Die bekannte Jazzformation um die herausragende Jazzpianistin Julia Hülsmann existiert bereits seit 18 Jahren und beehrt nun auch Zentralasien. In Kasachstan spielt das Trio in Karaganda sowie im Rahmen des Jazzfestivals in Almaty, das vom Goethe-Institut unterstützt wird. Wir sprachen vorab mit Julia Hülsmann (Piano, JD), Heinrich Köbberling (Schlagzeug, HK) und Clara Däubler (Bass, CD) über ihre Eindrücke zu Zentralasien, Jazzförderung, aber auch über russlanddeutsche Musiker sowie das Erbe der sowjetischen Musikausbildung.

Ihr habt bereits zwei Stationen eurer Konzerttournee in Zentralasien absolviert, wie läuft es bislang?

HK: Wir waren in Bischkek und Aschgabat. Der Extra-Bischkek-Termin kam am Ende noch wegen des Besuchs von Außenminister Steinmeier dazu.

War Frank-Walter Steinmeier dann auch bei dem Konzert?

JH: Ja, klar. Das war aber eher eine Art außerplanmäßige Jamsession mit einem Saxophonisten aus Bischkek. Das Bischkek-Festival-Konzert kommt noch.

Und was für Eindrücke habt ihr bis jetzt?

HK: Das Publikum in Kirgisistan und Turkmenistan, bei den beiden bisherigen Konzerten war super. Wir haben auch Workshops gegeben. Die Leute mussten zunächst ein wenig auftauen und Vertrauen fassen, insbesondere in Aschgabat, aber dann lief alles rund.

Turkmenistan ist zwar ein spannendes Land, aber man hat sich schon ein wenig beobachtet gefühlt. Es gibt einfach mehr Einschränkungen als anderenorts. Aschgabat ist eine leere Stadt – alles ist prachtvoll bebaut und ist abends beleuchtet, aber es ist niemand auf den Straßen.

Und wie fühlt es sich in Almaty an?

JH: Richtig gut und lebhaft. Als wir hier gestern ankamen, atmeten wir erst mal auf.

Ihr habt von Workshops gesprochen – was genau passiert da, und gibt es auch einen in Almaty?

JH: Ja, am 6. April in der Jazzschule. In Bischkek war es ganz spannend. Das war zum ersten Mal, dass es in diesem Musik-Internat war. Das waren Jugendliche ab ca. 10 Jahren, die klassische oder traditionelle Musik lernen.
HK: Zunächst haben wir ein wenig angefangen zu spielen, und danach haben wir sie gebeten, uns etwas vorzuspielen. Und es war unfassbar…
JH: Wir haben einfach mit ihnen zusammen gespielt und musikalisch eingesetzt, wenn es für uns machbar war. Eine Art Jam.

Dann lief es ja bereits hervorragend mit den Begegnungen und dem kulturellen Austausch?

CD: Gerade in Bischkek, wo wir traditionelle Musik kennenlernen durften. Aber auch in Aschgabat, wo wir einen Schlagzeuger kennenlernten, der u.a. bereits in Deutschland aufgetreten war und uns sehr viel von dem Leben in Turkmenistan erzählen konnte. Es ist spannend, direkte Berührungspunkte zu haben.
JH: Ja, derselbe Schlagzeuger hat uns dann auch beim gemeinsamen Spielen mal den Takt angesagt, den wir nicht sofort aufgeschnappt hatten. Was den Rhythmus angeht, haben die Menschen teils außerordentliche Fähigkeiten.

In Kasachstan und auch in der gesamten zentralasiatischen Region gibt es eine lange kulturhistorisch aufgebaute musikalische Tradition. Geschichten wurden früher ausschließlich mündlich, durch Gesang und musikalische Untermalung weitergegeben. Die Verschriftlichung setze erst sehr spät ein. Deshalb nimmt Musik in den hiesigen Gefilden einen hohen Stellenwert ein. Habt ihr euch damit schon einmal befasst?

JH: Nein, noch nicht, das ist für mich etwas ganz Neues.
HK: In Aschgabat hat unsere Koordinatorin uns auch einen Tipp gegeben, um mit dem Publikum warm zu werden und empfahl uns, ein traditionelles Stück der Region zu spielen. Das haben wir dann auch gelernt.
CD: … und die Leute sind ausgeflippt beim Konzert.

Was haltet ihr vom Festivalprogramm in Almaty?

