Den Abschluss der Serie mit Reiseerlebnissen der DAZ-Autoren Angela Lieber und Mathias Fritsche bildet der Besuch von Sauran, der ehemaligen Festungsstadt in der südlichen Steppe Kasachstans. Dieser Ort ist nur wenige Kilometer von der Stadt Turkistan entfernt und voller Geschichte. Nicht nur alte Mauern und Scherben zeugen von der Größe vergangener Kulturen.

Für islamische Kasachen ist es einer der heiligsten Plätze im Land und Wallfahrtsort zugleich – Turkistan. Zu der Hodzha Achmed Jassawi-Grabmoschee, deren Abbild auf jedem kasachischen Geldschein zu finden ist, kommen Jahr für Jahr tausende Touristen. Sie alle wollen das 44 Meter hohe Gotteshaus und UNESCO-Weltkulturerbe mit der riesigen blauen Kuppel und den bunten Mosaik-Verzierungen besuchen. Jeder Einheimische kennt den Weg zu dem heiligen Ort aus dem 14. Jahrhundert. Um einen Taxifahrer zu finden, der weiß, wo sich die ehemalige Festungsstadt Sauran befindet, bedarf es jedoch ein wenig Geduld. Der Preis ist schnell verhandelt, doch das Ziel ist noch immer unklar, als wir weit außerhalb Turkistans an Schafherden und kleinen Friedhöfen mit weißgekalkten Mausoleen vorbeifahren. Die Straße führt schnurgerade in Richtung Horizont, parallel dazu reihen sich Stromleitungen auf hölzerne Masten. Direkt dahinter beginnt die Steppe. Nur die Bahnlinie in Richtung Aktöbe, die in einiger Entfernung zur Straße verläuft, stört den ungehinderten Blick auf die Landschaft aus Grasbüscheln und rotbräunlicher Erde. Nach einer guten Stunde verweist das erste Schild nach „Sauran“. Ein wenig unsicher erkundigt sich unser Fahrer bei einem im Moskwitsch entgegenkommenden Ortsansässigen nach dem Weg und erfährt, dass wir weiter der breiten, grau asphaltierten Hauptstraße folgen müssen. Am zweiten Schild halten wir wieder. Durch den Reiseführer gewarnt, nehmen wir unserem Fahrer ein wenig die Unsicherheit und überreden ihn zur Weiterfahrt. Keine zwei Kilometer entfernt, abseits der Straße, sind die Reste des gesuchten Saurans in der Ferne zu erkennen. Der in den ersten frühlingshaften Sonnenstrahlen getaute Schnee hat den Feldweg in Richtung der alten Stadt völlig aufgeweicht. Unterhalb der Bahnunterführung, wo sich eine Pfütze unbekannter Tiefe mit den Ausmaßen eines LKWs gesammelt hat, ist die Fahrt zu Ende.

Weinreben, Melonen und Medressen

Die letzten gut 500 Meter legen wir zu Fuß zurück. Je näher man den bräunlichen Mauerresten kommt, desto gewaltiger erscheint diese Anlage. Der kurze, aber steile Anstieg zu einem torähnlichen Durchlass erfordert einen festen Schritt und gutes Schuhwerk. Im zweiten Versuch gelingt es uns trotz wegrutschender Schuhe die Kuppe des Walls zu erklimmen. Dahinter eröffnet sich ein beeindruckender Ausblick auf eine riesige Grasfläche, eingefasst in Reste einer ehemaligen Festungsanlage aus roten Lehmziegeln. Das ebene Rund erstreckt sich über knapp einen Kilometer in alle Richtungen bis zur nächsten Stadtmauer.

Dazwischen befinden sich nur grasbewachsener Steppensand und wenige Überreste einer Siedlung. Die Ausgrabungen ruhen hier sichtlich schon seit geraumer Zeit. Die freigelegten Gemäuer eines alten Gebäudes sind mit einer dünnen Schnur abgesperrt, der aufgeweichte Boden in der Grube jedoch schon wieder überwachsen. „Ausgrabungen gab es in Sauran in den Jahren 2004 und 2005“, berichtet Professor Karl Baipakow, Direktor des Institutes für Archäologie, später in Almaty. Geplant sei, diese in den kommenden Jahren fortzusetzen, um Sauran in der Zukunft als Museum nutzen zu können. „Zur Blütezeit im 18. Jahrhundert haben in der Stadt, die die Grenze zwischen dem sesshaften und nomadischen Gebiet darstellte, bis zu 15.000 Menschen gelebt, studiert und gearbeitet“, so der kasachische Archäologe. Bereits seit dem 10. Jahrhundert siedelte man an der Stelle, die heute nur noch durch Mauerüberreste als Siedlung auszumachen ist. Es gab Medressen, islamische Hochschulen, Juweliere, Adlige, Handwerker und Bauern, die vom Wein- und Melonenanbau sowie der Viehzucht lebten. „Über den Untergang von Sauran ist man sich bis heute unter den Experten nicht einig, aber am wahrscheinlichsten ist die Zerstörung durch kriegerische Einfälle der Mongolen im 18. Jahrhundert“, erzählt Professor Baipakow. Ausführlich berichtet er weiter von der hoch entwickelten Töpferkunst in der Stadt und verweist dabei auf die Scherben, die auch wir zu tausenden in den Mauern der ehemaligen Handelsstadt an der nördlichen Seidenstraße sehen. Mit feinen und bunten Verzierungen liegen viele von ihnen unter der warmen Steppensonne im weichen Boden. „Sie stammen größtenteils von kasachischen Alltagsgegenständen aus dem 13. bis 18. Jahrhundert,“ so Baipakow, „besonders gut erhaltene Exemplare wurden bei der Entdeckung einer alten Moschee in Sauran gefunden.“

Nur ungern verlassen wir diesen Ort mit seinen farbenfrohen Zeugen vergangener Tage, um in das rund 40 Kilometer entfernte Turkistan zurückzukehren. Viel zu fesselnd ist der Blick von den hohen Turmresten entlang der sieben Mauern, die diese Stadt einmal schützten. Die Überreste kasachischer Geschichte unter den Füßen, schweift der Blick über die unendlich scheinende Steppe, bleibt an den in der Ferne schimmernden weiß bedeckten Bergen des Talas-Alatau-Gebirges hängen und wird wieder von der Größe dieser Anlage gefangen.

Von Mathias Fritsche

24/03/06

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