Antonia Berger verbringt seit Herbst 2016 ihr freiwilliges soziales Jahr in Öskemen am Alexander-von-Humboldt-Gymnasium, das auf Grundlage von Waldorfpädagogik arbeitet, und lässt uns an ihrem Abenteuer teilhaben.

Die Zeit vergeht wie im Flug, und mit dem neuen Jahr beginnt schon die zweite Hälfte meiner Zeit hier in Kasachstan. Doch seitdem ist viel passiert.

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Im Oktober hatten wir die ersten Ferien, und wir fuhren mit ein paar Schülern nach St.Petersburg. Da wir von Astana flogen, hatten wir bei dieser Gelegenheit einige Tage dort verbracht, um uns die Hauptstadt Kasachstans anzusehen. Da wir ein wenig knapp bei Kasse sind, entschieden wir uns gegen den teuren Flug nach Astana und fuhren stattdessen mit dem Bus, wie es uns eine Lehrerin empfahl. Vor uns lagen 17 Stunden Busfahrt durch die kasachische Steppe. Wir hatten uns gut mit Proviant eingedeckt, Kissen und bequeme Sachen waren auch dabei. Die „Straßen“, die wir dabei nahmen, waren schon bemerkenswert, aber das eigentlich Faszinierende für mich waren die endlosen Weiten der Steppe. Gras, Erde, ab und zu mal ein Hügel, und ansonsten nichts. Wirklich nichts. 20 Stunden und eine Passkontrolle später waren wir angekommen.

1. Beeindruckendes Astana

Die zweitkälteste hauptstadt der Welt erstrahlt nachts. | Foto: Autorin

Das Hostel lag im obersten Stock eines Hochhauses, und wir hatten eine außergewöhnliche Sicht über die Stadt. Astana ist erst seit 1997 Hauptstadt und seitdem wird exzessiv gebaut. Straßen und Gebäude, die ich eher in Singapur erwarten würde, eröffnen sich vor meinen Augen. Die Stadt ist das neue Schmuckstück und soll präsentieren, wofür Kasachstan steht. Das Ganze wird noch einmal verstärkt dadurch, dass die Expo dieses Jahr in Astana stattfindet. Außerdem kann ich hier alles kaufen, es gibt jeden erdenklichen europäischen sowie amerikanischen Laden. Alles in allem ist es ziemlich beeindruckend, ziemlich gewaltig, ziemlich protzig, irgendwie schön und ziemlich kalt! Astana ist die zweitkälteste Hauptstadt der Welt, das macht sich bereits Ende Oktober bemerkbar. Mir hat die Stadt gut gefallen, auch wenn sie so neu ist.

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2. Das erste Mal nach Russland

Historischer Kontrast zu Kasachstan – Petersburg mit seinen Sakralbauten. | Foto: Autorin

Wenige Tage später ging es weiter nach St. Petersburg. Ich habe Russland noch nie zuvor besucht, daher war ich sehr aufgeregt. Wir verbrachten die Zeit damit, alle Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besichtigen: Kirchen (Isaakskathedrale, Auferstehungskirche, etc.), Museen, wie die Eremitage, und berühmte Schlösser und Anlagen, wie Petershof oder die Festungsinsel. Breite Straßen, Kanäle, riesige prunkvolle Paläste und Kirchen, wunderschöne Häuser und eine tolle Atmosphäre zeichnen diese Stadt aus, die übrigens genauso wie Astana künstlich aus dem Boden gestampft und mit allerlei Prunk vollgestopft wurde – nur eben von Peter dem Ersten.

3. Panne inmitten der Steppe

Die Zeit verging viel zu schnell, und schon waren wir wieder auf der Rückreise nach Öskemen. Eigentlich wollten wir den Zug nehmen, aber es gab keine Tickets mehr, also wieder der Bus. Wir wurden schon vorgewarnt, dass es im Winter gefährlich sei, aber erstens war es ja gerade mal Anfang November und zweitens hatten wir keine andere Wahl. Wir fuhren wieder ganz unbekümmert los. Der Bus war zwar voll, aber wir hatten das Ganze schon einmal durchgemacht. Dann, nachts um halb vier ratterte es auf einmal, der Bus geriet ins Stocken und hielt plötzlich an.

