Man stelle sich vor, jede Familie in Kasachstan sammle 25 Kilogramm Papier pro Jahr. Dies sind Zeitungen, Zeitschriften, Werbung, Stromrechnungen, Schecks und sogar Kaffeebehälter. Die meisten nennen es Müll. Aber die junge Lisa Poltawez aus Petropavlovsk sieht darin Kunst. Aus Altpapier stellt sie „Junkbooks“ her. Eugenia Kuzmenko stellt die junge Nachwuchskünstlerin und ihre Arbeit vor. Platz 1 in der Kategorie „Text Erwachsene“ unseres Schreibwettbewerbs!

Autorin Eugenia Kuzmenko

Lisa ist eine Künstlerin. Ihre kreative Reise begann in dem Moment, als sie zum ersten Mal einen Bleistift in die Hand nahm und an der Wand zu malen begann. Damals war sie fünf Jahre alt.

„Ich war das glücklichste Kind. Unser Haus hatte eine alte Tapete, und ich durfte auf ihr malen. Schon damals wusste ich, dass ich ein kreatives Mädchen sein werde. Bald ging ich zur Kunstschule“, sagt Lisa.

In der dritten Klasse der Kunstschule musste sie eine Wahl treffen: Modedesign oder Innenarchitektur? Sie wählte die zweite Variante.

„Ich liebe es, leere Räume zu füllen – „etwas“ aus „nichts“ zu machen. Schritt für Schritt. Und ich liebe es auch, wenn die Aufmerksamkeit auf Kleinigkeiten gelegt wird. Wenn ich an die Innenausstattung eines Raumes denke, denke ich auch an jeden Stuhl – sogar an jedes Stuhlbein. Das finde ich klasse!“, erzählt Lisa.

Kunst, die man anfassen kann

Lisa ist einе Liebhaberin der angewandten Kunst. „Zeichnen ist nicht ganz meins“, sagt sie. „Ich mag etwas Voluminöses – etwas, was man in die Hand nehmen kann“.

Das brachte sie zur Schaffung von polygonalen Figuren (polygonal modeling). Diese Art von Kunst kam aus der Computersimulation. Es ist eine neue und ungewöhnliche Richtung, die große Popularität gewann. Vor allem, weil solche Figuren leicht selbst zu erstellen sind, wenn man Zeit und Geduld aufbringt.

Dabei sind polygonale Figuren nicht die einzige „Papiergeschichte“ in Lisas kreativem Leben.

„Wo ist das Papier?“

Es ist kein großes Geheimnis, dass Künstler meistens soziale Menschen sind. Sie sorgen sich um die Probleme unserer Gesellschaft. Dazu zählen auch Umweltprobleme.

„Wo ist das Papier?“ – so heißt Lisas Instagram-Account, wo sie einen Blog auf Deutsch und Russisch führt. Auf ihrer Seite erzählt das Mädchen über „Junkbooks“, oder auf Deutsch: Müllbücher. Wahrscheinlich errät man beim Lesen gleich, was das ist.

Junkbooks sind Notizbücher aus nicht mehr benötigtem Altpapier.

Bei der Arbeit

Lisa kam zufällig auf die Idee, Junkbooks herzustellen. Zu Hause sah sie oft die Stapel von Papier, das keine Verwendung mehr fand.

„Dazu gehörten zum Beispiel die Gartenzeitschriften meiner Großmutter. Eines Tages sammelte ich einen ganzen Stapel zusammen und erstellte ein Junkbook. Und dann ein zweites, ein drittes… Es war spannend, schön, umweltfreundlich. Und ich dachte: Ich könnte anderen beibringen, das auch zu machen. Warum nicht? Ich wette, jeder hat altes Papier zu Hause. Es lohnt sich auf jeden Fall“, sagt Lisa.

Altpapier ist immer ein Problem. Unbrauchbare Zeitungen und Zeitschriften sind zu einem langen Dachboden– oder Kellerleben verurteilt. Aber unabhängig davon, ob diese Stapel „oben“ oder „unten“ sind, gelten sie schlichtweg als Müll. Wie die Japaner sagen würden, gibt es in diesen Dingen keine Seele mehr. Aber ein Junkbook ist eine andere Sache – ein Gegenstand mit Seele.

Ich habe ein Junkbook hergestellt. Was dann?

Eine der Fragen, die sich Lisa häufig stellte, war die nach der Verwendung: Wie und wozu kann man ein Junkbook benutzen? Und sie fand gleich mehrere Möglichkeiten:

– aus einem Junkbook kann man ein Fotoalbum machen;

– man kann dort auch Kochrezepte aufzeichnen oder Erinnerungen aufschreiben;

– in der Tat hängt alles von euer Fantasie ab.

Kreative Menschen werden diese Welt retten

Lisa wird bald 18 Jahre alt. Sie spricht gut Deutsch und träumt davon, in Deutschland zu studieren. Ihr zukünftiger Beruf wird zweifellos kreativ sein. Lisa dachte sogar darüber nach, an die berühmte Schule „BAUHAUS“ zu gehen. Das „BAUHAUS“ steht für eine Zusammenführung von Kunst und Handwerk.

„Ich weiss noch nicht, ob es eine gute Idee ist, aber ich mag diese Schule sehr. Auf jeden Fall kommt zuerst das Studienkolleg. Langsam, aber sicher werde ich meine Berufung finden“, so Lisa über ihre Zukunftspläne.

Lisa glaubt, dass ihre Heimatstadt jetzt in einer kreativen Krise steckt. In Petropavlovsk gibt es so wenige kreative Menschen, die neue Farben in unser Leben bringen können.
Die Aufgabe des Künstlers ist es nicht nur, etwas Schönes zu schaffen, sondern auch die Probleme der Gesellschaft widerzuspiegeln. Das sieht auch Lisa so.

„Zum Beispiel gibt es in unserer Stadt wichtige ökologische Probleme. Eines der drängendsten: die mangelnde Müllverwertung. Natürlich wird meine Kreativität allein diese Probleme nicht lösen. Aber der große Weg beginnt mit einem kleinen Schritt. Heute lernen wir, Müllbücher zu erstellen. Morgen kommen wir mit unserem Mehrwegbecher ins Kaffeehaus. Und übermorgen verzichten wir auf die Plastiktüte. Und so weiter… Nicht alles auf einmal!“

Im Oktober organisierte Lisa einen Workshop zum Thema „Junkbook“ im Club der deutschen Jugend „Nord“. Sie hatte auch eine interessante Präsentation über das Recycling-System in Deutschland vorbereitet. Und man muss sagen, dass dieses Ereignis kleine positive Ergebnisse im Leben unserer aktiven Mitglieder gezeitigt hat.

Laut einer Umfrage im Anschluss haben vier von zehn Teilnehmern wiederverwendbare Einkaufstüten und Kaffeebecher gekauft (weggeworfene können schließlich nicht recycelt werden). Drei Teilnehmer haben Junkbooks mit ihren Familien zu Hause erstellt.
Man kann sicher sagen, dass wir dank der Kreativität und positiven Energie von Lisa die Einstellung zu alten Dingen geändert haben. Außerdem haben wir uns neue nützliche Gewohnheiten angeeignet und sind vielleicht etwas umweltbewusster geworden. Und es ist schön, dass es in diese Richtung geht.

Eugenia Kuzmenko

Dieser Artikel ist Teil eines Projekts, das vom Institut für Auslandsbeziehungen e. V. aus Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert wird.
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