Die kasachische Filmindustrie ist männlich geprägt. Es gibt kaum Kamerafrauen, wenige Regisseurinnen. Doch die Situation verändert sich: Aufwind geben junge Filmschaffende vor und hinter der Kamera. Über Feminismus in der Filmszene und den Kinofilm einer ehrgeizigen Kasachin, der es bis nach Cannes geschafft hat. 

Geld, Macht, Moral – und eine junge Frau im Mittelpunkt. Darum geht es in „Bad Bad Winter“, der in diesem Jahr auf den Filmfestspielen in Cannes Premiere feierte. Das Besondere dabei: Sowohl Regisseur als auch Hauptdarsteller und Kinematograph sind weiblich. „Meines Erachtens ist es das erste Mal, dass eine Kamerafrau aus Kasachstan nach Cannes gegangen ist“, erzählt Regisseurin Olga Korotko. Und so scheint es, dass 2018 das Jahr der Frauen in der Filmbranche Kasachstans wird. Denn Korotkos Film war in Cannes nicht einzige Erfolg für Kasachstan: Die Kasachin Samal Yeslyamova wurde für ihre Hauptrolle im Film „Ayka“ als beste Darstellerin ausgezeichnet.

Mit einem Budget von gerade einmal 10.000 US-Dollar wurde Korotkos Film „Bad Bad Winter“ gedreht. Ein Großteil des Geldes stammte aus den eigenen Ersparnissen der Regisseurin. In Cannes lief der Film im sogenannten ACID-Programm, in dem Independent-Filme aufgenommen und gefördert werden. Das Programm ist vor allem auf französische Filmemacher ausgerichtet, aber auch internationale Einreichungen sind möglich. Keinerlei Kontakte zur dortigen Jury habend, schickte Olga Korotko einfach eine DVD nach Cannes. Ihr Psychothriller begeisterte die Jury und schaffte es, als einer von vier ausländischen Filmen in das Programm aufgenommen zu werden.

Zwischen Mord und Moral

Olga Korotko
Regisseurin Olga Korotko. | Foto: privat

Mit einer kleinen Crew von etwa zwölf Leuten drehte sie im Frühjahr 2017 in einem Haus in der Nähe von Almaty. Nicht zuletzt aus Kostengründen ist das unbeheizte Haus der einzige Drehort geblieben. Der Film handelt von Dinara, gespielt von Tolganay Talgat, die nach Almaty kommt, um das Haus ihrer Großmutter zu verkaufen. Wissend, dass sie eine große Menge Geld in dem Haus gefunden hat, verlangen ihre „Freunde“, dass Dinara diese von der Schuld eines Mordes freikauft. Allerdings möchte Dinara ihnen kein Geld geben und verurteilt ihre Freunde als Mörder. Sie spricht von Moral und darüber, ein guter Mensch zu sein. Ein psychothrillerartiges Spiel beginnt: Ihre Freunde beginnen Dinara im Haus einzusperren, zerstören ihr Telefon und versuchen sie zu erpressen. Am Ende tötet Dinara ihre Freunde bis auf einen. Dinaras Vater – ein reicher Mann – sorgt am Ende des Filmes dafür, dass der Überlebende für die Morde verantwortlich gemacht wird und sie unschuldig davonkommt.

Die von Dinara gepredigte Moral scheitert letztendlich auf ambivalente Weise. Es geht um Schuld und Unschuld, und die Problematik, sich mit dem nötigen Kleingeld von der eigenen Schuld freikaufen zu können.

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Vom Studium zum ersten Film

Die Zusammenarbeit von Tolganay Talgat und Olga Korotko kam nicht von ungefähr: Beide Frauen haben zusammen im Master Dokumentarfilm studiert. Der renommierte kasachische Filmregisseur und Drehbuchautor Dareschan Omirbajew führte sie in das Genre des Dokumentarfilms ein. Seine Lehre habe die jungen Frauen nachhaltig beeinflusst, wie Tolgat erzählt: „In Kasachstan ist es nicht genau definiert, was eine Dokumentation ist. Viele denken, es ginge nur darum, Leute zu interviewen. Als ich anfing zu studieren, begriff ich, dass es eine eigene Kunstform ist.“

Allerdings ist „Bad Bad Winter“ kein Dokumentarfilm, denn trotz Korotkos Vorliebe für Dokumentationen will sie sich in Zukunft nicht auf dieses Genre festlegen – lässt  sich jedoch davon beeinflussen. Von der Lehre Omirbajews inspiriert, begann die heute 30-Jährige, das Drehbuch für den fiktionalen Film „Bad Bad Winter“ zu schreiben. Von Anfang an hatte sie dafür Tolgat als Hauptdarstellerin im Hinterkopf. Der Schreibprozess war daher von einer regen Korrespondenz zwischen den beiden Frauen begleitet. Außerdem führte Tolgat in Eigenregie das Casting der übrigen Darsteller durch, sodass die Dreharbeiten im Januar 2017 beginnen konnten. Am Ende bestand die Crew zu je sechs Personen aus Frauen und Männern, für kasachische Verhältnisse eine Seltenheit.

Die kasachische Filmszene am Wendepunkt

Für Tolgat war es nicht der erste Film, in dem sie mitspielt. Bisher stand sie aber vor allem auf der Bühne des Deutschen Theaters in Almaty. Ob sie in Zukunft als Schauspielerin oder Regisseurin arbeiten möchte, hat die 27-Jährige noch nicht entschieden. Zurzeit steht sie für ein historisches Drama als Amazone vor der Kamera.

