Sie sind eine Besonderheit des deutschen Bildungssystems: die Begabtenförderungswerke, die Parteien, Religionsgemeinschaften, Unternehmern oder Gewerkschaften nahestehen. Nun bekommen auch Deutschlands Muslime eines.

Medizin, Mathematik, Astronomie: Abu Ali al-Husain ibn Abdullah ibn Sina (um 980-1037), in Deutschland besser bekannt unter seinem latinisierten Namen Avicenna, war ein Universalgelehrter. Als einer der bedeutendsten Denker der arabischen Welt beeinflusste seine Auseinandersetzung mit Aristoteles auch die europäische Philosophie des Mittelalters. In Deutschland trägt nun das erste Studienwerk speziell für muslimische Studenten den Namen des Wissenschaftlers und Mystikers.

Geld vom Bund

Zwölf Begabtenförderungswerke gibt es bislang in Deutschland, die aus Mitteln des deutschen Bildungsministeriums Stipendien an Studenten vergeben. Die meisten von ihnen haben eine bestimmte weltanschauliche Ausrichtung: so stehen etwa die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Friedrich-Naumann-Stiftung, die Hanns-Seidel-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung verschiedenen politischen Parteien nahe. Während das Studienförderwerk Klaus Murmann unternehmer- und wirtschaftsnah ist, steht die Hans-Böckler-Stiftungauf der Seite der Gewerkschaften. Nicht politisch, sondern konfessionell ausgerichtet sind dagegen das katholische Cusanuswerk, das Evangelische Studienwerk Villigst und das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk. Weltanschaulich unabhängig ist einzig der zwölfte im Bunde, die Studienstiftung des deutschen Volkes.
Ab dem kommenden Jahr wird sich ein weiteres Studienwerk dazugesellen. Wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung mitteilte, soll das muslimische Avicenna-Studienwerk ab dem Wintersemester 2014/2015 gefördert werden. Innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren sollen dazu Mittel in Höhe von sieben Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Hinzu kommt noch einmal eine Million Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren von der Stiftung Mercator.

Keine Gesinnungsprüfungen

Geförderte Studenten können vom Avicenna-Studienwerk künftig bis zu 670 Euro monatlich erhalten, dazu kommt ein Büchergeld. Promotionsstudenten erhalten im Monat 1050 Euro. Voraussetzung für ein Stipendium sind überdurchschnittliche Leistungen sowie gesellschaftliches Engagement. Gesinnungsprüfungen dagegen soll es nicht geben: während ein allgemeines Bekenntnis zum muslimischen Glauben von den Stipendiaten in der Regel erwartet wird, bleibt das Ausleben dieses Glaubens Privatsache. Gefördert werden sollen zudem auch Nicht-Muslime, die sich mit interkulturellen Themen beschäftigen.

Vorstandsvorsitzender des neuen Studienwerks ist Bülent Ucar, der als Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück lehrt. Der im westdeutschen Oberhausen geborene 36-jährige Sohn eines Bergarbeiters hat sich den Ruf erarbeitet, zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland vermitteln zu können. Bislang, so Ucar, sei das große intellektuelle Potential unter jungen Muslimen in Deutschland noch kaum gefördert worden. „Mit dem Avicenna-Studienwerk kann das muslimische Leben in Deutschland – nach den großen Aufbauleistungen durch die Generation unserer Eltern – auf eine neue Ebene gebracht und für das Gemeinwohl ertragreich gemacht werden,“ so Ucar.

Schätzungen zufolge leben in Deutschland zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime, etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung. Unter ihnen stellen Bürger mit türkischem Migrationshintergrund (etwa 2,5 Millionen) die größte Gruppe. Knapp die Hälfte der Muslime in Deutschland verfügt über die deutsche Staatsbürgerschaft.

Von Robert Kalimullin

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