Kreml, Hagia Sophia, Akropolis? Zweifelsohne beeindruckend. Doch die heimlichen Höhepunkte meiner Reise durch Osteuropa sind die kleinen und großen Begegnungen. Jeder Mensch hat seine ganz eigene Geschichte zu erzählen.

So zum Beispiel der syrische Teppichhändler in Istanbul. Sein ehemaliger Stand auf dem Großen Basar in Aleppo sei vollkommen niedergebrannt, klagt er. Er kämpfte dort auf der Seite der Rebellen. Doch als ihn eine Kugel nur knapp verfehlte, wurde es ihm schließlich zu heikel: Nur mit einem Rucksack bewaffnet floh er in einer Nacht- und Nebelaktion in die Türkei. Das Schlimmste an der Situation sei, dass man nie wisse, ob der Gegenüber auf der eigenen oder der feindlichen Seite kämpfe. Deshalb hegt er auch keine großen Hoffnungen auf ein baldiges Ende des Krieges in Syrien. Obwohl er seine Freunde und Familie sehr vermisse, wie er leise bekennt.

Krieg und Flucht

Oder Rinor. Er bedient mich in einem mazedonischen Restaurant. Als er herausfindet, dass ich aus Deutschland komme, strahlt er. Rinor verbrachte seine Kindheit im Kosovo, doch der Krieg änderte alles. „Sehr schwer“, wirft er immer wieder ein, als er über die Flucht nach Deutschland berichtet. Zusammen mit 5000 anderen Autos wartete seine Familie eine Woche lang am kosovarischen Grenzübergang nach Mazedonien. Zu diesem Zeitpunkt war Rinor gerade mal zehn Jahre alt. „Jeden Tag kam die serbische Polizei“, erzählt er in gebrochenem Deutsch.
Hatte man ein teures Auto, verlangten sie mit vorgehaltener Pistole Geld: „Zu uns kamen sie auch, wir haben ihnen Geld, alles gegeben.“ Von Mazedonien aus beantragte seine Familie schließlich Asyl in Deutschland, wo sie sechs Jahre lebte. Rinor ging in Lüdenscheid in die Schule, fand gute Freunde und sogar eine Freundin. Eines Morgens dann der Schock: sechs oder sieben Polizisten standen vor der Tür – Rinors Vater hatte schwarz gearbeitet. Doch in Deutschland darf man als Asylbewerber nicht zu viel Geld haben. „Die Polizei hat uns direkt mitgenommen“, erinnert sich der Kellner. Und wieder seufzt er: „Das war sehr schwer.“

Mit den eigenen Augen sehen, mit den eigenen Ohren hören

In der Bahn von Athen nach Thessaloniki treffe ich einen griechischen Studenten. Er habe nichts gegen die Deutschen, betont er. Aber die deutschen Politiker, sie führten einen ökonomischen Krieg. Viele seiner Freunde säßen ohne Arbeit auf der Straße. Der Frust ist ihm anzumerken, doch er gibt nicht auf: Vor ein paar Tagen noch hatte er demonstriert, jetzt ist er auf dem Weg nach Spanien, um dort Freunde zu besuchen.

Am fröhlichsten scheinen mir die Menschen in Albanien. Dort treffe ich auch Baba Edmond Brahimaj, das Oberhaupt des Bektaschi-Ordens. Die Bektaschi werden dem Sufismus zugeordnet, einer mystischen Bewegung des Islam. Die Bektaschi sind sehr liberal – mir wird Raki angeboten. Frauen können ebenso wie Männer Mitglied werden. Der Baba trichtert mir ein: Das Wichtigste beim Reisen sei, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören.

Christine Faget verbrachte im Herbst 2012 drei Monate als Praktikantin bei der DAZ in Almaty. Während sie auf ihrer Anreise nach Almaty mit dem Zug quer durch Kasachstan fuhr (siehe Nr. 38/2012), führte sie die Rückreise nach Deutschland über Istanbul und den Balkan. In der kommenden Woche schreibt sie in der DAZ über ihre Begegnung mit jungen Roma in Albaniens Hauptstadt Tirana.

Von Christine Faget

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