Mitten im Schnee, irgendwo in der Steppe kurz vor Pawlodar, einer mittelgroßen Stadt. Nach drei Stunden fuhren wir dann weiter, ich dachte das Problem wäre gelöst. Aber nein, in Pawlodar am Busbahnhof machte der Fahrer uns verständlich, dass der Motor kaputt sei und wir jetzt vier bis fünf Stunden warten müssen, bis er repariert ist. Niemand wusste etwas Genaues. Also blieb uns nichts anderen übrige, als sechs Stunden im Bus zu warten. Schließlich brachte die Reparatur auch nichts, und wir wechselten daraufhin den Bus. Nach insgesamt 29 Stunden Reise kamen wir dann total erschöpft nachts um halb eins bei uns zu Hause an. Am nächsten Tag ging es dann wieder in die Schule. Mein Fazit: Ich fahre nicht mehr mit dem Bus, erst recht nicht im Winter!

Alles in Allem aber war es eine wunderschöne Reise, bei der wir Unglaubliches gesehen und tolle neue Leute kennengelernt haben.

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4. Kasachischer Winter

Astana – Schmuckstück des Landes. | Foto: Autorin

Seit November hatte die Kälte Einzug gehalten. Und damit meine ich nicht die in Deutschland als „kalt“ geltenden –5°C oder –10°C, nein, ich spreche von –30°C bis –40°C. Dazu fiel eine ganze Menge Schnee, mittlerweile waren es bestimmt ein bis zwei Meter. Dabei werden die Straßen und Wege nicht wirklich geräumt, sondern erst werden Gassen geschaufelt, und dann gefriert alles vom drauf Herumlaufen und –fahren einfach zu einer dicken Eis-Schneeschicht. Beeindruckend sind vor allem die riesigen Schneehaufen am Wegesrand. Manchmal zweimal so hoch wie ich selber. Dann wurde es richtig kalt. Auf einmal –34°C, das bedeutet Kältefrei in Kasachstan, also keine Schule mehr.

5. Wenn der Atem im Haar gefriert

Ich kann zwar ausschlafen, jedoch ist das Haus zu verlassen nun einer heiklen geworden. Zunächst das Anziehen diverser Kleidungsschichten, dann quäle ich mich vor die Tür, wo einem sofort Nase und Wangen einfrieren und die kalte Luft beim Atmen weh tut. Also binde ich mir den Schal auch um die Nase und den Mund und ziehe die Kapuze tief ins Gesicht. Trotz all der warmen Sachen spüre ich irgendwann auch die Füße, Beine und Hände nicht mehr. Der eigene Atem gefriert an den Haaren, Wimpern und Augenbrauen und färbt sie weiß. Irgendwie unglaublich. Es fahren auch nur noch ein Drittel der Busse, was jedoch ein Wunder ist. Ich glaube, in Deutschland würde niemand unter diesen Bedingungen ein Auto, geschweige denn einen Bus, fahren können. Zum Glück ist es mittlerweile „wärmer“, aber noch ist der Winter ja nicht vorbei.

6. Deutsche und kasachische Feste

Nikolaustag in Öskemen. | Foto: Autorin

In der Schule, in der ich arbeite, wird schon seit Jahrzehnten Deutsch unterrichtet. Doch nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch die deutsche Kultur wird hier den Kindern nähergebracht. So werden sehr viele deutsche Feste gefeiert und es gibt zahlreiche Traditionen. Dazu gehört der Martinstag. Die dritte Klasse führte ein schönes Theaterstück über St. Martin auf, und es wurde getanzt und gesungen. Leider musste der Laternenumzug aufgrund der Kälte und des vielen Neuschnees ausfallen.

