„Warum wunderst du dich eigentlich?”, fragt mich Dima. Und erinnert mich daran, dass ich doch lange genug in Russland gelebt habe, um das zu wissen. Ja, ich wundere mich immer wieder.

In diesem Fall darüber, dass die russischen Wege, sich um einen Kontakt zu bemühen, so verschlungen und geheimnisvoll sind. Mein Auftrag lautete, eine Bewerbung für einen Russen aus Moskau bei einer Firma in der Schweiz zu erstellen. Ich bekam einige Daten übermittelt, aus denen „nur” noch der Text zu schreiben sei. Erste Aussage: Der Bewerber hat immer gute Laune! Ja, das ist schön. Aber in Deutschland gehört das nicht zu den wesentlichen Gründen, jemanden einzustellen (Ich gehe davon aus, dass die Bewerbungsverfahren in Deutschland und in der Schweiz ähnlich ablaufen.). Zweiter Punkt: Eine Auflistung all der vielen Kontakte. In Ordnung, ich schreibe in einem Satz, dass der Bewerber viele Kontakte zu relevanten Institutionen und Firmen hat. „Aber wo ist die Auflistung?“, werde ich gefragt. Nein, sage ich, in Deutschland muss man nicht alle Kontakte einzeln namentlich benennen. Gut, weiter im Text. Der Bewerber ist unglaublich mobil und flexibel, er lebt gleichzeitig in Deutschland und Russland. Zum Beweis zwei Adressen und ca. sechs Telefonnummern. Nein, sage ich, die Firma will sicher keinen Dschungel von Kontaktangaben haben, sondern muss eindeutig sehen: Unter welchen Daten ist der Bewerber zu erreichen. Und außerdem, Mobilität und Flexibilität werden sowieso vorausgesetzt. Vierter Punkt: Der Bewerber ist sehr belastbar. Na gut, das will ich auch gehofft haben. Immerhin ein aussagekräftiger Lebenslauf, und die Bewerbung kann geschrieben werden. Einzig fehlen Kleinigkeiten: Firmenadresse, Ansprechpartner, Einleitungssatz, genaue Stellenbezeichnung und Auflistung der Anlagen. Schnell eingetragen und fertig. Denke ich. Aber nein. Gibt es nicht. Haben wir nicht. Sagt Dima. Wie bitte?! Wir bewerben uns bei einer Firma ohne Adresse?! Und wie hat er von der Stelle erfahren? Wissen wir nicht mehr so genau. Aha?!?!?! Und natürlich: Jemand hat jemandem gesagt, dass dort eine Stelle wäre. Und dieser jemand kann NICHT die Firmenadresse nennen? Und das war erst der Anfang einer langen intensiven Diskussion. Schnell ratterte ich herunter, wie man sich EIGENTLICH in Deutschland bewirbt: Bei der Firma anrufen. Geht nicht. Drum geht auch alles andere nicht: einen Ansprechpartner finden, nachfragen, welches genau das Stellenprofil ist, welche Unterlagen über welchen Weg geschickt werden sollen. Mindestens das. Und wenn das schon nicht geht, sich über die Firmenhomepage eingehend informieren und sich im Anschreiben möglichst genau darauf beziehen. Das geht aber auch nicht. Zumindest will ich wissen, WIESO das nicht geht. Die Beziehung des Bewerbers zum geheimnisvollen Informationsübermittler sind nicht dazu geeignet, die Firmenadresse zu erfahren. Jetzt fragt sich, warum dann überhaupt eine förmliche Bewerbung?! Um meinen Beratungsauftrag unter diesen mysteriösen Umständen trotzdem bestmöglich zu erfüllen, weise ich noch darauf hin, dass in eine gute Bewerbung investiert werden sollte, gute Papierqualität, gutes Bewerbungsfoto, teure Bewerbungsmappe usw. Ich wage noch die Frage: WILL er eigentlich die Stelle haben, oder nicht? „Nein!“, lautet die Antwort. Eigentlich will er gar keine Stelle haben, sondern nur mit der Firma kooperieren! Dima hat Recht. Eigentlich dürfte ich mich gar nicht wundern. Aber ich tue es doch, sehr sogar!

Von Julia Siebert

28/07/06

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