der Banken zueinander kehrt zurück, was sich positiv auf die Kreditvergabe für die Realwirtschaft auswirken dürfte.

Was also ist die Ursache für den Aufschwung der Aktienmärkte? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht, hoffe aber, dass es nicht schon ein Vorbote der nächsten Aktienblase ist. Möglich ist das; schließlich wird im Moment viel Geld in die Wirtschaft gepumpt, das sich wohl kaum erschöpfend in sinnvollen realwirtschaftlichen Prozessen verwenden lässt.

Bodo Lochmann

22/05/09

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia