Sie kommen als Austauschstudenten, Freiwillige, Sprachassistenten oder Praktikanten. Was zieht junge Menschen nach Kasachstan? In einer losen Reihe stellen wir einige von ihnen vor, um dieser Frage auf den Grund zu gehen. Julia Tappeiner ist Italienerin und stammt aus der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol. Die 24-Jährige hat im vergangenen Jahr ihr Bachelorstudium in „European Studies“ mit Schwerpunkt Politikwissenschaften im bayrischen Passau abgeschlossen und war anschließend von September 2017 bis Februar 2018 für ein sechsmonatiges Praktikum bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Astana.

Was waren deine Aufgaben bei der GIZ?

Ich war zur Hälfte Praktikantin des Landesbüros Kasachstan, das heißt, ich habe kleinere Aufgaben für alle Projekte übernommen, die in Kasachstan tätig sind. Darunter zum Beispiel im Tonstudio für einen Projektfilm gesprochen, Übersetzungen sowie verschiedene Kommunikationsinstrumente (Fact sheets, Powerpoints, etc.) angefertigt, oder an verschiedenen Konferenzen teilgenommen.

Außerdem war ich Praktikantin für das konkrete Projekt „Förderung der Rechtsstaatlichkeit in Zentralasien“, das in allen fünf zentralasiatischen Republiken tätig ist. Dabei war ich hauptsächlich für die Erstellung des Projektfortschrittsberichts zuständig, der am Ende eines jeden Jahres das jeweilige Projekt anhand von Wirkungsindikatoren analysiert und auswertet. Diese Daten werden dann in diesem Bogen zusammengefasst und an die Zentrale in Deutschland geschickt, um eine Evaluation der erzielten Fortschritte machen zu können. Da es ein regionales Projekt war, hatte ich die Möglichkeit durch verschiedene Dienstreisen auch Usbekistan und Kirgistan kennen zu lernen.

Wieso hast du dir Kasachstan für dein Praktikum ausgesucht?

Nach einem Auslandssemester in Moskau habe ich mein Studium auf Russland fokussiert und meine Bachelorarbeit zu den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland geschrieben. Da mein Interesse seitdem dem russischsprachigen Raum gilt, wollte ich meine Fachkenntnisse auf den gesamten postsowjetischen Raum ausweiten und habe mich daher in Ländern Zentralasiens und Osteuropas beworben.

Die beste Art, Einblicke in die politische Kultur und Gesellschaft eines Landes zu bekommen, ist, dort zu leben. Außerdem erachtete ich es als gute Möglichkeit, mein Russisch zu verbessern.

Wie blickst du auf die vergangenen Monate?

Es war eine spannende Zeit, in der sich mir eine komplett neue Kultur und Region erschlossen hat. Als Politikwissenschaftlerin war es interessant zu beobachten, wie dieses Land dabei ist, seine eigene kulturelle Identität zu finden und zu festigen. Länder in Transformation sind immer sehr aufregend zu analysieren, insbesondere direkt vor Ort. Ich werde die Entwicklungen Zentralasiens und insbesondere Kasachstans weiterhin mit Spannung verfolgen.

Persönlich habe ich im Rahmen meiner Arbeit und Reisen sehr gastfreundliche und nette Menschen getroffen, beeindruckende Landschaften entdeckt und mich an kulinarischen Besonderheiten erfreut. Oft war es aber auch schwer, bestimmte kulturtraditionelle Ansichten, die in der Gesellschaft verankert sind, zu akzeptieren. Durch die Brillen des europäischen Individualismus sowie der Emanzipation der Frau war Manches für mich einfach nicht begreifbar und hat mich oft frustriert.

Was wird dir besonders in Erinnerung bleiben?

Die Reisen nach Almaty und Ausflüge in der Umgebung wie dem Charyn Canyon oder dem Kaindy See. Und wohl auch die schneidende Kälte Astanas im Winter.

Du kommst selbst aus der deutschsprachigen Minderheit in Italien. Kannst du einen Vergleich zur Situation der deutschen Minderheit hier ziehen?

Soweit ich das mitbekommen habe, sprechen die wenigsten Menschen mit deutschen Wurzeln in Kasachstan von Geburt auf Deutsch. Das heißt, die Sprache hat sich über die Generationen nicht erhalten. Vielmehr ist es so, dass junge Menschen, aufgrund ihrer deutschen Wurzeln, Interesse an der Sprache entwickeln und in der Schule oder im Studium dann Deutsch lernen. Aus diesem Grund ist die deutsche Sprache hier weniger politisiert, da sie nicht die Verkörperung ethnischer Herkunft oder Identität darstellt.

In Südtirol ist die Sprache aktiv gesprochen und sehr eng gekoppelt mit Identität, wodurch sie häufig zu ethnischen Konfliktlinien in der Gesellschaft führt beziehungsweise sich in diesen manifestiert. Mittlerweile hat sich das Zusammenleben bei uns deutlich verbessern, es sind aber leider weiterhin Spannungen da. Von solchen Spannungen zwischen ethnischen Kasachen und deutschstämmigen Kasachstanern habe ich hier nicht viel mitbekommen. Das liegt aber auch an unterschiedlichen historischen Gegebenheiten, auf die ich hier nicht ins Detail eingehen möchte, da ich sonst ganze Seiten füllen könnte (lacht).

Fakt ist aber, dass die deutschsprachige Minderheit in Südtirol als ganzes Territorium gegen ihren Willen an einen anderen Staat gegliedert wurde, während es sich bei der deutschen Minderheit Kasachstans um Individuen handelt. Durch diese territorialpolitische Bindung ist wohl in Südtirol der Anspruch auf „Unabhängigkeit“ bzw. Angliederung an das „alte Mutterland Österreich“ noch stärker vorhanden, was als Katalysator solcher Spannungen dient. Die deutsche Minderheit in Kasachstan hingegen hat sich stärker an das Land angepasst und sticht weniger heraus, finde ich.

Du arbeitest auch als Journalistin. Welche Themen findest du in Kasachstan/Zentralasien besonders spannend?

Als Politikwissenschaftlerin interessieren mich politische Themen besonders. Da Kasachstan ein sehr junges Land ist, ist es spannend zu beobachten, wie es auf der Suche nach einer nationalen Identität ist, wie traditionelle Identitätsmerkmale wieder aktiviert werden, um ein nationales Bewusstsein in der Bevölkerung zu festigen und wie sich der Transformationsprozess in den einzelnen Ländern unterschiedlich fortsetzt. Ich bin überzeugt, dass die gesamte Region vor großen Entwicklungen steht, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch aufgrund anstehender Machtwechsel.

Es wird spannend zu sehen, wie die Gesellschaft darauf reagieren wird, aber auch, wie die Region im internationalen Kontext in Zukunft wahrgenommen wird. Ich glaube, die „Stans“ fangen an, mehr internationale Aufmerksamkeit zu erhalten. Als Journalistin möchte ich gerne dazu beitragen, ein differenzierteres und authentischeres Bild der Region nach außen zu bringen, da es leider viel zu wenige Experten in diesem Bereich gibt. Das habe ich unter anderem mit meinem Artikel für Novastan.org über den Handel und Konsum von Drogen in Zentralasien versucht.

Was steht als nächstes für dich an?

Zunächst einmal verbringe ich etwas Zeit zu Hause bei meiner Familie. Während meiner Zeit in Astana habe ich die Natur und die Berge stark vermisst. Daher gehe ich viel wandern, Skifahren und was die Südtiroler Berge sonst noch alles bieten. Nebenher arbeite ich in verschiedenen Nebenjobs, unter anderem als Journalistin, um Geld für die nächste Reise zu sparen.

Ab Mai geht es dann in eine andere, mir bisher noch unbekannte Region des postsowjetischen Raums: Den Südkaukasus. Gemeinsam mit einer Freundin werde ich drei Monate lang Georgien, Armenien und Aserbaidschan bereisen. Wir planen dabei ein journalistisches Projekt auf die Beine zu stellen. In Form von Portraits von Menschen vor Ort, einem Reiseblock oder Ähnlichem. Das ist gerade noch in Planung. Ich hoffe jedenfalls, dass es klappt und wir einen Ableger für unsere Texte finden werden. Ich möchte gerne mehr Geschichten aus der Region in den Westen bringen.

Also wirst du wiederkommen?

Auf jeden Fall! Allein schon des „Beshbarmak“ wegen (lacht).

Das Interview führte Othmara Glas.

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