Die Baiga, ein Jahrhunderte altes Reiterspiel der Nomaden, wird noch immer betrieben. Doch statt Bräuten oder Viehherden, locken heute Autos als Trophäe

Eine Braut will Modiyar nicht gewinnen. Aber ein Shiguli oder Lada Niva wäre nicht schlecht. Einmal ist ihm das bereits geglückt. Der damalige Preis, ein weißer Lada, steht neben dem Lkw, an dem zwei Pferde angebunden sind. Doch der Kasache weiß, am heutigen Tag fallen die Siegprämien nicht ganz so groß aus. Es handelt sich nur um einen kleinen Wettkampf, einen Kreisausscheid sozusagen, zu dem man aus dem eigenen Mikrorayon anreist, und nicht quer durch das Land.

Modiyar ist mit seinem Vater nur ein paar Kilometer weit gefahren, bis sie mit dem Lkw auf der Festwiese ankamen. Den Platz an der kleinen Bergkuppe konnten sie sich noch aussuchen. Doch innerhalb von nur drei Stunden, sind die Abstände zwischen den Wagen immer enger geworden. Schaut der Junge in Richtung Süden, sieht er das Menschengewimmel am Hang unter ihm und hinter dem kleinen Flüsschen beginnt schon Kirgistan. Läuft Modiyar die Kuppe hinauf, erblickt er auf der anderen Seite das Hippodrom in der Sonne liegen, die von Pferdehufen ausgetretene Rennbahn. Dafür ist der Zwölfjährige heute hergekommen. Modiyar ist Jockey.

Rin, sein Pferd, steht sorgfältig geputzt und mit einer übergeworfenen Decke im Schatten des Lkws. während die Geschäftigkeit auf dem Hügel zunimmt. Immer mehr Pferde werden eilig vorbeigeführt und wiehern sich zu. Nicht alle der Vierbeiner sehen so schmuck aus, doch Modiyars Vater züchtet und lebt unter anderem vom Renngeschäft.. Rin, die Fuchsstute, bleibt in all dem Trubel gelassen, doch der Hengst, der am Heck des Lkws angebunden ist, stampft wild mit den Beinen und schüttelt nervös den Kopf.

An die 150 Pferde sind von ihren Besitzern hierher gebracht worden. Die Baiga, das traditionelle Pferderennen Zentralasiens, hat ihre Anziehungskraft nicht verloren. Aufs innigste mit Pferden verbunden, war es für die umherziehenden Nomaden Jahrhunderte lang das aufregendste Spiel, sich und ihre Tiere aneinander zu messen. Bis zu vierzig Kilometer hatten die Pferde bei einem solchen Wettrennen zurückzulegen. Als Preise winkten den Gewinnern mehrere Hundert Stück Vieh, oder junge Mädchen, für die der sonst zu zahlende Brautschatz erlassen wurde. Wie damals sind es auch heute noch Jungen bis zu 14 oder 15 Jahren, die die Pferde reiten. Je leichter desto besser, 35 Kilo ist das Höchstgewicht.

Drei Rennen stehen heute auf dem Programm, für ein- und zweijährige sowie über dreijährige Pferde. Dabei ist vor allem wichtig, dass das Pferd ins Ziel kommt. Reiter können unterwegs gewechselt werden.

Auch Modiyar ist mit seinem Ersatzmann Sascha angereist. Sie sind gleichaltrig, doch Sascha ist einen halben Kopf kleiner als Modiyar, und macht neben dem schlanken, hochaufgeschossen und selbstsicheren Kasachen einen schüchternen Eindruck. Der Kleinere soll heute zum ersten Mal reiten, allerdings nur dann, wenn Modiyar nicht mehr kann.

Nachdem Modiyar das erste Rennen noch als Zuschauer erlebt hat, fordert sein Vater ihn auf, das Pferd warmzureiten. Bisher haben sich Sascha und der Trainer um das Pferd gekümmert. Ganz wie bei einem englischen Pferderennen sind die Kompetenzen auch hier klar verteilt. Modiyar ist der Starjockey innerhalb des kleinen Teams. Bevor sich der Junge aufs Pferd schwingt, schlingt er sich ein rotes Tuch um den Kopf. Verwegen sieht er jetzt aus, wie ein Pirat. Oder wie ein Schumacher-Fan.

Wie die meisten Jungs hier bleibt Modiyar auch ohne Steigbügel im Sattel, beim Reiterwechsel würden sie nur hinderlich sein. Um das Gleichgewicht zu halten, werden sie sowieso nicht benötigt. Die meisten der Jungen haben bereits auf einem Pferd gesessen, bevor sie laufen konnten. Fast eine Stunde reitet Modiyar auf dem Hügel hin und her, schon bevor das Rennen losgeht, ist Rin völlig nass geschwitzt.

Dann endlich rufen die berittenen Ordner in ihren orangefarbenen Westen auch Modiyar zum Start. Etwa 40 Reiter sammeln sich einige hundert Meter abseits der Zuschauer, und gleichzeitig mit dem Startkommando erhebt sich eine Staubwolke, die hinter den galoppierenden Pferden über die Rennbahn weht. Modiyar hat fünf Runden zurückzulegen, jede davon drei Kilometer lang. Zwischen den Reitern, die plötzlich fast alle rote Kopftücher tragen, ist er nicht mehr auszumachen.

Jedes Mal, wenn das Feld an der Tribüne vorbeirast, ist es weiter dezimiert. Einige Reiuter stürzen, führerlose Pferde jagen auf die Zuschauer zu. Ein Pferdebesitzer fängt sein Pferd ein und macht dem zu Fuß hinterher eilenden Reiter unter dem Gelächter der Zuschauer lautstark Vorhaltungen. Zwei Pferde bleiben mit gebrochen Beinen im Graben am Rande der Rennstrecke liegen.

Beim Zieleinlauf ist Modiyar verschwunden. Keines der roten Tücher gehört zu ihm, auch Sascha ist nirgendwo zu sehen. Beide sind längst am Pferdetransporter, wo schon wieder eingepackt wird. Sascha reibt die Stute trocken, während sich Modiyar von seiner Schwester trösten lässt. Dass er zerknirscht ist, sieht man ihm an. Er ist ausgeschieden. Nach vier Runden hatte zwar er noch genug Kraft, nicht aber das Pferd. Um Rin zu schonen, zog der Vater ihn aus dem Rennen.

Als ein Schaf am Hinterbein an der kleinen Gruppe vorbeigeschleift und im Kofferraum des Ladas verstaut wird, zeigt sich, dass der Rennstall von Modiyars Vater doch nicht erfolglos war. Der temperamentvolle Hengst hat die Baiga gewonnen. Er ist die Hoffnung für das nächste Rennen.

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