Es ist immer wieder spannend zu erfahren, was wir Deutschen doch für ein Völkchen sind. Da hilft am besten der Außenblick. Ich habe zwei Experten befragt, waschechte Nichtdeutsche. Hören wir doch mal, was Ariel und Madeira zu sagen haben. Ariel kommt aus Buenos Aires, Madeira aus Rom.

Natürlich; das Wetter ist Scheiße. Daran lässt sich nicht drehen und rütteln, das finden wir ja auch. Ansonsten fällt ihnen gar nicht so viel Schlechtes ein, was doch ganz beruhigend ist. Es scheint sich also recht gut und normal hier leben zu lassen. Sicher, wilde Geschichten und Anekdoten, die einem das Adrenalin hochtreiben, wären mir lieber gewesen, aber um absurde Schauergeschichten erzählen zu können, muss man sie auch erlebt haben, und dann ist es mir doch lieber, dass sich wilde Dinge nicht in Köln ereignen.

Insgesamt könne man sich hier gut bewegen; einerseits, was die Kriminalität angeht. In Köln sei man so sicher, dass man in einer schlaflosen Nacht einfach so mit dem Fahrrad durch die Stadt düsen kann. Das ginge in Neapel überhaupt nicht. Und auch sonst; tolerant gehe es hier – zumindest in Köln – zu. Ja, genau, das finden wir Kölner auch! Man kann rumlaufen, wie man will, niemand sieht einen schief an. Wenn man nackt in einem Park liegen möchte, kann man das einfach tun, findet Madeira. In Italien wäre das absolut nicht denkbar. Nanu? Mir selbst ist in meiner jahrzehntelangen Kölner Laufbahn noch kein einziger Parknacktbader untergekommen, aber trotzdem – selbst wenn es nur ein Mal vorgekommen sein sollte, und Madeira ausgerechnet das miterleben durfte und es nun fälschlicherweise für eine Kölner Angewohnheit hält – bleibt: Niemand hat es moniert. Und das sagt schon etwas aus.
Die gleiche Toleranz allerdings wird Spätessern nicht entgegengebracht. Während Ariel als Argentinier erst abends isst, wenn es dunkel ist, isst man in Deutschland stur nach der Uhrzeit. Ich möchte mich hier einklinken und mich über die doofe Regel beschweren, die sagt, dass nach soundsoviel Uhr nichts mehr, allenfalls nur noch leichte Speisen, gegessen werden sollten. Dabei schmecken Gulasch und Klöße zum späten Abendbier doch erst so richtig gut! Als Madeira einst abends nach dem Sport eine komplette Haxe mit Püree verspeiste und noch einen Apfelstrudel nachschob, fielen unseren Sportkollegen beinahe die Augen aus dem Kopf.
Auf der anderen Seite darf man in Deutschland trinken, was man will, konstatiert Madeira. Die jungen Leute hätten in Italien wenig Verständnis dafür, wenn man zum Beispiel keinen Alkohol trinkt oder nicht raucht, wie Madeira. Dann würde man ständig mit Fragen nach dem Warum bedrängt und belästigt, als wäre man nicht ganz normal. In Deutschland darf man ungestört seine Apfelschorle trinken.

Es gibt noch andere Dinge, die meinen beiden Experten auffallen; dass man zum Beispiel stark zwischen privat und beruflich trennen, sich auch privat immer mit dem Terminkalender verabreden und wenig Spontaneität zulassen würde – und dass die Ansprechpartner für Ausländer auf den Ämtern echt Scheiße seien. Wahre Klischees. Dass es in Deutschland an vielen Orten so düster und unbeleuchtet sei – zum Beispiel in Kneipen, aber auch Straßen – ist mir 37 Jahre lang nicht aufgefallen. Aber es stimmt, Ariel hat recht, wenn ich mich so umschaue. Wie sich das Leben wohl anfühlt, wenn es heller ist, frage ich mich. Ich glaube, von zu viel Licht würde ich mich geblendet fühlen, ich habe es lieber gemütlich dunkel. Aber wer weiß, wie wir Deutschen wären, hätten wir es heller?

Womöglich würde unser Temperament erwachen. Aber auch ohne Licht sind wir auf gutem Wege, meint Madeira. Sie hat den Eindruck, wir Deutschen seien lockerer geworden. Als sie vor ein paar Jahren schon mal in Köln war, sei sie ständig angemeckert worden, wenn sie verkehrt herum in eine Einbahnstraße fuhr. Jetzt sei ihr das kein einziges Mal passiert. Na, also! Wir bestechen zwar nicht durch Originalität, aber eine solide – und, wie man sieht, entwicklungsfähige – Basis!

Julia Siebert

09/01/09

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