Zwei Monate nach dem Fall der Mauer stürmten am 15. Januar 1990 aufgebrachte Demonstranten die Zentrale der DDR-Staatssicherheit in Berlin und leiteten damit das Ende des DDR-Geheimdienstes ein

Auf der Kantinen-Speisekarte standen Räucheraal und Krabben, Lagerräume waren mit Roastbeef und Haifischflossensuppe in Dosen gefüllt, es gab holzgetäfelte Konferenzräume. Statt ihrer Stasi-Akten sahen sie diesen für DDR-Verhältnisse unvorstellbaren Luxus.

Aus Wut und Ohnmacht zerstörte die aufgebrachte Menge in dem festungsartigen Bürokomplex Stühle und Tische, riss Waschbecken aus der Wand und warf Bilder des langjährigen Staats- und Parteichefs Erich Honecker aus den Fenstern. Bis heute halten sich Gerüchte, beim Sturm des Areals sei die Menge in den Versorgungsbau „abgelenkt“ worden – vielleicht sogar von getarnten Stasi-Leuten.

Nach einem Aufruf hatten sich die Demonstranten zunächst vor dem früheren Ministerium von Stasi-Chef Erich Mielke versammelt, um gegen die Weiterarbeit der Stasi zu protestieren. Symbolisch wurde ein Eingang zugemauert. Drinnen verhandelten Bürgerkomitee-Vertreter.

Doch als die Tore geöffnet wurden, eskalierte die Situation. Viele Stasi-Leute waren aber nach Hause geschickt worden, nur vor versiegelten Türen standen Wachleute.

Bürgerrechtler fuhren an den Ort des Geschehens. Ein Aufruf in Rundfunk und Fernsehen endete mit den Worten: „Bitte keine Gewalt.“ Auch Ministerpräsident Hans Modrow eilte herbei, um via Lautsprecher zur Besonnenheit aufzurufen. Die Aufrufe fruchteten schließlich: Die Demonstranten verließen das Gebäude, die Eingänge wurden gesichert.

In einer Meldung der DDR-Nachrichtenagentur ADN hieß es am Abend: „Ein Bürgerkomitee hat in der Normannenstraße das Kommando übernommen.“ Am nächsten Morgen schätzte die Ost-Berliner Polizei ein, es sei ein Verdienst der Bürgerkomitees und Oppositionsgruppen gewesen, dass es keine Toten oder Schwerverletzten gab.

Der Sturm auf die Stasi-Zentrale besiegelte den Untergang des DDR- Geheimdienstes. Es sei ein einmaliges historisches Ereignis, dass Bürger einen aktiven Geheimdienst endgültig zu Fall brachten, sagt die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler. Heute leitet sie im Auftrag der Regierung die Stasi-Unterlagenbehörde.

Schon drei Tage vor dem 15. Januar 1990 musste die DDR-Regierung Modrow wegen der Dauer-Demonstrationen von Plänen abrücken, an Stelle des Geheimdienstes ein Amt für Verfassungsschutz zu errichten.

Nach damaligen Erkenntnissen der Bürgerkomitees, die die Auflösung des Sicherheitsdienstes nach der Wende im Herbst 1989 überwachten, waren Anfang 1990 noch tausende Stasi-Leute im Dienst. Die Berliner Mielke-Zentrale funktioniere nach wie vor, monierten sie.

Die Stasi-Leute waren nicht untätig: Unter Hochdruck vernichteten sie Akten. Massenhaft wanderten Papiere in die Reißwölfe. Dass es nicht noch mehr wurden und dass noch Akten gerettet wurden, sei auch dem Sturm auf die Stasi-Zentrale zu verdanken, hieß es. Die Stasi- Verwaltungen in den Bezirken waren schon zuvor besetzt worden.

Bis heute gibt es aber auch Ungeklärtes. Die Veranstaltungen zum 15. Jahrestag stehen unter dem Titel „Ende der Dienstzeit in der Normannenstraße – Die Besetzung der Stasi-Zentrale – ein Mythos?“ So gibt es weiter Spekulationen, bei den Demonstranten seien westliche Geheimdienstler gewesen, die gezielt in bestimmte Räume vordrangen.

Ob andere Geheimdienstler an jenem Tag in der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße waren, sei nach wie vor unklar, sagt Birthlers Sprecher. „Definitiv ist aber, dass Unterlagen verschwanden.“

Die „Rosenholz-Dateien“ über Stasi-Auslandsspione seien aber nicht auf diesem Wege weggekommen, sondern vermutlich über den sowjetischen Geheimdienst KGB in die Hände der US-CIA gelangt. Die mikroverfilmten Dateien kamen erst Jahre später nach Deutschland zurück. (Jutta Schütz, dpa)

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