Balkan-Pop, Gypsy-Swing, Afrobeats, Arabtronic: „Kulturelle Musikstile“ durchmischen sich im Prozess der Globalisierung immer schneller und bringen aufregende neue Genres hervor, die auf dem besten Wege sind, es in den globalisierten Geschmack des Mainstreams zu schaffen. Es scheint also, als sei genau die richtige Zeit für den kasachischen Ethno-Jazz der „Steppe Sons“. Die Steppen-Söhne, das sind Tokhtar Nurmoldayev (28), Erzhigit Aliyev (25), Nurlykhan Rakhymzhan (22), Akezhan Taubaldy (22) und Muratbek Ramankulov (22). Im Interview erzählen sie vom Spaß am Experimentellen und dem Reiz am kreativen Umgang mit kulturellen Identitäten.

Ihr seid alle Multi-Instrumentalisten. Wie viele und welche Instrumente spielt ihr?

Wir spielen alle mindestens fünf Instrumente, aber jeder von uns hat einen Schwerpunkt und eine Rolle in der Band. Tokhtar ist unser Hauptsänger, außerdem hörst du ihn auf Sybyzgi und Shan Kobyz spielen. Erzhigit spielt Zhetigen und Basdombyra. Nurlykhan spielt alle Varianten von Kobyz (Kylkobyz, Narkobyz, auch Shan Kobyz). Muratbek spielt Dombyra, Sherter, Shilkildek, Ush Ishekti Dombyra, und Akezhan ist zuständig für alle Trommel-und Schlaginstrumente (Dangyra, Dauylpaz, Shyndauyl, Kepshik etc.). Außerdem singen wir alle ein bisschen, auch im Obertongesang: „gorlovoe penie“. An westlichen Instrumenten hörst du Piano und Gitarre.

Wann und wo habt ihr euch kennengelernt?

Lange Geschichte. Sie beginnt mit Serik Toktasynovich Nurmoldaev. Er ist Gründer und Direktor der Firma SCNECC Entertainment, die u. a. uns produziert. Außerdem ist er der ältere Bruder von Tokhtar. Die beiden bildeten ein Jazz-Duo. Sie waren hauptsächlich Sänger, deshalb haben sie uns eingeladen, ab und zu bei ihren Bühnenauftritten die Instrumente zu spielen. Mal war man dann dabei, das andere Mal nicht. Eines Tages kam dann Serik auf uns zu und meinte: „Hey Jungs, ich möchte euch anbieten, eine Band mit euch allen zu gründen. Ich würde euch produzieren, die Musik und das alles sollt ihr aber selbst kreieren. Lasst uns das versuchen!“ Unser Debüt als Gruppe auf der Bühne hatten wir dann im Februar 2018. Als Freunde und Co-Musiker sind wir schon länger zusammen.

Also seid ihr wirklich Freunde?

Ja, natürlich, wir sind wie eine Familie, wie Brüder. Wir sind im selben Alter, haben die gleiche Mentalität, wir haben immer Spaß zusammen, manchmal kann es sehr kindisch zugehen.

Warum dieser Name: „Steppe Sons“?

Die Idee kam von Serik. Weil wir Ethno-Instrumente spielen. Der Name sollte schon etwas über die Musik aussagen. Wenn man „Steppe Sons“ hört, weiß man sofort: „Oh, das ist Ethno-Musik, das ist kasachische Musik.“ „Steppe“ steht für uns für Kasachstan, weil das unsere Landschaft ist. Am Anfang war der Name auf Kasachisch, aber natürlich ist das selbst für Russischsprachige nicht einfach zu erinnern, zu verstehen. Also haben wir ihn auf Englisch übersetzt, das war auch ein Marketing-Schritt in Hinblick auf unser ausländisches Publikum. Unser erstes Solokonzert im Ausland war im Oktober in Slowenien. Das slowenische Publikum war wirklich begeistert, und wir dachten alle schon: „Oh mein Gott, wir werden Stars.“

Was steht aktuell bei euch an, und was sind eure Pläne für die Zukunft?

Momentan sitzen wir an unserem zweiten Album. Das erste war sehr „ethnisch“. Im zweiten wird das ethnische Thema auch noch da sein, aber insgesamt wird es jazziger, und wir haben auch einige, wie wir sagen, kosmische Momente und Elemente aus der Lounge-Musik. Außerdem wollen wir an unserem Auftritt arbeiten, mit neuen Kostümen etc.

Ich mag die traditionelle Kleidung, die ihr auf der Bühne tragt. Warum wollt ihr das ändern?

Wir werden natürlich weiterhin traditionelle Elemente in unseren neuen Outfits haben, das ist sehr wichtig. Aber du kommst aus dem Ausland – dir gefällt das, es ist neu für dich, ungewöhnlich. In Kasachstan dagegen ist Ethno-Musik nicht so populär. Die Leute hier hören lieber Musik aus dem Ausland, weil man damit zeigt, dass man fortschrittlich ist. Was unsere tradierte Kultur betrifft, sind wir nicht sehr patriotisch. Wir sehen nicht, was wir daraus machen könnten: unser eigenes kasachisches „Brand“, wie z. B. Korea mit K-Pop. Korea hat seine Ethnizität in der Welt berühmt gemacht. Das ist es, was wir auch versuchen: unsere Kultur erfolgreich zu vermarkten. Und für das kasachische Publikum muss das eben modern und glamourös sein und blinken. Ethno-Kleidung finden unsere Jugendlichen langweilig. Du hast es selbst gemerkt beim Konzert in „La Boheme“: Das war eine Art Apartment-Konzert, aber das Publikum war so um die vierzig, fünfzig. Wir wollen auch junge Leute erreichen und ihnen zu einem besseren Verständnis ihrer Kultur verhelfen. Das wird sie aber nur verstehen, wenn wir „stylisch“ genug aussehen.

