Das Schicksal der zum Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland vertriebenen oder geflüchteten Menschen steht im Mittelpunkt einer Ausstellung in Bonn. Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler eröffnete am 2. Dezember 2005 die Schau „Flucht, Vertreibung und Integration“ im „Haus der Geschichte“. Bis zum 17. April nächsten Jahres haben die Besucher die Möglichkeit, sich die über 1000 Exponate anzuschauen. Unser Korrespondent Josef Bata berichtet.

Der Umgang mit der Nachkriegszeit, wie auch mit den 50er oder 60er Jahren, ist nach wie vor ein aktuelles Thema in der deutschen Öffentlichkeit. Die Ausstellung „Flucht, Vertreibung und Integration“, bis April nächsten Jahres im „Haus der Geschichte in Bonn“, wirft ein neues Licht auf diese Zeit.

In Deutschland wie auch in seinen Nachbarstaaten Polen und Tschechien kommt es immer wieder zu Debatten über sogenannte Entschädigungsleistungen an Vertriebene oder über das geplante „Zentrum gegen Vertreibungen“.

Eine der Absichten der Aussteller dürfte es sein, für das Thema Flucht und Vertreibung diese Gesprächspartner zu sensibilisieren, die Inhalte der Debatten mit geschichtlichem Material zu belegen und das schwere durchlittene Schicksal von Millionen von Menschen anschaulich zu machen und neu ins Bewusstsein zu rücken. Die Ausstellung will aber auch den schwierigen und vielschichtigen Integrationsprozess von Flüchtlingen und Vertriebenen in ihrer neuen Heimat verdeutlichen.

Die Aussteller weisen darauf hin, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allein in Europa zwischen 60 und 80 Millionen Menschen ihre Heimat haben verlassen müssen. Durch den vom nationalsozialistischen Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg erreichten Flucht und Vertreibung eine neue, erschreckende Dimension. Die Deutschen waren mit bis zu 14 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen am stärksten betroffen.

Im Winter 1945 fliehen Millionen Deutsche vor der heranrückenden sowjetischen Roten Armee – zu Fuß, mit Pferdewagen oder mit dem Schiff über verschneite Straßen oder die Ostsee. Weitere Millionen Deutsche werden Opfer sogenannter wilder und organisierter Vertreibungen.

Umsiedler, Vertriebene, Geflohene?

Die Wechselausstellung stellt aber nicht nur das unmittelbare Geschehen von Flucht und Vertreibung dar, sie beschreibt auch den vielfältigen Eingliederungsprozess der Menschen in der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Für beide Staaten war dies eine große Herausforderung. Politische Plakate machen deutlich, dass mit der Spaltung Deutschlands auch eine Veränderung für Flüchtlinge und Vertriebene einsetzte. In der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR wird diese Bevölkerungsgruppe beschönigend „Umsiedler“ genannt. Ab 1950 tauchen Flüchtlinge und Vertriebene auch unter dieser Bezeichnung nicht mehr auf, selbst in den Statistiken wird dieser Begriff offiziell getilgt.
Ausgewählte Zeitzeugen schildern in hörbaren Interviews ihre Erfahrungen nicht nur während der Flucht oder der Vertreibung, sondern ihre Lebensläufe bis in die Gegenwart. Einen biografischen roten Faden bilden hierzu die „Lebenswege“. Der Besucher kann mit Hilfe einer Codekarte an drei Stationen in der Ausstellung Einzelheiten zum Schicksal eines Flüchtlings oder Vertriebenen abfragen. Die Mitarbeiter des Museums „Haus der Geschichte“ haben dazu 150 Personen befragt.

Exponate mit persönlichen Geschichten wie beispielsweise das aus Mullbinden zusammengenähte Kommunionskleid eines kleinen Mädchens, das auf der Flucht in ein Lager in Dänemark geriet oder die Kamera eines Fotografen, der die Flucht der Dorfgemeinschaft und seiner Familie akribisch dokumentierte, ergänzen die biografischen Elemente.

Die Ausstellung gliedert sich in sieben chronologisch geordnete Bereiche, die den Bogen von frühen Zwangsumsiedlungen Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu den aktuellen Auseinandersetzungen spannen. Zunächst werden Beispiele von Vertreibungen vor dem Zweiten Weltkrieg skizziert: Die in den Völkermord mündenden Vertreibungen armenischer Bevölkerung durch die Türkei, den im Frieden von Lausanne 1923 festgeschriebenen sogenannten „Bevölkerungsaustausch“ von 1,5 Millionen Griechen und 500.000 Türken. Ebenso beleuchtet die Ausstellung schlaglichtartig die von den Nationalsozialisten organisierten Umsiedlungen der deutschen Bevölkerung unter dem propagandistischen Motto „Heim ins Reich“ und die Deportation Russlanddeutscher in der Sowjetunion nach dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf die UdSSR.

Eine besondere Ausstellungseinheit ist dem „Mythos Gustloff“ gewidmet. Ein sowjetisches U-Boot versenkte bei der Evakuierung nach Westdeutschland am 30. Januar 1945 das Schiff „Wilhelm Gustloff“. Schätzungen gehen von bis zu 10.000 Passagieren aus, von denen nur die wenigsten gerettet werden konnten. Teile einer Baracke des ehemaligen Flüchtlingslagers Furth im Wald und Einrichtungsgegenstände symbolisieren die Situation der Flüchtlinge und Vertriebenen in der neuen „Heimat“. Auch die Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung sind Thema der Ausstellung. Die Ausstellung zeigt Erfolge wie auch Schwierigkeiten beim wirtschaftlichen Eingliederungsprozess, beleuchtet die Probleme im konfessionellen Bereich, wenn erstmalig seit mehreren hundert Jahren plötzlich katholische oder protestantische Gläubige in Gebieten ankommen, die fast ausschließlich von der jeweils anderen Religionsgemeinschaft bewohnt werden. Prozessionskreuz und Kirchenglocke sind herausragende Einzelobjekte, die diese Entwicklung veranschaulichen.

Heftige öffentliche Debatten

Der Ausstellungsrundgang endet mit einem Ausblick auf die aktuelle Situation vor allem zwischen Deutschland und Polen sowie der Tschechischen Republik. Kooperationsprojekte in Wissenschaft und Kultur werden ebenso gezeigt wie die zum Teil heftigen öffentlichen Debatten in Polen und Deutschland über Entschädigungsleistungen oder das geplante „Zentrum gegen Vertreibungen“. Am Ende öffnet die Ausstellung den Blick auf das aktuelle Weltgeschehen: Flucht und Vertreibung sind bis heute eine große Herausforderung und globales Schicksal für Millionen Menschen.

09/12/05

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