Inna Herrmann ist sicher: Solange es Kunst gibt, gibt es auch die Welt. Die Sängerin und Komponistin, besser bekannt unter dem Pseudonym AVEHA, sieht die schöpferische Energie als ein Fundament der Weltordnung. Und Musik als eine ihrer wichtigsten Komponenten.

Inna, was meinen Sie, ist es ein seelischer Zustand, Künstlerin zu sein?

Unbedingt. Und Kreativität ist die Lebensenergie, die es braucht, um die Seele in Spannung zu halten.

Sie kommen aus Almaty, der kulturellen Hauptstadt Kasachstans…

Ja, es ist eine atemberaubende Stadt mit malerischer Natur und wunderbaren Menschen. Ich bin stolz darauf, dort geboren zu sein.

Welche Kindheitserinnerungen haben Sie in Ihrem Herzen bewahrt?

Nur gute. Ich hatte eine wundervolle sowjetische Kindheit, liebevoll und ereignisreich. Buchstäblich von der Wiege an träumte ich von Musik, ständig summte ich etwas vor mich hin, so dass ich im Alter von sieben Jahren auf eine Musikschule geschickt wurde. Ich erinnere mich, wie ich singen und Klavier spielen lernte, auf der Eisbahn „Medeu“ Schlittschuh lief, ins Theater und ins Kino ging. Kurz gesagt, von klein auf versuchten meine Eltern, mir die Liebe zur Kunst und zur Musik einzuflößen.

Offenbar haben Sie sich schon als Kind entschieden, Künstlerin zu werden?

Wahrscheinlich. Aber erst nach der Schule verfestigte sich mein Wunsch, zu singen und zur Bühne zu gehen. Damals bekam ich die Chance, an der Stage School in Hamburg (Fachschule für Tanz, Gesang und Schauspiel – Anm.) anzufangen. Ich habe die Aufnahmeprüfungen abgelegt und bestanden. Es war nicht leicht für meine Eltern, mein Studium zu bezahlen. Damals lebten wir noch nicht einmal sieben Jahre in Deutschland, und es gab gewisse finanzielle Schwierigkeiten. Ich bin ihnen dankbar dafür, dass sie mein Streben nach Kunst unterstützten und mein Studium bezahlen konnten.

Die berühmte polnische Sängerin deutscher Abstammung und übrigens auch Ihre Namensvetterin Anna German hat einmal gesagt: „Es geht nicht nur darum, Geld zu verdienen und von einem Tag zum anderen zu leben, sondern auch darum, dass es Freude bringt, was man tut…“. Sehen Sie das auch so?

Sicher. Arbeit soll Spaß machen. Das Leben ist zu kurz, um es für ungeliebte Dinge zu verschwenden. Nur des Geldes wegen zu arbeiten, ist falsch – es ist moralisch schwer, raubt Kraft und Energie.

Wie bleibt man also glücklich und trotzdem nicht arm dabei?

Keine einfache Frage, um ehrlich zu sein. Es ist klar, dass wir alle in einer materiellen Welt leben, die uns täglich die Aufgabe stellt, Geld für Lebensmittel, Kleidung, Wohnkosten usw. zu verdienen. Aber je mehr wir uns auf materielle Dinge konzentrieren, desto mehr nerven sie uns. Hinzu kommt, dass man nie genug Geld hat, egal wie viel es ist. Musik hingegen ist mein Ein und Alles. Ich kann mir mein Leben ohne Bühne nicht vorstellen. Leider musste ich wegen der Pandemie-Situation eine Reihe von Auftritten absagen, aber ich hoffe, es wird nicht lange dauern. Was Anna German betrifft, so habe ich viel mit ihr gemeinsam: meinen Familiennamen, meine deutschen Wurzeln, meine Ansichten, meine Liebe zur Musik…

Anna German sprach auch mehrere Sprachen, sie verstand auch Kasachisch…

Auch darin bin ich ihr ähnlich.

War es schwer, sich in Deutschland einzuleben?

Nein. Ich war 12 Jahre alt, als meine Familie und ich Kasachstan verließen – Kinder lernen Sprachen viel leichter als Erwachsene. Außerdem war ich ein kontaktfreudiges, wissbegieriges und offenes Kind, ich hatte keine Kommunikationsprobleme. Ich habe recht schnell Deutsch gelernt.

Wovon hängt Ihrer Meinung nach eine erfolgreiche Integration in einem anderen Land ab?

Von der Kommunikation. Je mehr man sich auf die Kommunikation mit Menschen, auf das öffentliche und soziale Leben einlässt, desto schneller lernt man die Sprache, passt sich an und integriert sich in die Gesellschaft. Ich begann die Sprache zu lernen, nachdem ich übergesiedelt war, aber schon in Kasachstan begann ich, Bücher auf Deutsch zu lesen – mein Vater hatte darauf bestanden. Das war richtig so. Es ist notwendig, die Kultur eines Landes durch seine Literatur, Kunst und Geschichte zu verstehen…

Wie nehmen die Menschen um Sie herum Ihre Arbeit wahr?

