„Pferde sind die Flügel der Menschen“ – so lautet ein kirgisisches Sprichwort. Seit Ende Dezember läuft der gleichnamige Film des Regisseurs Aktan Arym Kubat in deutschen Kinos. Es geht um den Verlust von Traditionen, die Spannungen in der kirgisischen Gesellschaft und nicht zuletzt um Pferde, die einst untrennbar mit der Identität und der Freiheit der Kirgisen verwoben waren.

Hoch oben in den Bergregionen Kirgisistans geht ein Pferdedieb um. Auf die edelsten Tiere hat er es abgesehen, die den Oligarchen die liebsten Statussymbole sind. Doch dem Pferdedieb geht es nicht um Geld. Er reitet die Tiere in die Freiheit und entlässt sie in die offenen Täler des Alatau-Gebirges – bis sie dort unweigerlich von ihren Besitzern wieder aufgegriffen werden, die dem Treiben mit aller Macht ein Ende setzen wollen.

Eine andere Zeit

Das ist die Handlung des neuesten Films von Regisseur Aktan Arym Kubat „Die Flügel der Menschen“, der seit dem 28. Dezember 2017 auch in deutschen Kinos läuft. Der Pferdedieb heißt Zentaur und lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in einem kleinen Dorf. Dort gibt es außer dem Gerede der Dorfbewohner nicht mehr viel.

Nur das ehemalige Kino, das heute als Moschee genutzt wird, und in dem Zentaur früher als Filmvorführer arbeitete, erinnert noch an die Zeit, als Filme aus Russland und Bollywood von einer anderen Welt erzählten. Zentaur ist ein Träumer und ihn bedrückt es, wie sich die Zeiten geändert haben – die Pferde, einst untrennbar mit der Identität und der Freiheit der Kirgisen verwoben, sind heute eine Ware, von menschlicher Profitgier in einen Stall verbannt.

Kubat, auch als Aktan Abdykalykow bekannt, ist nicht nur Regisseur des Films, sondern spielt auch die Hauptrolle des Zentaurs selbst. Der Film zeigt ein sich ständig veränderndes Land, in dem den mythischen Verbindungen zwischen Mensch und Tier nur mit Mühe die Treue gehalten werden kann, und nutzt dabei die wundervolle Kulisse des kirgisischen Hochgebirges.

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Islamisten versus Traditionalisten

Kubat greift viele aktuelle Themen der kirgisischen Gesellschaft auf: die Stellung der Frau und behinderter Menschen, die zunehmende Rolle des Islams und die sich verändernden Traditionen und Mythen. Damit ging „Die Flügel der Menschen“ auch als kirgisischer Kandidat um eine Oscar-Nominierung als bester nicht-englischsprachiger Film ins Rennen.

Als liebenswerter Eigenbrötler, der mit Mitte 50 immer noch Junggeselle war, wurde Zentaur mit der weitaus jüngeren, jedoch taubstummen Maripa (Sarema Asanalijewa) verheiratet. Ihr gemeinsamer vierjähriger Sohn (Nuraly Tursunkojojew) weigert sich bis zum Ende des Films zu sprechen. Als Strafe für seine Diebstähle wird von den Richtern eine Reise nach Mekka angeordnet, die ihn wieder auf den richtigen Weg führen soll. Davon hält der Nichtmuslim allerdings wenig.

Eine der Schlüsselszenen des Films ist die Auseinandersetzung zwischen Islamisten und Verfechtern der traditionellen kirgisischen Kultur in der Dorfgemeinschaft. Früher seien die Frauen mit den Männern durchs Land geritten; heute sollen sie zuhause am Herd bleiben und auf die Männer hören.

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Das Hohe Gut der Freiheit

Irgendwann während der 89-minütigen Vorstellung hat man das Gefühl, dass sich der Film ganz schön zieht. Doch so wie die Pferde von ihren Besitzern, fängt auch der Film den Zuschauer immer wieder ein – mit atemberaubenden Landschaften und überraschenden Wendungen. Wer den Film mit Untertiteln und nicht in der deutschen Synchronfassung schaut, kann sich zudem in die Welt der kirgisischen Sprache versetzen lassen.

Leider schaffen es Filme aus Zentralasien eher selten auf deutsche Kinoleinwände. Kubat gelang dies bereits 2010 mit dem Film „Der Dieb des Lichts“. Auch er handelt von gesellschaftlichen Umwälzungen und der Geschichte David gegen Goliath. In einem Interview mit dem deutsch-französischen Fernsehsender Arte sagt Kubat, dass er sich einen Kirgisen ohne Pferd kaum vorstellen könne – schließlich seien die Kirgisen Nomaden und ihre Freiheit ein wichtiges Gut, dass nicht nur in Kirgisistan, sondern auch vor allem in den Nachbarstaaten immer weiter eingeschränkt werde.

Am Ende lässt einen „Die Flügel der Menschen“ nachdenklich zurück – wird Zentaur doch eigentlich dafür bestraft, dass er den Kirgisen ihre Freiheit und das Glück wiederbringen wollte.

Othmara Glas

Mit Material des Neue Visionen Filmverleihs geschrieben.

Trailer zum Film:

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