Unser Kolumnist ist in Bayern angekommen, um Weihnachten mit seiner Familie zu feiern. Dabei fallen ihm in dieser Zeit des Jahres die Unterschiede zwischen Kasachstan und Deutschland besonders auf. Eine Kritik am Weihnachtstrubel in Deutschland, der oft schon im Spätsommer beginnt.

Ich bin wie jedes Jahr für das anstehende Weihnachtfest zu meinen Eltern nach Deutschland geflogen. Wie groß der Unterschied zwischen Deutschland und Kasachstan ist, welch kulturelle Welten da aufeinander prallen, merkt man wohl nur selten im Jahr so sehr wie zu Weihnachten.

Ich bin ein Weihnachtsmuffel. Ich habe keine Freude, verspüre keine Weihnachtsstimmung, wenn ich zu George Michaels „Last Christmas“ oder zu „All I want for Chrismtas is You“ von Mariah Carey überteuerten Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt trinke und mir den Kopf zerbreche, welchen sinnlosen Blödsinn ich nur dieses Jahr wieder verschenke. Der Weihnachtsspaß ist mir eigentlich spätestens Ende September verdorben, wenn in den Supermärkten die ersten Paletten Dominosteine und Mandelspekulatius bereitstehen. Weihnachten, wie es heute in der westlichen Welt gefeiert wird, ist ein großer Marketinggag von Coca-Cola, und der Weihnachtsmann mit weißem Rauschebart im roten Mantel wurde dazu geschaffen, um kurz vor Jahresende noch mal so richtig viel Zuckerlimo an die Leute zu bringen.

Im mittelfränkischen Rothenburg ob der Tauber, welches wegen seiner historischen Altstadt bei ausländischen Touristen als besonders romantisch gilt, betreibt der Weihnachtsartikelhändler Käthe Wohlfahrt ein Weihnachtsmuseum samt Verkaufsshop für jede erdenkliche Weihnachtsdekoration. In diesem Museum kann man sich vor singenden Weihnachtsteddybären, tanzenden Nussknackern und Pirouetten drehenden Christkindern kaum noch retten. Der Besuch in frühen Kindertagen an einem winterlichen Samstagsausflug hat mich wohl auf Ewigkeiten so sehr traumatisiert, dass ich zum Weihnachtsverächter wurde. Sowohl das Weihnachtsmuseum als auch der Laden haben ganzjährig geöffnet.

Nussknacker und Lichterbögen aus dem Erzgebirge sind in Asien und Amerika so bekannt, dass der Besuch in dieser Weihnachtshölle selbst im Juli und August für amerikanische Touristen ganz oben auf der Liste steht und gelegentlich Japaner unter Kreischzuständen kollabieren und ohnmächtig in einen Ständer mundgeblasener Christbaumkugeln fallen.

Weihnachtsmärkte sind deutschlandweit zu kommerziellen Großevents geworden, die auch schon Anfang November öffnen. Völlig übertrieben, absoluter Überfluss, für mich zu viel des Guten! Seitdem ich in Kasachstan bin, kann ich diesem kapitalistischen Weihnachtswahnsinn immerhin ein Stück weit entfliehen. Von George Michael und Mariah Carey bleibe ich verschont, auch Lebkuchen und Gewürzspekulatius springen mir nicht im Supermarkt entgegen.

Anders als im Westen gibt es in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion Weihnachten in dieser Form nicht, sondern es wird lediglich Silvester und Neujahr gefeiert. Obwohl auch hier die meiner Meinung nach oft sehr kitschige Weihnachtsdekoration der Innenstädte selbstverständlich dazugehört und der Trend aus Glühwein und Weihnachtsmarkt irgendwie nach Osten überschwappt, schaffe ich es irgendwie, erfolgreich diesem Chaos aus dem Weg zu gehen. Der Homo Sovieticus feiert seit jeher lieber im engen Familienkreis, daheim, zurückgezogen in der kleinen Wohnstube.

Mein Flieger aus Kasachstan ist eben in Frankfurt gelandet, es sind noch ein paar Tage bis Heiligabend. Im Hauptbahnhof warte ich in einer Kneipe auf meinen Zug in die Heimat. Das Lokal ist mit Tannenzweigen und roten und goldenen Christbaumkugeln geschmückt. Ich bin gerade erst seit rund einer Stunde in Deutschland, da dröhnt aus den Lautsprechern plötzlich „All I want for Christmas is You“ von Mariah Carey, direkt im Anschluss läuft „Last Christmas“ von George Michael. An der Theke stehen drei Afrikaner mit Bier in der Hand, die ausgelassen tanzen und schunkeln.

Als ich im Zug sitze, denke ich noch lange an die drei tanzenden Männer, ihre Fröhlichkeit über die Weihnachtspopsongs hat sich auch auf mich übertragen, es kommt wohl so etwas wie Weihnachtsstimmung in mir auf. Ich freue mich jetzt doch auf Weihnachten und aufs Heimkommen zur Familie. Wie schön, dass ich in Kasachstan diesem westlichen Weihnachtswahnsinn noch aus dem Weg gehen kann. Weihnachtsstimmung, Lebkuchen und „Last Christmas“ sind schöner, wenn sie wirklich an Weihnachten stattfinden, nicht schon im September.

Philipp Dippl

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Philipp Dippl
Den Deutschen Philipp Dippl hat es durch die Liebe nach Almaty verschlagen. Vor kurzem hat er sein Studium der russischen Kultur in Bochum und Moskau abgeschlossen. In seiner wöchentlichen Kolumne erzählt der gebürtige Franke die kleinen Alltagsgeschichten der Apfelstadt.