Viele Menschen freuen sich für mich und sind sogar stolz auf mich. Obwohl ich zugeben muss, dass im Leben nicht immer alles glatt läuft: Wie alle anderen bin ich auch manchmal traurig, muss die eine oder andere Schwierigkeit überwinden, oder ärgere mich über manches… Aber natürlich bin ich auch froh und habe glückliche Momente. Mein Papa ist übrigens auch sehr musikalisch, er liebt sowjetische Unterhaltungsmusik, und wenn er mich auf der Bühne sieht, ist er vor Glück im siebten Himmel.

Heute habe ich mir zum fünften Mal Ihr Lied vom „Black Sunday“ angehört. Und ich muss Ihnen sagen, dass Sie wissen, wie man eine Seele berührt…

Danke. Ich versuche, die Melodie meines Herzens mit meiner Stimme auszudrücken. Ich habe dieses Lied im Frühjahr 2020, bereits während der Pandemie, geschrieben und in Zusammenarbeit mit dem BTSP-Label und der deutschen Popband „Perlregen“ veröffentlicht.

Wie gehen Sie mit Kritik um?

Kritik ist eigentlich nichts Schlechtes. Aber es gibt Nuancen: wer kritisiert, wie, in welcher Form und mit welcher Intention. Die Kritik eines Profis ist zweifellos beachtenswert. An der Meinung von Dilettanten bin ich nicht interessiert.

Im Ensemble „ABBA Royal“ singen Sie Lieder der legendären schwedischen Band „ABBA“…

Ja. Ich covere ihre Songs in der Show. Anfang der 2000er Jahre unternahmen wir eine Tournee durch ganz Europa, sie hieß „MAMMA MIA“. Und wir haben es sogar geschafft, mit ihr vor der Pandemie durch Deutschland zu touren.

Das ewige Dilemma der Fans der Band: „Agneta oder Frida?“ Wer ist besser?

Sie sind beide großartig, ich habe sie nie verglichen. Aber ich trat sowohl als Agneta als auch als Frida auf.

Sind Sie für das Matriarchat oder das Patriarchat?

Für mich spielt es keine Rolle, wer zum Beispiel das Land regiert, Mann oder Frau. Es spielt keine Rolle, welches Geschlecht die Person hat, die einen Betrieb führt oder in einer Familie das Sagen hat. Die Taten, Worte, Handlungen und die Solidarität einer Person sind viel wertvoller als ihre Geschlechtsidentität.

Aber dass die Emanzipation der Frau auf der ganzen Welt, auch in Europa, Hochkonjunktur hat, ist nicht zu übersehen…

In Europa schaut man schon lange anders auf Frauen, nämlich in ihrer Rolle in der Gesellschaft, in der Familie. Hier in Deutschland sind die Frauen in der Tat emanzipiert – ähnlich wie in Frankreich oder in England. Die Tatsache, dass die Europäerinnen von heute nicht heiraten und keine Kinder haben wollen, sondern lieber ins Business gehen und Karriere machen, wird heute als normal und in gewisser Weise sogar mit Verständnis wahrgenommen. Obwohl es immer noch so ist, dass Frauen, die gleichberechtigt mit Männern arbeiten, weniger verdienen als diese. Ich finde das unfair.

Welche Vorstellungen von einer idealen Familie haben die Deutschen von heute, und welche Vorstellungen haben Sie?

Das Heiratsalter in Deutschland wird jedes Jahr höher. Es ist sehr selten, dass man sehr junge Eltern trifft. Normalerweise denkt man erst nach dreißig daran, zu heiraten und ein Kind zu bekommen, wenn der Mensch, wie man sagt, bereits mehr oder weniger fest auf eigenen Beinen steht und er auf seinen Schultern schon ein gewisses Gepäck an Lebenswissen und Erfahrung trägt.

Also erst, nachdem er eine Weile für sich selbst gelebt hat?

Genau. Die Welt gesehen, Karriere gemacht hat. Dann kann er eine Familie gründen. Und oft wird es nur ein Kind darin geben – natürlich nicht bei allen, aber bei vielen. Ich habe es genauso gemacht: Bis ich dreißig war, machte ich Karriere, dann traf ich meinen zukünftigen Ehemann, und mit dreiunddreißig Jahren bekam ich eine wunderbare Tochter.

Wie sehen Sie die Zukunft Europas?

Das ist keine leichte Frage. Besonders in der gegenwärtigen Coronavirus-Situation, in der viele politische, wirtschaftliche und soziale Probleme aufgetreten sind. Natürlich möchte ich, dass alles so schnell wie möglich besser wird, dass die Grenzen geöffnet werden, dass alle einmütig, glücklich und zufrieden zusammenleben. Ich möchte das nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt.

Vielen Dank für dieses informative Interview.

Die Fragen stellte Marina Angaldt.

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