Wir feierten abwechselnd kasachische und deutsche Feste sowie Feiertage im Dezember. Schon Ende November war der erste Advent, und als nächstes stand am 1. Dezember der Tag des ersten Präsidenten an. Es folgten der Nikolaustag und die Adventsspirale. Für all diese Festtage gibt es in der Schule Traditionen. Das bedeutet natürlich viel Arbeit bei der Vorbereitung, aber es lohnt sich. Es ist wunderbar zu sehen, wie viele Kulturen hier an einem Ort gelebt werden. Zu Nikolaus gehen immer jeweils ein Nikolaus und ein Knecht Ruprecht in jede Klasse, sagen etwas zu jedem Kind und verteilen Geschenke. Im Gegenzug singen die Kinder oder sagen ein Gedicht auf.

Für mich persönlich aber noch viel schöner war die Adventsspirale. Das Ganze ist eine Waldorftradition und stammt somit noch aus den alten Tagen der Schule als richtige Waldorfschule. Aus Tannengrün wird eine große Spirale, eine Art Labyrinth gelegt, in dessen Mitte eine große Kerze steht. Die Kinder gehen dann nacheinander mit einer eigenen Kerze den Weg in die Mitte, zünden die Kerze an und stellen sie entlang der Spirale auf. Begleitend spielt die fünfte Klasse auf der Flöte Weihnachtslieder. Die Atmosphäre ist irgendwie ganz besonders, so andächtig, und es sieht wunderschön aus, wenn all die Kerzen brennen.

7. Weiße Weihnachten

Traditionen in der Schule – die Adventsspirale. | Foto: Autorin

Es folgte der Kasachische Unabhängigkeitstag, der sich dieses Jahr zum 25. Mal jährte. Das war eine riesige Feier, es gab Konzerte und überall zahlreiche Veranstaltungen. Für uns war das nächste große Ereignis Weihnachten. Das Fest der Deutschen – und so gar nicht das Fest der Kasachen. Tatsächlich kennt man Weihnachten hier höchstens aus amerikanischen Filmen oder vielleicht noch die orthodoxe Variante am 6. Januar. Das große Fest, das kurioserweise ein wenig wie Weihnachten gefeiert wird, ist Neujahr. Dann trifft man sich in der Familie, es gibt ein großes Festessen und man beschenkt sich. Dafür kommt hier auch der Weihnachtsmann, und dafür wird der Tannenbaum aufgestellt.

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Natürlich veranstalten gerade die sprachlich orientierten Einrichtungen trotzdem kleinere oder größere Weihnachtsfeiern, und wir waren gefühlt überall eingeladen. Ich glaube letztlich hatte ich fast mehr Weihnachtsstress als in Deutschland, aber es ist schön, ein wenig die heimatlichen Traditionen zu zelebrieren und weiterzugeben. So haben meine deutsche Kollegin und ich zum Beispiel mit den Kindern in der Schule gebacken, Punsch gekocht und gebastelt, haben in Sprachclubs über Weihnachten berichtet und in der Bibliothek wurde sogar gewichtelt. Am Freitag vor dem Heiligabend gab es auch in der Schule noch einmal ein großes Konzert samt Krippenspiel, zu dem auch viele Eltern kamen. Alles in allem eine schöne Zeit, auch wenn der Heiligabend ohne die Familie schon etwas merkwürdig ist. Auf jeden Fall hatten wir Deutschland dieses Jahr ein was eindeutig voraus: Weiße Weihnachten!

8. Neujahrsfest

In Kasachstan wird Neujahr wie Weihnachten im Kreis der Familie gefeiert. | Foto: Autorin

Den Silvesterabend verbrachten wir mit Freunden, es gab reichlich zu essen (darunter den klassichen russischen Salat „Seljodka pod schuboj“ – zu Deutsch: Hering unter Pelzmantel – bestehend aus Kartoffeln, Zwiebel, Hering, Roter Bete und – wie könnte es anders sein – Majonäse), Feuerwerk und Präsident Nasarbajews Rede pünktlich um null Uhr.

Im neuen Jahr machten wir dann einen Ausflug in die Berge bei traumhaftem Wetter. Die Berge sind wirklich wunderschön und haben mit Schnee und Sonnenschein, wenn alles glitzert, fast etwas Zauberhaftes.

Es gibt viele Angebote, wie rodeln, reiten oder auch Ski fahren, was den langen Winter um vieles erträglicher macht.

Antonia Berger

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