JH: Soweit wir das ersehen können, sind das alles modern eingestellte Jazz-Bands. Das würde stilistisch ganz gut zusammenpassen. Das Festival gibt es ja auch schon länger, und es ist international, deshalb gehe ich nicht davon aus, dass wir es mit traditionellen Jazz-Stücken „ködern“ müssen. Es wird bestimmt spannend.

Warum Kulturpolitik? Wie ist das Trio mit dem Goethe-Institut zusammengekommen?

JH: Wenn man als Musiker aktiv ist, kommt man mit dem GI immer wieder in Berührung. Zum Beispiel bei einem irischen Festival, zu dem wir einst eingeladen wurden und das vom GI Unterstützung erhielt.

Ich denke, dass Kulturpolitik über Musik wahnsinnig gut funktioniert. Verständigung und Austausch sind einfacher über Musik und auch direkter und emotionaler. Es ist einfach eine ganz gute Art der Kommunikation.

Julia, Du bekommst dieses Jahr den ältesten und renommiertesten Jazzpreis in Deutschland, den SWR-Jazzpreis, wie sind da deine Emotionen?

JH: Ja, ich erhalte ihn im Oktober. Als es angekündigt wurde, war ich total überrascht. Das hilft wahnsinnig viel. Und hier kommen wir wieder zur Kulturpolitik: Es ist zwar so, dass in Deutschland viel Kulturförderung vonstattengeht, aber nicht was Jazz angeht. Das bedeutet für viele Jazzmusiker einen täglichen Überlebenskampf. Wenn man dann einen mit 15.000 Euro dotierten Preis bekommt, heißt es, dass man für eine gewisse Zeit den Rücken frei hat, um Kunst zu machen und sich weiter zu entwickeln. So einfach ist das. Denn viele Musiker haben teils ganz andere Jobs oder müssen nebenbei viel unterrichten. Von solchen Preisen müsste es mehr geben, denn diese Kunstform braucht mehr Unterstützung und hätte es auch verdient.

Wie sieht es aus mit der Stiftungslandschaft rund um Jazz?

HK: Es gibt welche in einigen größeren Städten, aber lange nicht genug.
JH: Wichtig zu wissen ist vielleicht auch, dass es neben dem SWR-Jazzpreis einen anderen, genauso hoch dotierten gibt: den Albert-Mangelsdorff-Preis. Er leistet ebenso wichtige Unterstützung und wird von der Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ) verliehen.

Was kann man Kasachstan mit einer jungen Jazz-Szene mit auf den Weg geben? Den jungen Musikern, die von einer Jazzkarriere träumen und kaum Fördermöglichkeiten haben?

HK: Vor allem, dass man wegkommt von diesem Einzelkämpfer-Dasein. Das ist auch in Deutschland total verbreitet. Jeder kämpft für sich und hält Strukturen wie Verein oder Gewerkschaft für nicht notwendig. Wenn man sich nicht zusammenschließt, passiert auch nichts. Auch in Deutschland war es lange Zeit der Fall und ist teils auch heute noch so. Die UDJ als eine Art Jazz-Gewerkschaft wurde aus ihrem Schlaf vor rund 4,5 Jahren wiederbelebt und zählt nun ca. 1000 Mitglieder. Die Menschen sind nach wie vor sehr zögerlich.
JH:
Das Zusammenschließen und die Netzwerke sind sehr wichtig. Aber auch lautstarke Meinungsmache – man muss den Politikern seine Ziele zum Ausdruck bringen. Transportieren, was man erreichen möchte und warum das für eine positive Entwicklung der Gesellschaft essentiell und gut ist. Es ist sehr gut, dass es bereits eine Tradition der Jazzfestivals in der Region gibt.

Das Julia Hülsmann Trio ist ja eigentlich mit Marc Müllbauer am Kontrabass, wie kommt es zur Neuformation – pragmatische Gründe?

JH: Total pragmatische. Marc Müllbauer ist mein Mann, und einer musste bei unserem gemeinsamen Sohn bleiben, da dieser tourneemüde ist.

Clara, wie bist Du zum Trio gekommen?

CD: Ich bin eine ehemalige Schülerin von Marc und kenne deshalb auch Julia. Ich bin vor kurzem mit meinem Studium fertig geworden und werde netterweise immer wieder von Julia in Projekte hereingeholt. So auch für die Tour durch Zentralasien. Ich bin beeindruckt, da es für mich die erste Tour dieser Art ist und auch noch mit solchen herausragenden Musikern.

