Unsere Autorin Malokhat Turgunova aus Usbekistan hat in diesem Jahr an der Zentralasiatischen Medienwerkstatt (ZAM) teilgenommen. Sie untersucht aktuell, wie sich Muslime in Deutschland in zivilgesellschaftlichen Strukturen organisieren. In einem Artikel für die DAZ vergleicht sie die Situation in Deutschland mit der in Zentralasien.

In den vergangenen Jahren sind viele Muslime aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern, in denen Kriege toben, als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Dabei sind natürlich nicht alle Muslime in Deutschland Flüchtlinge. Ihre Zahl wächst schon lange von Jahr zu Jahr. Dadurch entstehen einerseits Organisationen und Verbände, die Muslime unterstützen, und andererseits wächst auch die Zahl der zivilgesellschaftlichen Organisationen, in denen sie sich etwa aus religiösen Gründen engagieren.

Obwohl die Mitglieder dieser Organisationen und Vereine unterschiedliche nationale und konfessionelle Herkunft haben, verbinden sie ihr islamischer Glaube und die religiöse Motivation. Den 4,4 bis 4,7 Millionen Muslimen in Deutschland stehen etwa 2.750 Moscheen bundesweit zur Verfügung.

Muslimische Zivilgesellschaft in Deutschland vielfältig

Früher wurde die Frage gestellt, ob der Islam und die Muslime zu Deutschland gehören. Die Antwort lautete: Beides gehört dazu. Muslime leben seit langem in Deutschland, sind ein Teil der deutschen Gesellschaft geworden, und leben in Deutschland ihren Glauben. In ihren zivilgesellschaftlichen Organisationen betätigen sie sich auf vielfältige Weise: Sie singen im Chor, sind Mitglieder in einem Sportverein, in einer Theatergruppe, oder in einem Kunstverein. Sie engagieren sich als Bürger für ihre Interessen oder für ihren Stadtteil und sie gestalten ihre Freizeit in Vereinen und Verbänden. So wie junge Christen und junge Juden sich in Jugendgruppen zusammentun und gemeinsame Ferienfahrten organisieren, entstehen solche Angebote auch für junge Muslime.

In den vergangenen Jahren hat sich die muslimische Zivilgesellschaft in Deutschland nicht nur in verschiedene Bereiche gegliedert – es ist auch eine große Zahl neuer Vereine und Institutionen hinzugekommen. Sie beschäftigen sich mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Schwerpunktthemen, von politischer Bildungsarbeit und Demokratieförderung über Umweltschutz, Wohlfahrt und soziale Arbeit bis hin zu Kunst und Jugendkultur. Viele dieser Vereine finanzieren sich durch Spenden und stützen sich auf das ehrenamtliche Engagement ihrer Mitglieder. Einige erhalten für einzelne Projekte staatliche Förderung oder werden durch private Stiftungen unterstützt.

In den meisten muslimischen Organisationen ist es wichtig, die gesellschaftspolitischen Fragen ihrer Mitglieder zu vertreten. Die Religionspraxis ist dagegen nicht von so großer Bedeutung.

Netzwerk für muslimische Frauen

Im Jahr 2002 wurde das Islamische Wissenschafts- und Bildungsinstitut e.V. in Hamburg gegründet. Diese private religionspädagogische Einrichtung berät aktuell Menschen, die in beruflichem oder alltäglichem Kontakt mit Muslimen stehen und hierzu Fragen haben. Seine Beratungs-, Fort- und Weiterbildungsangebote richten sich an Lehrer, Erzieher, Eltern und Schüler, aber auch Imame, Krankenhaus- und Pflegepersonal, Angehörige der Bundeswehr, Polizisten oder Flüchtlingshelfer. Lehrer und Erzieher, die im Unterricht islamische Themen behandeln möchten, können dort Unterrichts- oder Arbeitsmaterialien beziehen. Das Institut bietet auch wissenschaftliche Vorträge zu islambezogenen Themen an.

Es gibt auch das Netzwerk „Nafisa“ für muslimische Aktivistinnen, 2008 gegründet von der Islamwissenschaftlerin Kathrin Klausing, der Ethnologin Nina Mühe und der Arabistin Silvia Horsch. Es ist besonders aktiv auf Facebook und bietet dort Texte, Interviews und Videos an, in denen das gesellschaftliche Engagement von historischen wie zeitgenössischen Musliminnen vorgestellt wird.

Mit „Nafisa“ möchten die Gründerinnen einerseits den Islam und muslimische Frauen als Thema in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen, andererseits aber auch die innerislamischen Diskussionen um das Thema Frau und Geschlechterverhältnis dokumentieren und kontrovers diskutieren. Der Name des Netzwerks geht auf Nafisa bint al-Hasan zurück, eine Urenkelin des Propheten Muhammad.

Muslimische Zivilgesellschaft in Zentralasien

Das sind nur ein paar Beispiele dafür, wie sich die muslimische Zivilgesellschaft in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt. In Zentralasien ist beides schon längst untrennbarer Teil der Kultur und Gesellschaft geworden. Der Islam leitet schon zur moralischen Lebensführung an. Die fünf zentralasiatischen Staaten verfolgen teilweise unterschiedliche Strategien, wie sie auf die wachsende Popularität des Islam reagieren.

Alle versuchen jedoch, eine exklusive nationale Version des Islam zu propagieren. In diesen Ländern unterliegen die meisten religiösen Organisationen und ihre Tätigkeit der Kontrolle des Staates. Allerdings wurde die religiöse Tätigkeit gesetzlich vom Staat getrennt.
Wer sich mit dem Thema auseinandersetzt, stellt schnell fest, dass der Islam in Zentralasien nicht nur als Religion, sondern auch als Kultur- und Einstellungswurzel prägend ist. Dabei gilt aber: Wie in Deutschland existieren auch in Zentralasien neben muslimischen Organisationen christliche und jüdische Verbände und Gemeinden. Auch diese Religionsgemeinschaften haben in ihrem Ort Kirchen und Synagogen.

Auch jüdische Gemeinden in Zentralasien vertreten

In Kasachstan gibt es eine Zentralsynagoge, die nach dem Zerfall der Sowjetunion gebaut wurde. 2017 feierte die jüdische Gemeinde das 20-jährige Jubiläum der Synagoge. Es handelte sich hier nicht um ein religiöses Fest, aber der Grund dafür ist, dass sich bis dahin die Juden für gewöhnlich in umgebauten Wohnhäusern trafen. Allerdings werden in den Synagogen Hochzeiten gefeiert, Trauerfeiern abgehalten, man trägt die neugeborenen Kinder zur Beschneidung, außerdem kann man auch materielle Unterstützung erfahren. Den Bedürftigen bringt man warmes Essen und leistet medizinische Hilfe.

In Kirgisistan entstanden die richtigen jüdischen Gemeinden Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem das Land ins Russische Imperium eingegliedert worden war. In Kirgisistan wurde zum Beispiel eine jüdische Mittelschule eröffnet, und im letzten Jahr zog die Synagoge in ein neues, hübsches Gebäude um, das dank Spenden von Juden aus der ganzen Welt gebaut wurde.

Malokhat Turgunova

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