Clara Momoko Geber, Japanologin und Slawistin, begab sich in der ersten Jahreshälfte auf die Suche nach InformantInnen zum Thema „Japanische Kriegsgefangene in Kasachstan und ihre Hinterlassenschaften“. Die stärkste Korrelation zwischen Kasachstan und Japan bestand im Zweiten Weltkrieg, als japanische Soldaten in sowjetischen Gefangenenlagern festgehalten wurden. Diesem Recherchethema ging sie in Kasachstan in Archiven, Expertengesprächen und Ortsbesichtigungen nach. Ihre Ergebnisse fasst sie in Form einer Artikel-Serie für die DAZ zusammen. In diesem Artikel geht es um einzelne Ereignisse während der Lagerhaft in Kasachstan.

[…] Die Lager in Alma-Ata (Almaty) und Akmolynsk (Astana)

Im Lager von Alma-Ata (heute Almaty) ereignete sich eine besondere Gegebenheit, die vom Historiker Ajitaka Shunsuke beschrieben worden ist: Die japanischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges wurden in das Lager gebracht und fanden dort Personen vor, die ähnliche Gesichtszüge hatten. Später stellte sich heraus, dass diese tatsächlich auch Japaner waren, die 1939 beim japanisch-sowjetischen Grenzkonflikt gefangen genommen worden waren. Der Konflikt war die Folge des japanischen Versuchs, den Mandschukuostaat zu gründen.

Durch den Austausch von japanischen und sowjetischen Soldaten konnten zwar einige Japaner in ihr Heimatland zurückkehren, die konkrete Zahl der Gefangenen war aber in Japan nicht bekannt. Die in Almaty zurückgehaltenen Soldaten erhielten später die Möglichkeit, in ihre Heimat zurückzukehren; viele von ihnen verzichteten jedoch darauf. Hauptgrund dafür war, dass die japanischen Soldaten es als eine Schande ansahen, lebend gefangengenommen worden zu sein.

Zudem war die Angst groß, durch die Rückkehr in Ungnade zu fallen und Schande über ihre Familien zu bringen. Viele Kriegsgefangene, die in Kasachstan einen Arbeitsplatz bekamen, konnten dort eine Familie gründen und hatten daher ihre Bindung an Japan verloren. Es soll jedoch einige gegeben haben, die über die wenigen rückkehrenden Soldaten versucht haben, Botschaften an ihre eigenen Familien in Japan zu überbringen.

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Die „japanische Chrysantheme“

Eine Besonderheit des Lagers in Akmolynsk (heute Astana) ist, dass dort unter anderem auch eine Japanerin gefangen gehalten worden ist. Akahane Ayako lehrte das Personal des sowjetischen Konsulats die japanische Sprache. Da sie sprachbegabt war und fließend Russisch sprechen konnte, wurde sie während des Krieges als Spionin verdächtigt und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ein ähnliches Schicksal hatten auch andere in Kasachstan sesshafte Japaner.

Da Akahane eine zarte Person und daher auch anfällig für Krankheiten war, wurde sie von der schweren körperlichen Zwangsarbeit befreit. Obwohl sie im Lager zur Stickerei eingeteilt wurde, erkrankte sie aufgrund der chronischen Unterernährung und bedrückenden Bedingungen; bei ihr wurde eine Entzündung des Mittelohrs und der Lymphknoten diagnostiziert. Akahane wurde in die Krankenstation des Lagers gebracht, wo sie aufgrund unzureichender ärztlicher Hilfsmittel die Hörfähigkeit ihres linken Ohrs verlor.

Trotz ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung musste sie ihrer Arbeit nachgehen und bestickte verschiedene Stoffe mit dem Motiv der Chrysantheme. Aufgrund der Schönheit dieses Motivs wurde sie schnell im ganzen Lager berühmt und als „japanische Chrysantheme“ bezeichnet. Im Juli 1950 wurde Akahane aus dem Lager entlassen und nach Sibirien gebracht. Erst im Jahre 1955 konnte sie nach Japan zurückkehren.

