Der Schriftsteller Saken Sejfullin kritisierte früh das Zarenreich und setzte sich für die Verbreitung der kasachischen Kultur und Sprache ein. Als die Oktoberrevolution kam, schlug er sich auf die Seite der Bolschewiken. Das bewahrte ihn jedoch nicht davor, später wie so viele Intellektuelle zum Opfer der Stalinschen Säuberungen zu werden.

Das Jahr 2021 ist inzwischen bereits ein paar Wochen alt, und der ein oder andere wird sich vielleicht bereits jetzt schon fragen, warum es mit den guten Vorsätzen für das neue Jahr dieses Mal wieder nicht klappen wird. Ich hatte mir für das neue Jahr vorgenommen, ein bisschen Kasachisch zu lernen, und habe die erste Januarwoche in einem Express-Sprachkurs verbracht. Auch hatte ich mir vorgenommen, mehr zu lesen. Ein Buch des kasachischen literarischen Nationalhelden Abai Kunanbajew (kas. Abai Qunanbajuly) habe ich bereits gelesen. Meine Pläne, mich zu bilden, waren also für das Jahr 2021 bislang bereits recht erfolgreich.

Abai Kunanbajew wäre im letzten Jahr 175 Jahre alt geworden. Die ursprünglich groß angelegten Feierlichkeiten zu seinem Geburtstag mussten aufgrund der Coronapandemie jedoch ausfallen. Nichtsdestotrotz gilt Abai als der vielleicht größte Schriftsteller des kasachischen Volkes. Und dies, obwohl er durch das Studium der russischen Sprache und der westlichen wissenschaftlichen und philosophischen Literatur überaus progressiv eingestellt war und die patriarchalische kasachische Gesellschaft seinerzeit in seinen literarischen Texten und Liedern ablehnte. Als Abai 1904 starb, war ein gewisser Saken Sejfollajewitsch Sejfullin (kas. Säken Seifollauly Seifullin) gerade erst sieben Jahre alt. Doch auch Sejfullin, der am 15. Oktober 1894 in einem Dorf im Bezirk Akmola geboren wurde, sollte seinen festen Platz in der Geschichte der modernen Literatur Kasachstans erhalten.

Einsatz für die kasachische Sprache

Saken Sejfullin bezog mit einigen Mitstreitern deutlich Position, er kritisierte bereits in jungen Jahren das Russische Zarenreich öffentlich und setzte sich für die Verbreitung der Leistungen kasachischer Menschen in den Bereichen Kultur und Wissenschaft ein. Er begrüßte die Oktoberrevolution und stellte sich auf die Seite der Bolschewiki. Das Gebiet Kasachstans war allerdings noch bis 1920 zwischen den „Roten“ und den „Weißen“ hart umkämpft. Für Sejfullin waren dies Jahre, die von Gefängnis, Flucht und Repressionen geprägt waren.

Seine Karriere begann mit der Festigung der sowjetischen Macht in Zentralasien. Sejfullin bekleidete ab 1920 bereits hochrangige Posten im politischen Apparat, als er auf dem Dritten Sowjetkongress im September 1922 im Alter von nur 28 Jahren zum Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare ernannt wurde. Diese Position entsprach in etwa der eines kasachischen Regierungschefs. In dieser Funktion setzte er sich insbesondere für den offiziellen Status der kasachischen Sprache ein, zum Beispiel für die Verwendung des Kasachischen in offiziellen Regierungsdokumenten.

Am 12. Juni 1934 fand der erste Kongress der Schriftsteller der Autonomen Kasachischen Republik statt. Die Gründungs- und Eröffnungsrede hielt Saken Sejfullin. Nur zwei Monate später fand in Moskau der Kongress des Verbandes aller Schriftsteller der UdSSR statt. Jener Kongress, der pompös aufgezogen wurde, stand unter dem Leitmotiv, sämtliche Schriftsteller und Kunstschaffenden der Sowjetunion auf Parteilinie zu bringen. Wer sich seitdem nicht der von Josef Stalin persönlich verordneten Stilrichtung des sozialistischen Realismus unterwarf, wurde praktisch mit Berufsverbot belegt und stand unter der Kontrolle von Stalins Geheimpolizei NKWD. Auch der Schriftstellerverband Kasachstans musste sich von nun an der Stalinschen Ideologie unterwerfen.

Sejfullin und sein tragisches Ende

Saken Sejfullin selbst widmete sich in den folgenden Jahren vor allem Lehrtätigkeiten und hielt sich politisch im Hintergrund. Er schrieb unter anderem Gedichte, Kurzgeschichten, Romane und Abhandlungen über die kasachische Folklore. Doch auch er blieb von den Fängen des NKWD in der Zeit des stalinistischen Terrors nicht verschont. Am 24. September 1937 wurde Sejfullin vom NKWD als „bürgerlicher Nationalist“ verhaftet. Im Februar 1938 wurde er zum Tode verurteilt und am 25. April 1938 erschossen.

Erst kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde beschlossen, im Zentrum von Alma-Ata das neue Außenministerium der Kasachischen SSR zu errichten. Der pompöse, palastartige, dreistöckige Bau mit seinem aus sechs gewaltigen Säulen bestehenden Portal wurde 1955 fertiggestellt. Allerdings zog das Ministerium nie dort ein. Der Schriftstellerverband der Kasachischen SSR bezog in dem prächtigen Gebäude Quartier.

Saken Sejfullin wurde 1958 rehabilitiert. Die Mitglieder des Schriftstellerverbandes der Kasachischen SSR blieben allerdings auch in den Nachkriegsjahren nicht von Repressionen verschont. Noch bevor der Stalinsche Schrecken mit dessen Tod 1953 endete, ereilte zahlreiche namhafte Kollegen von Sejfullin dasselbe traurige Schicksal. Noch bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion litten kasachische Schriftsteller unter Repressalien. Ihre Texte beschäftigten sich oft mit Themen der Nationalität und der Unabhängigkeit, mit Kritik am politischen System der Sowjetunion, oder mit der Frage des Status der kasachischen Sprache.

In den Jahren der Perestroika äußerte sich der kasachische Schriftstellerverband zum letzten Mal in größerem Maße politisch, als er sich bei Themen wie der Umweltkatastrophe des Aralsees oder der Schließung des Atomtestgeländes Semipalatinsk öffentlich positionierte. Im unabhängigen Kasachstan des Jahres 2021 scheint man sich der Relevanz dieses alten kasachischen Literaten allerdings erst langsam wieder bewusst zu werden. Nach Saken Sejfullin wurden einige Straßen und sogar Dörfer benannt; seine Texte allerdings sind in Vergessenheit geraten.

Philipp Dippl

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