Teil II der Serie über die ehemaligen Schauspieler des Deutschen Theaters Temirtau/Almaty: Lydia Wagner erlebte zunächst kuriose Begebenheiten bei der Familienzusammenführung, nachdem sie von Kasachstan nach Deutschland gekommen war. Später startete sie beruflich durch. Geholfen haben ihr dabei nicht zuletzt ihre Schauspielerfahrungen – auch wenn die auf den ersten Blick gar nichts mit Lydias Branche zu tun haben.

So richtig wohl fühlt sich Lydia Wagner, wenn sie auf der Bühne mit ihrer Band Loose&Lacey gern gehörte Hits aus vergangenen Zeiten zum Ausdruck bringt. Da steht sie an ihrem Keyboard, lässt sich durch die Zeitreise der Rockmusik treiben und beobachtet das vergnügte Publikum, das sie an ihre Zuschauer im fernen Kasachstan erinnert, wo sie blutjung und siegessicher auf der Bühne des Deutschen Theaters stand.

Doch diese Erinnerungsmomente stimmen sie keinesfalls nostalgisch – von solchen Gefühlen hat sich die frühere Schauspielerin noch nie aufwühlen und verstimmen lassen. Aus ihrer Sicht kann man erst dann glücklich, zufrieden und erfolgreich sein, wenn man sein Leben gut im Griff hat, nicht aufgibt und positiv denkt.

Kanzler wer?

Als sie 1991 mit zwei Kindern nach Deutschland einreiste und im Grenzübergangslager an der Ostsee bei Kiel landete, wusste sie, dass sie ihr Geschick und Durchhaltevermögen unter Beweis stellen muss, um hier, in der neuen Heimat, Fuß zu fassen und etwas zu erreichen. Die Probleme, die sie auf Schritt und Tritt erwarteten, meisterte sie mit Humor und Hartnäckigkeit.

Heute lacht Lydia, wenn sie an den kuriosen Fall ihrer „Zusammenführung“ mit der Familie in Helmstedt (Niedersachsen) denkt, doch damals war es gar nicht so lustig. Um ihren Wunsch zu verwirklichen und sich endlich mit der Familie zu vereinen, sollte sie einen Mietvertrag vorlegen. Den hatte sie, weil sie zu dieser Zeit ein kleines Zimmer im Schlosshotel mietete. Aber ohne Stempel konnte sie den Sachbearbeitern dessen Gültigkeit nicht beweisen. Die Suche nach dem Verwalter dieses Hotels führte sie in die gegenüberliegende Kneipe. Deren Besitzer, der das Hotel kommissarisch führte, war verblüfft, als die Mutter von Lydia plötzlich vor ihm stand und von ihm einen Stempel unter dem Mietvertrag verlangte.

Der Besitzer der Kneipe, die in der Gegend als „Kanzler Keller“ bekannt war, besaß jedoch keinen Stempel des Hotels. Die Mutter aber stand so lange vor ihm, bis er ihr verzweifelt seinen Stempel auf den Mietvertrag haute. Als Lydia mit diesem abgestempelten Dokument bei der Sachbearbeiterin des Grenzübergangslagers aufgekreuzt war, rief die verzweifelte Dame ihre Kollegin an und erkundigte sich bei ihr, ob die wohl einen Kanzler Keller kenne und wer dieser eigentlich sei. Die Antwort der Kollegin: „Egal, wer das ist! Schick die Familie bloß dahin, wo sie hinmöchte, nicht, dass wir noch Ärger bekommen!“ Damit war die Sache klar: Lydia durfte nach Helmstedt umziehen.

Von der Bankpraktikantin zur erfolgreichen Vermögensberaterin

Nun musste das Geld für den Unterhalt der Familie irgendwo her. Eines Tages kam Lydia zur Bank, um ein Konto zu eröffnen. Sie war von der Stille und Stabilität, die hier herrschten, tief beeindruckt, und dachte in ihrer damaligen Unwissenheit: „Die sitzen schön im Warmen, sind gut angezogen und tun kaum was…“ So entschied sie sich für eine Umschulung zur Bankkauffrau. Die Bank, in der sie ihr Praktikum gemacht hat, stellte sie ohne Abschlussprüfungen ein, ihr Zeugnis durfte sie dann später vorlegen. Heute ist Lydia noch immer ihrem damaligen Chef, der sie „ins Herz geschlossen hat“ und zu dem sie guten freundschaftlichen Kontakt pflegt, dankbar. Dankbar, dass er an sie glaubte und alles getan hat, damit sie einen Job bei der Bank bekommen konnte.

Irgendwann erhielt Lydia ein Angebot von der örtlichen Versicherung und begann, hier zu arbeiten. Nebenbei machte sie den Abschluss zur Versicherungskauffrau und fühlte sich in ihrem neuen Job sicher und finanziell aufgehoben. Doch dieser Arbeitsplatz hatte auch seinen Nachteil – ihre zwei Söhne waren zu viel allein zu Hause und das bereitete ihr große Sorgen. Zum Glück wurde sie eines Tages von der Bank gefragt, ob sie denn nicht zurückkommen möchte. Dieses Angebot konnte sie nicht ausschlagen und fing sofort an, sich wieder als Bankangestellte hochzuarbeiten. Zwischendurch besuchte sie noch jeden Samstag die Bankakademie, um sich mehr Wissen in ihrem Job anzueignen. Derzeit ist Lydia als erfolgreiche Vermögenberaterin bekannt und durchaus mit ihrer Arbeit zufrieden.

Die Schauspielerfahrung half im Berufsleben

Sie findet, dass ihr aktuelles Arbeitsgebiet eng mit ihrem vormaligen Schauspielberuf verbunden ist, denn „die Erfahrungen, die sie während des Studiums und danach“ gesammelt hat, sind hier gut umzusetzen. „Dadurch, dass wir unsere Rollen analysieren und logisch aufbauen mussten, kann ich fast immer die Gedanken meiner Kunden lesen. Ich spüre ihre Zweifel und Bedenken und kann sie deshalb auch zu ihrer Zufriedenheit beraten – effizient und repräsentativ.“

Die erfolgreiche Vermögensberaterin und einstige Schauspielerin Lydia Wagner ist festen Glaubens, dass die Assonanz zwischen ihrem ehemaligen Beruf und dem gegenwärtigem Job kein reiner Zufall ist – die tief in ihrem Herzen wurzelnde Schauspielerei hat ihr dazu verholfen, eine ganz neue und heile Welt zu kreieren. Eine Welt, in der sie sich mit ihren zwei Söhnen ein Leben voller Zuversicht und Glück aufbauen konnte.

Rose Steinmark

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