Unsere Kolummnistin Julia Siebert hat zwei Jahre in Russland gelebt und hilft jetzt in Köln Aussiedlern bei der Integration. In der DAZ schreibt sie von nun an regelmäßig über Ihre Erfahrungen in Deutschland.

Jetzt wird es langsam ernst. Wir sind lange darauf vorbereitet worden. In den Supermärkten gibt es schon seit Wochen Lebkuchen und Spekulatius. Kerzen, Deckchen und Servietten bekommt man nicht mehr ohne pausbäckige Engel. Die Bratwurst schmeckt am besten auf dem Weihnachtsmarkt zu Glühwein. Und im Büro drehen sich die Flurgespräche nur noch um die Weihnachtsfeier. Jetzt hat sie uns endgültig erwischt, die Weihnachtsstimmung. Noch vor wenigen Wochen gab man sich modern und aufgeklärt, freute sich vorher schon auf das nachher, wenn der ganze Tamtam vorbei wäre. Jeder tönte laut, dass er Weihnachten diesmal anders feiern würde. Ohne Geschenke und ohne Baum. Wider den Konsum. Und tut es doch nicht. Denn es hilft alles nichts. Je näher das Fest rückt, desto mehr steigt die Rührung, der Wunsch nach Besinnlichkeit sitzt tief. Aus den Stuben klimpert es noch holprig „Oh du fröhliche”, und bald bleibt kein Fenster mehr ohne Lichterkette. Damit fällt endgültig der Widerstand. Ist aber auch wahr: Ein Weihnachten ohne Weihnachtsgeschenke ist kein richtiges Weihnachtsfest. Zumindest eine Kleinigkeit soll es sein, woraus dann viele Kleinigkeiten werden. Und weil Weihnachtsgeschenke nur unter einem echten Baum wie Weihnachtsgeschenke aussehen, sind auch die ökologischen Bedenken schnell ausgeräumt. Damit eins zum andern passt, steht am Ende statt Kartoffelsalat und Würstchen doch die Gans auf dem Tisch. Passt ja auch besser zum guten Rotwein. Alles wird sein wie im Jahr zuvor und im Jahr davor, so auch die kleinen Streitigkeiten. Der Vater besorgt den Baum zu spät und ergattert nur einen kleinen zerrupften. Die Mutter ereifert sich entsprechend, aber weil sie ihren Text inzwischen auswendig kann und der Vater sich lieber nicht wehrt, ist diese Episode schnell überstanden. Dem folgt ein kurzes Wortgefecht, weil die Kartons mit Baumschmuck und Krippenfiguren nicht aufzufinden sind. Wer die wieder mal weggeräumt hat, lässt sich nicht ermitteln, gefunden werden sie schließlich aber doch. Und zwar dort, wo sie immer schon standen und auch im nächsten Jahr stehen werden. Ein wahrer Balanceakt wird das Weihnachtsessen. Die Mutter fuhrwerkt nervös in der Küche herum, es soll gelingen. Da kann nur jeder im Weg herumstehen. Der Rest der Familie verzieht sich lieber hinter Zeitung und Bücher, was natürlich auch verkehrt ist, weil die Mutter allein schuftet. Was nicht ganz stimmt. Denn die Schwiegermutter hilft zu gern, da sie sowieso alles besser weiß, was allerdings nicht gerade die Stimmung hebt. Schließlich ist alles gemeistert, die Mutter macht sich chic, hätte aber besser nicht den Vater gefragt, welches Kleid sie anziehen soll. Das Essen schmeckt, wird aber nicht genügend gelobt. Singen wollen eigentlich nur die Mütter und Großmütter und darum muss das vor der Bescherung passieren, die Kinder müssen sich die Geschenke an Klavier und Flöte verdienen. Und so ist es eigentlich alles in allem doch ganz schön. Die zwei folgenden Tage mit der unliebsamen Verwandtschaft, an denen man viel zu viel isst und sich langweilt, kriegt man dann auch noch rum. Und im nächsten Jahr wird es, Gott sei Dank, wieder so sein.

23/12/05

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