Bemerkst Du in deiner Generation der Jazzmusiker neue Tendenzen, die sich abzeichnen?

CD: Ich weiß nicht, ob es nur für die jüngere Generation zutrifft, aber es ist durchaus so, dass man vermehrt Gründungen von Kollektiven stattfinden. Vielleicht begreift man mittlerweile tatsächlich mehr, dass man sich in Netzwerken organisieren muss. Musikalisch betrachtet sucht natürlich jede Generation neue Wege. Aber was ich am Jazz auch besonders schön finde, ist, dass sich Generationen vermischen. Und, dass es auch eine lange Tradition hat, dass die „alten Hasen“ sich die „jungen Hüpfer“ in die Band holen. (Alle lachen)

Seid ihr auf eurer Tour eigentlich schon Kasachstandeutschen begegnet?

HK: Nein, zumindest nicht bewusst. Aber ich unterrichte in Leipzig an der Hochschule für Musik und Theater und habe da einen Schüler mit kasachstandeutschem Hintergrund. Es gibt einen unfassbar guten Schlagzeuger – Stanislav Neufeld – er kommt aus Karaganda und hat mit fünf zu spielen angefangen und mit acht Jahren bereits Wettbewerbe gewonnen. Und sein Bruder Eduard Neufeld ist ein super Saxophonist. Das Musikalische kommt wohl aus der Familie, der Vater ist Musiker.

Außerdem leben in der Gegend wo ich herkomme – in der Nähe von Kassel – sehr viele Russlanddeutsche, deshalb kenne ich einige Erzählungen über Kasachstan.

Es ist ja durchaus bekannt, dass die Sowjetunion ihren Nachwuchs gern drillte: in der Schule, im Sport, aber auch in der Musik. Ist das auch irgendwie in der deutschen Musikszene bemerkbar durch die vielen Spätaussiedler? Heinrich, vielleicht hast Du da als Professor Erfahrungen gesammelt?

HK: Ja durchaus. Im Klassischen kann man insbesondere Pianistinnen – von denen wir momentan vier mit solchem Hintergrund an der Hochschule haben – nichts vormachen. Es ist unglaublich, was sie technisch leisten können. Das ist die alte Schule und der Fakt, dass man schon mit vier, fünf Jahren zu spielen anfängt.

Gibt es solche Strukturen auch in Deutschland?

JH: Es gibt städtische Musikschulen, und da gibt es natürlich auch Lehrer, die auf Nachwuchsförderung achten und talentierte Schüler auch zu Wettbewerben schicken. Aber es ist schon eher die Ausnahme.
HK: Unsere Musikschulen sind auch voll, und die Plätze sind begehrt. Aber der Unterschied der beiden Systeme liegt vielleicht auch in der Autorität der Lehrer, die sich eindeutig unterscheidet.
JH: Auch inhaltlich gibt es Unterschiede. Ich habe gehört, dass es in den postsowjetischen Ländern nach wie vor eine sehr breit ausgerichtete Ausbildung gibt mit Gehörbildung und Theorie. In Deutschland gibt es das höchstens als Studienvorbereitung, ansonsten heißt es: Instrumentalunterricht.

Es hat in Deutschland eher einen Hobbycharakter, während es in hiesigen Gefilden einer Ausbildung gleicht. Die Frage ist, über wie viele Generationen solche strengen Strukturen noch fortbestehen.

HK: Bisher scheint das Wissen noch weitergegeben zu werden. In Bischkek durften wir auch ein erstaunliches Talent erleben – ein junges Mädchen, das uns eine wahnsinnige Rachmaninoff-Einlage zum Besten gab.

Was habt ihr noch vor?

JH: Wir freuen uns auf jeden Fall auf die kommenden Konzerte und das Publikum und auch auf die jeweiligen Reisen in die Städte. Es ist spannend, die verschiedenen Landschaften zu betrachten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Julia Boxler

Anstehende Konzerttermine:
08.04., 19:00 – Kasachkonzert-Saal, Abylai-Chan-Str. 83, Almaty (im Rahmen des Internationalen Jazz-Festivals), Ticketinformation: www.jazz.kz
09.04., um 18:00 – Kirgisische Staatliche Satylganow-Philharmonie, Tschui Ave 251, Bischkek (im Rahmen des Internationalen Jazz-Festivals)
11.04., um 18:00 – Kirgisisches Nationales Ibraimow-Schauspielhaus, Kurmanshan-Datka-Str. 162, Osch

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