Es gibt einige Namen, die untrennbar mit der Architekturgeschichte Almatys verbunden sind. Einer dieser Namen ist Paul Louis Stanislas Lionel Gourdet. Sein Engagement für die Stadt zeigt sich unter anderem an dem Waisenhaus, das er entwarf.

Paul Gourdet, der am 8. Januar 1846 im Arrondisment Cosne-Cours-sur-Loire in der französischen Region Bourgogne-Franche-Comté geboren wurde, zählt heute zu den wichtigsten Architekten der Festung und späteren Stadt Werny, des heutigen Almaty. Warum Gourdet allerdings Frankreich verließ und auf welchen Wegen er nach Zentralasien kam, liegt heute weitgehend im Dunkeln. Noch in Frankreich erhielt er eine erstklassige Ausbildung und besaß ein Diplom im Ingenieurswesen. Er verließ seine Heimat mit 24 und erreichte die Region Turkestan im Jahr 1870, um hier Geschäfte zu machen. Fünf Jahre später nahm Gourdet die russische Staatsbürgerschaft an und wurde schließlich zum wichtigsten Architekten von Werny.

Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert erbaute Gourdet Kirchen und herrschaftliche Stadtvillen. Nach seinen Plänen entstanden einige der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Almatys. Er erdachte die Kanalisation, das System der Wasserkanäle und die schachbrettartige Aufteilung der Stadt. Aber Gourdet war auch ein Wohltäter. Zwischen 1889 und 1892 war er Ehrenmitglied des Kuratoriums der Waisenhäuser der Region Siebenstromland. In dieser Funktion stellte der Architekt 1892 das städtische Waisenhaus von Werny fertig.

Vom Waisenhaus zum Museum

Zu Beginn war es ein herrschaftliches, einstöckiges Holzgebäude mit einer weiten Eingangstreppe, einer großen und mehrerer kleiner Kuppeln über dem Mittelteil. Doch genauso wie sich mit den Jahren die Funktion des Gebäudes änderte, änderte sich auch sein Aussehen. Die prächtigen Kuppeln beispielsweise gingen über die Jahre verloren.

Unter sowjetischer Herrschaft residierten hier unter anderem der Rat der Volkskommissare oder der Gosplan der Kasachischen SSR, eine staatliche Wirtschaftsplanungskommission. In den späteren Sowjetjahren wurde das Gebäude zum klinischen Kinderinfektionskrankenhaus Nr. 1. Zwischen 1981 und 2016 befand sich eine medizinische Fachschule in dem historischen Holzhaus. 2016 erhielt das ehemalige städtische Waisenhaus nach einer großangelegten Renovierung seine aktuelle Funktion. Das Museum der Stadt Almaty, welches in elf Epochen und Ausstellungsräumen über die früheste bis zur modernen Geschichte der Stadt informiert, befindet sich dort.

Ganz in der Nähe liegt übrigens ein weiteres Gebäude, welches eng mit dem ehemaligen städtischen Waisenhaus zusammenhängt: die staatliche Residenz seines Direktors. Das kleine, aber reich verzierte, grüne Holzhaus wurde 1894 ebenfalls von Gourdet errichtet. Heute kann man dort die kleine Ausstellung des Staatlichen Museums für Sport und für olympischen Ruhm besichtigen.

Paul Gourdet tat viel für die Stadt

Paul Gourdet brachte einen neuen Russischen Stil und eine westliche architektonische Gestaltungsweise nach Werny. Dies ist noch heute in den zahlreichen erhaltenen Gebäuden Gourdets zu sehen, darunter dem Waisenhaus und der Residenz des Direktors. Gourdet veränderte das Stadtbild nachhaltig und führte zudem erdbebensicheres Bauen in der seismisch aktiven Region ein. Er hat bis zu seinem Tod 1914 zweifellos viel für die Stadt getan. Als gelehrter Franzose galt er allerdings im politischen System der Sowjetunion als Teil der verhassten Bourgeoisie. Sein Name wurde aus der Öffentlichkeit getilgt, sein Konkurrent Andrej Senkow dagegen zum Helden und Baumeister der Stadt erhoben. Aus diesem Grund ist über die Lebensgeschichte Paul Gourdets bis heute nicht viel bekannt.

Dies scheint sich allerdings im modernen Almaty langsam zu ändern. Junge Architekten und Aktivisten der Stadt wollen das Erbe und den Namen Gourdets bewahren und auf sein Schaffen aufmerksam machen. Ein Mosaik mit seinem Portrait und einer Plakette mit seinen Lebensdaten ziert seit einigen Jahren die Fassade eines Cafés nicht weit vom Waisenhaus entfernt. Der Name Paul Gourdets hat heute wieder seinen verdienten Platz in der Geschichte der Stadt Almaty.

Philipp Dippl

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