Seid ihr Vollzeit-Musiker? Oder arbeitet ihr noch etwas nebenher?

Naja, vier von uns sind Studenten. Tokhtar ist gerade mit seinem Master fertig geworden. Nurlykhan, Akezhan und Muratbek geben nebenher noch Musikunterricht. Erzhigits Familie ist der größte Hersteller von Musikinstrumenten in Kasachstan und hat gerade gestern eine Musikschule eröffnet, da ist er zur Zeit sehr eingebunden. Tokhtar unterrichtet ebenfalls Musik und Schauspiel und ist auch Schauspieler am Lermontow-Schauspielhaus.

Warum spielt ihr traditionelle kasachische Musik, warum Jazz-Musik, und warum eine Kombination aus beidem?

Unser Genre ist das Ergebnis einer langen Suche nach dem Sound. Denn auf Ethno-Instrumenten spielt man normalerweise Ethno-Musik. Wir aber haben versucht, zu experimentieren und zu schauen, wie unsere Instrumente in anderen Genres funktionieren. Das beste Resultat hatten wir im Jazz, aber du hörst auch Einflüsse aus Pop und Rock. Es war unser Bedürfnis, etwas Neues mit den kasachischen Instrumenten zu machen und den Leuten zu zeigen: „Hey, wir können auch coole Dinge mit unseren eigenen Instrumenten machen, wir brauchen nicht alle immer auf das Klavier oder die Gitarre schauen“.

Was ist das Besondere an traditioneller kasachischer Musik?

Kasachische Musik ist wie ein Gemälde der Vergangenheit, unserer Geschichte – dessen, was wir sind und woher wir kommen. Jedes Instrument ist dabei wie ein anderer Pinsel: die Dombyra ist z. B. der Klang unserer galoppierenden Pferde. Kylkobyz ist der Klang unseres Dramas, es malt den Schmerz unserer Leute. Die Trommeln zeigen den Mut unserer Nation, sie malen dramatische, historische Momente und Helden. Zhetigen malt die Schönheit unserer Natur, zeigt unsere Lyrik, erzählt Liebesgeschichten. Die Musik ist unser Erbe, es sind die Porträts unserer Vergangenheit, denn wir sind Nomaden, wir haben keine Gebäude, wir haben keine schriftlichen Gedichte, keine Gemälde. Wir haben nichts, was man sehen oder anfassen kann, wir haben nur den Klang. Und diesen wollen wir auch zum Teil unserer Zukunft machen; wir wollen zeigen, wer die Kasachen des 21. Jahrhunderts sind. Das ist etwas, auf das wir stolz sein können.

Wie sieht der Kompositionsprozess bei euch aus, wie schreibt ihr eure eigenen Songs?

Das passiert alles durch Improvisation und Inspiration. Es beginnt meistens so, dass wir ein Thema haben, dann fängt einer an zu spielen, was ihm dazu in den Kopf kommt, dann steigt der nächste ein und spielt etwas darauf und so weiter. Dann überlegen wir uns die Geschichte dazu. Am Ende stehen wir meistens an einem ganz anderen Punkt als dem, von dem wir gestartet sind.

Schreibt ihr eure Musik auf?

Meistens haben wir uns so daran erinnert. In letzter Zeit schreiben wir ab und zu etwas auf. Aber eigentlich ist das nicht üblich, auch beim Unterrichten verwenden wir keine Noten. Unsere Schüler lernen über das Gehör, wir spielen ihnen etwas vor, sie sollen zuhören, es sich merken und nachspielen.

Welche Musik hört ihr privat?

Verschiedenes! Coldplay, Alternative Rock, Pop, Imagine Dragons, Kodaline…

Noch etwas Musiktechnisches: Wie stimmt ihr eure Instrumente? Auf wieviel Hz?

Das ist eine schwierige Frage, weil unsere Musik nie akademisch war. Die Leute haben nicht gemessen und nicht aufgeschrieben, sondern einfach gespielt, wie sie gefühlt haben. Das ist ein Unterschied zu der musikhistorischen Entwicklung beispielsweise in Europa. Wir folgen einfach dem Ton, den das Instrument, welches beginnt, vorgibt. Wenn zum Beispiel die Dombyra anfängt zu spielen und das führende Instrument in diesem Lied ist, dann werden alle Instrumente nach ihr gestimmt.

Wo kann man euch finden? Auf welchen Kanälen seid ihr aktiv?

Man findet uns auf Spotify, iTunes, Youtube, Instagram und Facebook und bald auf unserer eigenen Website.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Katharina Frick.

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