Dass sie sich überhaupt die Frage stellt, vor oder hinter der Kamera zu stehen, ist den Veränderungen der kasachischen Filmszene in den vergangenen Jahren zu verdanken. „Vor einigen Jahren gab es eine Vielzahl an schlechten Filmen. Ich denke, die Leute sind diesen schlechten Filmen einfach überdrüssig“, meint Tolgat. „Jetzt gibt es eine junge Generation, die Lust, Ideen und die Energie hat, das zu ändern. Durch die Globalisierung ist unserer Generation bewusstgeworden, was es auf der Welt gibt und daher kommt vielleicht auch ein Aspekt des Antriebs, qualitativ hochwertige Filme produzieren zu wollen.“ Tolganay Tolgat und Olga Korotko sind Teil dieser Generation. Das zeigt auch die Wertschätzung ihres Films auf internationaler Ebene. Die positive Resonanz, das sie auf den Filmfestspielen bekamen, überwältigte sie.

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Aufbruch von Stereotypen

Bad Bad Winter
Filmplakat.

Die Rolle der Dinara in „Bad Bad Winter“ steht im krassen Gegensatz zur gewöhnlich männlichen Hauptrolle in kasachischen Filmen. Das Frauenbild sei stark stigmatisiert, wogegen sich Korotko auflehnt: „Was mich wirklich wütend am kasachischen Film macht, ist, dass als einzige weibliche Charaktere entweder Ehefrauen, Freundinnen oder junge Frauen, die einen Mann zum Heiraten suchen, vorkommen. Das ist sehr eindimensional und flach. Meine Idee ist, dass wir die Filmindustrie verändern. Wenn wir als Filmemacher mehr weibliche Charaktere, die vielschichtig, ambivalent und interessant sind, in unsere Filme einbinden, können wir die bestehende Mentalität verändern.“

Filme sind demnach nicht nur ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern könnten auch Katalysator für einen Prozess sein. Für Korotko ist Kino ein Werkzeug, mit welchem man die Einstellung der Menschen beeinflussen kann. Diese Idee sollte nicht nur auf die Leinwand, sondern auch auf die Zusammensetzung der Crew übertragen werden. Dass es als Frau vor allem auch hinter der Kamera im kasachischen Filmgeschäft schwer ist, dürfe dabei nicht unbenannt bleiben, betont Korotko: „Es gibt ein hohes Maß an Sexismus. Wenn du eine Kamerafrau bist, wird dich niemand einstellen. Es ist sehr schwierig, einen Job zu finden. Das Gleiche gilt für Drehbuchautorinnen, Regisseurinnen und so weiter. Es wird angenommen, dass Frauen nicht in der Lage sind, solche Arbeiten auszuführen.“

Obwohl sich viele Frauen für filmwissenschaftliche und künstlerische Studiengänge entscheiden, werden ihnen Steine in den Weg gelegt. Solche Hürden würden sich bereits während des Studiums anbahnen, und sobald man den Abschluss mache, haben viele Frauen das Problem, nicht ernst genommen zu werden. Korotko erzählt, dass viele ehemalige Kommilitoninnen mit der Jobsuche aufgegeben haben und sich anderen Aufgaben widmen, zum Beispiel Kindererziehung und Haushalt.

Ohne High Heels kein Zutritt

Dass die von der Regisseurin geschilderten Stereotypen von Mann und Frau nicht nur in der kasachischen Gesellschaft ihren Platz finden, davon zeugen auch ihre Erfahrungen bei den Filmfestspielen: „Was mich in Cannes überrascht hat, war die Situation bei den Abendveranstaltungen. Wenn man keine hohen Schuhe und ein Kleid anhatte, wurde der Zutritt verweigert. Es ist schockierend, dass sogar in Cannes an diesen Rollenbildern festgehalten wird.“ Auf die Frage, ob auch Männer ohne Smoking auf jene Events durften, ist sich Olga unsicher. Es gebe aber einen Unterschied: „Anzüge sind in jedem Fall bequemer als die angeforderten Outfits für Frauen, insbesondere High Heels. Für mich sind High Heels das versinnbildlichte Gegenteil der Unabhängigkeit der Frau. Hohe Schuhe sind zwar schön, aber auf lange Sicht ist man körperlich unfähiger andere Dinge zu tun – bis auf die Tatsache, hübsch auszusehen.“ Korotko boykottierte diese Veranstaltungen, ihre Form von Protest.

Als feministische Filmregisseurin will sie auch in Zukunft weiter Zeichen setzen. „Ich möchte, dass unser Film ein Beispiel ist. Auch wenn die Hälfte der Crew Frauen sind, kann der Film ausgezeichnet sein – und sogar nach Cannes gehen. Die Tatsache, wie gut eine Person in ihren Fähigkeiten ist, hat eben nichts dem Geschlecht zu tun.“ Korotkos nächster Film ist bereits in Planung. Dabei steht eins bereits fest: die Darstellung starker Frauen und das Aufdecken gesellschaftlicher Probleme. Die kommenden Jahre könnten also für die kasachische Filmszene spannend werden – 2018 ist vielleicht nur ein erster Meilenstein.

Mayely Müller

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