Mir ist schon klar, dass man nie auslernt und wir im Grunde alle unwissende Toren sind – „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Aber doch bin ich immer wieder erstaunt, verwirrt und fasziniert, wenn ich in Lebens- und Themenwelten gerate, die mir zunächst bekannt schienen und dann doch vollkommen fremd sind. So zuletzt der Wald.

Klar weiß ich, was ein Wald ist. Ich war schon viele Male darinnen. Ja, und nicht nur in einem, sondern in ganz verschiedenen, jawoll! In einem Wald wächst man quasi auf. Ich habe darin laufen gelernt, gespielt, Pilze gesammelt, bin gewandert und gejoggt. Und was kann einem eine Ansammlung von Bäumen schon anhaben! An dieser Stelle sollte nicht unerwähnt bleiben, dass ich auch schon mehrfach in der sibirischen Taiga war, jaha, auch im Winter! Und trotzdem! Zuletzt, als ich in meinem kleinen Bauernhaus in der Pampa war, hatte ich eine ganz neue Begegnung mit dem Wald als solchem. Schön, dachte ich, da ist der Wald fast vor der Tür, geh ich doch mal gleich hinein und sehe mich in meiner neuen Umgebung um. Wirklich schön ist es dort, außer den Vögeln und einem bedächtigen Knistern und Rascheln war es so still, dass ich mich schon nach wenigen Schritten vollkommen erholt fühlte. Einfach herrlich! Und so ging ich munteren, unbeschwerten Schrittes dahin, bis ich mich plötzlich verirrt hatte. Mir war klar, dieses Schicksal teilte ich mit zig Millionen Menschen, so was passiert ständig und aus der Bredouille bzw. dem Wald kommt man früher oder später wieder heraus. Aber zunächst fand ich diese Erkenntnis wenig hilfreich. Praktisches Wissen war hier vonnöten, und so suchte ich in meinem Hirn angestrengt nach brauchbaren Daten und Fakten zum Thema Wald und Orientierung. Ich war nie bei den Pfadfindern, was ich zum ersten Mal bedauerte. Spontan kamen mir einige Waldbilder aus Filmen und Büchern in den Sinn. Da diese jedoch allesamt aus „Harry Potter“, „Ronja Räubertochter“, Büchern von Walter Moers und „Herr der Ringe“ stammten, wusste ich nur, wie man gegen Druden, Stollentrolle und Rumpelwichte kämpft – weniger hilfreich. Also gut, wie war denn das bisher? Jetzt wurde mir klar: Bisher war ich nie allein im Wald, sondern bin immer jemandem hinterher geschlurft, der sich zielsicher durch Gestrüpp und Gebäum bewegt hat. Jetzt war ich aber allein mit meinem Wissen und musste in meiner eigenen Trickkiste nach brauchbaren Kompetenzen suchen. Strukturieren, Analysieren und Kategorisieren gehört zu meinen Stärken. Passt ja nicht besonders gut zur Natur. Aber da ich nichts anderes zur Hand hatte, suchte ich nach etwas, das ich analysieren konnte. Ja, genau, die Wegesarten! Ich stellte fest, dass im Wald die Wegesarten ganz unterschiedlich ausfallen. Ich war bisher auf Wegen gegangen, die Schotteranteile hatten, dann waren da eher erdige Wege, grasbewachsene, einrillige und zweirillige (die Fachsprache der Wegesarten beherrsche ich natürlich nicht). Es gab Wege, die irgendwann zu einem Ziel führten, wo sie dann aber auch endeten, bei der Holzaufstapelung oder beim Hochsitz – offensichtlich die Wege des Försters oder Jägers. Wege, die im Nichts endeten, einfach so versandeten. Und Wege, die weiterführten, eben die Wanderwege. Jetzt galt es noch, die Wegestruktur der möglichen Wegegattung zuzuordnen, damit ich die für mich unrelevanten Wege ausklammern konnte. Grundlage meiner Recherche und Analyse war, dass ich einige Male auf den Förster- und Jägerwegen gelandet bin, die dann entsprechend plötzlich aufhörten. Nach dem Ausschlussprinzip würde ich dann diejenigen Wege erkennen, die für mich relevant, wenn nicht gar lebensrettend wären. Doch noch war ich auf den Jägerwegen, worauf sich Stellen mit arg aufgewühlter Erde fanden. Interessant, dachte ich, wer oder was hat da so gewühlt? Da ich Rehe ausschloss, blieben nur noch Wildschweine. Ich habe von tobsüchtigen Wildschweinen gehört, die Menschen angreifen. Die können echt gefährlich werden! Durch diese Entdeckung beflügelt, fand ich noch schneller als zuvor einen handfesten Wanderweg, der mich dann auch schließlich zu einem asphaltierten Weg und zurück in die Zivilisation führte. Ein Ausflug in unbekannte Welten und in die erholsame Natur ist ja ganz schön – wenn es nicht so stressig wäre!

Julia Siebert

03/10/08

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