In dieser Ausgabe startet eine Porträtreihe der vier neuen Sprachassistenten an den Sprachlernzentren in Kasachstan und Kirgisistan. Die seit 2000 tätigen Sprachlernzentren sind offizielle Partner des Goethe-Instituts in Almaty und haben Niederlassungen in Astana, Karaganda, Kostanai, Pawlodar und Ust-Kamenogorsk als auch Bischkek in Kirgisistan. Den Anfang macht Moritz Gause.

Über mich gibt es nicht viel zu berichten, darum will ich nur wenige Worte diesbezüglich verlieren und mehr von meiner Motivation, nach Bischkek zu gehen, erzählen.
Ich bin in Berlin geboren und dort, in Brandenburg und in Thüringen aufgewachsen. An der Friedrich-Schiller-Universität in Jena habe ich Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft studiert. Mein Fokus lag immer auf den Grenzbereichen zwischen Kunst und Literatur, der Repräsentation von Bildern in literarischen Texten, der Verarbeitung literarischer Stoffe in der Kunst und der Fruchtbarmachung gattungsspezifischer künstlerischer Verfahren im jeweils anderen Bereich.

2009 begann ich gemeinsam mit zwei Freunden, neben dem Studium Lesungen zu organisieren. Diese Arbeit kulminierte 2011 in der Gründung des Literaturprojektes „Wortwechsel“, das ich bis zu meiner Abreise im Sommer 2015 mit viel Herzblut betreut habe. Neben den Lesungen waren bzw. sind Literaturwerkstätten, Manuskriptdiskussionen, kleine Literaturfeste und eine Website Bestandteile des Projektes.
Im Sommer 2013 war ich literarischer Gast eines Pleinairs in Österreich, nahe der ungarischen Grenze. Im Rahmen meines dortigen Aufenthaltes recherchierte ich die Geschichte der dortigen Landschaft, die der westlichste Zipfel der ungarischen Puszta genannt werden kann. Die ungarische Puszta wiederum ist der westlichste Zipfel des eurasischen Steppengürtels. Und so begann meine imaginäre Reise durch Zeit und Raum.

Plötzlich weitete sich Europa, und aus dem Kontinent wurde ein Subkontinent Asiens. Plötzlich gab es nicht nur germanische, slawische und römische Völker, sondern da waren Awaren, Protobulgaren, Onoguren, Petschenegen und Mansen, Yüe-Tschi, Wu-Sun und Hephtaliten. Ich begann zu verstehen, dass das Verständnis Europas als eigener, in sich geschlossener Kontinent eine ahistorische Konstruktion ist, und die Wurzeln Europas ebenso in den Steppen und Gebirgen Zentralasiens, in Choresm, Baktrien und im Tienschan, zu suchen sind wie im Alten Rom, in Al-Andalus, Groß-Nowgorod, Stonehenge oder in Byzanz.
Seither konkurrieren in meinem Kopf zwei Vorstellungen des (historischen) Zentralasiens: Einerseits das klischeehafte, romantisierte Bild eines magischen, geheimnisvollen Orients in den Farben islamischer Mosaiken, kostbarer Seidenstoffe und eines einfachen, aber guten Lebens in Jurten, gemeinsam mit Pferden und Schafen, eines Lebens, das den Jahreszeiten folgt, eines Lebens also im Einklang mit der Natur. Andererseits die Vorstellung eines dynamischen, weitgesteckten Raumes, geprägt von Krieg, Handel, Flucht, weiträumigen Wanderungsbewegungen, überaus lebendigen Transkulturationsprozessen und der Konstante des beständigen Austausches zwischen sesshaften und nomadischen Gruppen.
Bereits bei einer kursorischen, oberflächlichen Betrachtung der zentralasiatischen Geschichte drängen sich mir Parallelen zu Situationen vieler ethnischer Gruppen und ganzer Staatenverbände heutzutage auf. Stetig anwachsende Flüchtlingsströme, ein globalisierter Arbeitsmarkt, kriegerische Auseinandersetzungen, die nicht nur um Land und Ressourcen, sondern auch um ideologische Überzeugungen und die Zugehörigkeit zu Gruppen geführt werden, stellen uns alle vor Herausforderungen ähnlich denen, die die komplexen historischen Konstellationen des historischen Zentralasiens an die damaligen Menschen gestellt haben mögen.

Handelsnetze wie Seiden– oder Bernsteinstraße wären ohne die Bereitschaft zu Mehrsprachigkeit und der Akzeptanz des „Anderen“ nicht möglich gewesen.
Ich glaube, dass besonders wir Westeuropäer aus dieser spezifischen Episode der Geschichte viel lernen können. Ich hoffe, dass mir das Sprachassistenten-Programm die Möglichkeit gibt, an diesem Lernprozess sowohl nehmend als auch gebend teilhaben zu können.

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