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Der Kengir-Aufstand (Schesqasghan)

Im Jahre 1954 fand von Mai bis Juni ein Hungerstreik im Lager beim Fluss Kengir (heute ein Teil der Stadt Schesqasghan) statt. In diesem berüchtigten Lager lebten vor allem kriminelle Straftäter und politische Verbrecher. In drei Baracken wurden etwa 8000 Gefangene aus Japan, China, Deutschland, Russland, der Ukraine, Polen und Tschetschenien festgehalten. Als Stalin im März 1953 verstarb, wurde die Hoffnung der Kriegsgefangenen immer größer, die lang ersehnte Freiheit erlangen zu können. Gleichzeitig wuchs jedoch auch die Angst der sowjetischen Behörden vor einem Aufstand. Um die Situation unter Kontrolle halten zu können, begannen sie, selbst bei geringen Vergehen Gefangene zu exekutieren.

Im Mai desselben Jahres wurden z.B. 16 Gefangene grundlos von einem jungen Offizier erschossen. Auch wenn die Behörden versuchten, mit einer Verringerung der Nahrungsmittelration die Gefangenen unter Druck zu setzen, konnte die Rebellion nicht eingedämmt werden. Als im Mai 1954 im Frauenlager Kengir ein 17-jähriges Mädchen hingerichtet werden sollte, zerstörten etwa 800 Insassen mit Spitzhacken und Hämmern die Mauer und drangen in das Hauptlager der sowjetischen Offiziere ein.

Der Aufstand hatte Erfolg, da die sowjetische Wachmannschaft überwältigt und das Mädchen gerettet werden konnten. Anschließend wurden innerhalb des Lagers Gruppen gegründet, um eine selbstständig funktionierende Gemeinschaft zu bilden. Es wurden auch Forderungen danach gestellt und nach Moskau weitergeleitet, dass die Verstorbenen begraben und die Verletzten behandelt werden sollen. Diese Forderungen wurden jedoch abgewiesen. Von der Regierung wurde die selbstständige Organisation der Kriegsgefangenen geduldet, solange die geplanten Bauarbeiten von den japanischen Kriegsgefangenen zeitgerecht durchgeführt wurden.

Am 26. Juni wurden aus Moskau Truppen und Panzerwagen ausgeschickt, um im Lager in Kengir wieder die Kontrolle über die Kriegsgefangenen zu erlangen. Dabei starben etwa 700 Japaner. Dieses Ereignis in Kengir wurde als „Kengir-Aufstand“ bezeichnet; die Auflehnung der Insassen wurde in der damaligen Sowjetunion als heldenhafte Tat berühmt. Die sowjetische Regierung nahm ihn zum Anlass, die Konditionen in den Kriegsgefangenenlagern zu verbessern und die restriktiven Maßnahmen zu lockern.

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Die Lager in Spassk

Das Gefangenenlager in Spassk nahe Karaganda wurde hauptsächlich für Kranke genutzt. In den sieben Krankenstationen wurden verletzte oder erkrankte Gefangene aus ganz Kasachstan behandelt. Die dort internierten Soldaten wurden zwei bis drei Mal die Woche von deutschen Ärzten untersucht und erhielten neben den Medikamenten zudem täglich drei Mahlzeiten, bei denen sogar für Kriegsgefangene luxuriöse Speisen wie Joghurt, Pirogi und Pudding ausgeteilt wurden. Für die Gefangenen in anderen Lagern wurde Spassk als eine „Traumdestination“ idealisiert. Nach Auflösung der Kriegsgefangenenlager um 1950 wurden dort bis 1956 auch zivile Zwangsarbeiter und verurteilte Kriminelle untergebracht. In Spassk wurde der letzte japanische Kriegsgefangene festgehalten, der heute noch in Kasachstan lebt.

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[…] Die Fortsetzung dieses Beitrags lesen Sie in der nachfolgenden Ausgabe.

Clara Momoko Geber

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