Es ist eine Lebensregel, dass man Beziehungen braucht, um in Leben und Beruf voranzukommen. Aber alle sagen es anders. Vitamin B heißt es neutral; weniger positiv klingt Mauschelei, in Köln ist es der „Kölsche Klüngel“.

In früheren Zeiten waren die verschworenen Logen und Burschenschaften die Trittleiter in die Chefetagen. Heute sieht man sie kaum, aber im Untergrund existieren sie immer noch. Allgemein anerkannt und gänzlich unverdächtig sind die Alumni-Clubs. Und wenn man es gar nicht betiteln will, dann kennt man einfach jemanden, der jemanden kennt, der grad zufällig einen Job zu vergeben hat, wenn man einen braucht. Ist ja auch nichts dabei. Und ist doch selbstverständlich, dass man lieber jemanden einstellt, der von jemandem gekannt wird, den man kennt. Allgemeinhin gilt: Entweder du hast Beziehungen oder du hast keine. Wer keine hat, der muss sie sich schaffen oder „kaufen“ oder Leistungen zeigen. In Deutschland gibt es alle Varianten, man kann frei wählen. Am weitesten verbreitet ist das Zeigen von Leistungen, in Kombination mit Kontakten kaum zu schlagen. Da es in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit aber immer mehr leistungsstarke Menschen auf dem Konkurrenzmarkt der Arbeitsuchenden gibt, werden die Beziehungen immer entscheidender. Da diese aber nicht einfach vom Himmel fallen, muss man sie mühevoll knüpfen. Das heißt heute Networking – der systematische Aufbau von Beziehungen im großen Stil. Im Regelfall läuft das so ab: Man lässt sich überall, wo möglich, blicken, führt Smalltalk, tauscht Visitenkarten und hofft, dass man irgendwann von irgendwem ins Spiel gebracht wird. Und das ist harte Arbeit. Man muss schon sehr viele Gespräche führen, um sehr wenig Aufträge zu erhalten.

Andere Pfiffige, die anderen weniger Pfiffigen immer einen Schritt voraus sind, betreiben Networking als ihr Geschäft. Sie richten Internetplattformen ein und organisieren Veranstaltungen, auf denen Geschäftsleute Networking betreiben, und verdienen damit ihr Geld. Ich habe einmal solch eine Veranstaltung besucht. Der Moderator erklärte uns das System: Kennen lernen sollten wir uns, na klar, aber möglichst viele Personen in möglichst kurzer Zeit. Wie soll man sich denn in wenigen Minuten kennen lernen, Fachkenntnisse austauschen, das eigene Angebot präsentieren und auch noch Ansatzpunkte der Zusammenarbeit besprechen?! Trotzdem, findet der Veranstalter, und er ist ja schließlich Experte im Networking. Um es solch Bedenkenträgern wie mir leichter zu machen, hat sich der Moderator für uns ein Spiel ausgedacht. Bingo. Auf einem Zettel sind neun Felder, in diese muss man die Namen von kennen gelernten Gesprächspartnern eintragen. Wer das nach kürzester Zeit geschafft hat, gewinnt ein kleines Mäppchen für die gesammelten Visitenkarten. Ich fühle mich durch das Mäppchen wenig angespornt, begebe mich aber in mein erstes Gespräch. Das ist so interessant, dass ich glatt hängen bleibe. Das ist dem Moderator eindeutig zu lang, er will mir helfen, das Gespräch zu wechseln, das will ich aber nicht, und weil ich bockig und zickig bin, lässt er endlich von mir ab. In meinem eigenen Tempo komme ich gerade mal durch drei Gespräche, als das Spiel plötzlich aus ist. Ohne die Hilfe des Moderators habe ich keine Preise, aber mit seiner Hilfe habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass solche Veranstaltungen keine Hilfe für mich sind, und streiche das Wort Networking aus meinem Wortschatz. Ich werde weiterhin Leute kennen lernen, Gespräche mit ihnen führen und zusammenarbeiten, wie ich es bisher auch gemacht habe – ganz ohne Moderation und System, dafür aber wirkungsvoller.

Julia Siebert

25/05/07

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