Antiakademismus, natürliches Licht und nordische Moorlandschaften waren die Tendenzen der klassischen Moderne und ihrer im ländlichen Worpswede zurückgezogenen Vertreter der bekannten deutschen Künstlerkolonie. Dank dem Institut für Auslandsbeziehungen und dem Goethe-Institut ist erstmals in Form einer Wanderstellung die Auswahl einiger Werke der Begründer dieser Kolonie in Zentralasien zu sehen.

V.l.: Raban Richter, Kulturattaché des deutschen Generalkonsulats Almaty; Ursula Seiler-Albring, IfA-Präsidentin; Gulmira Schalabajewa, Museumsdirektorin Kastejew-Museum; Barbara v. Münchhausen, Leiterin des Goethe-Instituts Almaty. | Foto: Alissa Tschikmakowa

Die Ausstellung „Paula Modersohn-Becker und die Worpsweder. Zeichnungen und Druckgrafik 1895-1906“ ist ein Einblick in die Geschichte von Menschenschicksalen. Sie versucht nicht das unmögliche Ganze zu fassen, sondern konzentriert sich auf einen überschaubaren Zeitabschnitt in der Kolonie. Den Zeitraum, in dem sich die Künstlerkolonie in ihrer erfolgreichen gemeinsamen Blütephase befand, bevor die individuellen Schicksale, die Weltkriege und Ideologien die Persönlichkeiten der Kerngruppe teils sehr unterschiedliche Lebenswege gingen ließen. Dieser Kern setzte sich aus den Begründern Fritz Mackensen, Otto Modersohn und Hans am Ende sowie den später hinzu stoßenden Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler zusammen, deren Werke auch in der Ausstellung zu sehen waren. Ein besonderes Augenmerk dieses Projekts gilt des Weiteren der Künstlerin Paula Modersohn-Becker, die auch namensgebend für die Ausstellung ist.

Die präsentierten Werke umfassen etwa 60 Zeichnungen, Skizzen und Druckgrafiken sowie zusätzliche Objekte wie Fotografien und Bücher (Heinrich Vogeler, Rainer Maria Rilke) und stammen aus dem IfA-Bestand. Mithilfe von Schenkungen aus Künstlernachlässen entstand eine repräsentative Sammlung aus der gegebenen Zeitperiode, die das Thema der klassischen Moderne umfasst. Ursula Seiler-Albring, Präsidentin des Instituts für Auslandsbeziehungen, reiste eigens zur Eröffnung der Ausstellung im Kastejew-Museum in Almaty an.

Frauen fern von Konventionen

Paula Modersohn-Becker, Worpswede 1905, Foto: Karl Brandt. | Quelle: IfA

Ein spezielles persönliches Verhältnis scheint auch die IfA-Präsidentin Ursula Seiler-Albring der Malerin Paula Modersohn-Becker entgegenzubringen, die sie als „ungemein willensstarke, konsequent ihren Weg suchende und im besten Sinne moderne Person mit heute zeitlos erscheinenden Problemen“ beschreibt, „mit denen sich auch viele Frauen unserer Zeit identifizieren können“.

Frauen hatten zu der Zeit noch keinerlei Chance auf eine gleichwertige universitäre Ausbildung wie ihre männlichen Zeitgenossen, es gab höchstens hochpreisige Privatschulen oder Privatunterricht. Deshalb boten Künstlerkolonien für die damalige Zeit einmalige Chancen für Frauen, sich außerhalb der engen gesellschaftlichen Konventionen zu bewegen.

Vom Individualismus zum Weltruhm

Aus dem Gesamtwerk Paula Modersohn-Beckers offenbart sich, dass ihr Freiheitsdrang und ihre künstlerischen Ambitionen aller Kritik und Herabsetzung ihrer Kunst und der für Frauen einengenden gesellschaftlichen Situation entgegenstanden. Zunächst blieb Paula Becker als Schülerin von Mackensen in dem von ihr geliebten Worpswede und heiratete später den verwitweten Otto Modersohn. Ganz besonders war Paula Modersohn-Becker von den Müttern und Kindern der Bauernfamilien eingenommen. Ihren Ambitionen folgend, verließ sie des Weiteren die enge Gemeinschaft immer wieder in Richtung Paris, um sich unter den neuesten Anregungen der Moderne weiterzuentwickeln.

Mit lapidarer Einfachheit und Flächigkeit war sie in der Lage, Werke zu schaffen, die ihrer Zeit und ihren Malerkollegen um einiges voraus gingen und ihr deshalb vor allem erst nach ihrem frühen Tod zur Anerkennung als Künstlerin und zum Weltruhm verhalfen. In ihrem zehnjährigen Schaffen hat sie etwa 700 Gemälde und mehr als 1000 Handzeichnungen geschaffen, von denen sie lediglich fünf zu ihrer Lebzeit verkaufen konnte.  Selbst ihren engen Freunden, war der herausragende Anspruch der Malerei der jungen Künstlerin, erst zögerlich und spät ersichtlich. Dazu zitierte Ursula Seiler-Albring Rilkes Niederschrift: „Das Merkwürdigste war, Modersohns Frau an einer ganz eigenen Entwicklung ihrer Malerei zu finden, rücksichtslos und geradeaus malend, Dinge, die sehr worpswedisch sind und die doch nie einer sehen und malen konnte. Und auf diesem ganz eigenen Weg sich mit van Gogh und seiner Richtung seltsam berührend.“

Erwählte Abgeschiedenheit

Heinrich Vogeler um 1897, Foto: Carl Eeg. | Quelle: IfA

Naturverbundenheit, Wiederherstellung der Balance zwischen Mensch und Umwelt und konsequentes Kunstschaffen waren die Ideale der Künstlerkolonie. Diese Tendenzen kamen aus der französischen Mode der Freiluftmalerei („en plein air“), die im 19. Jahrhundert geboren wird. Man wollte echtes Licht, echte Landschaften. Mitte des 19. Jh. kam es soweit, dass einige Künstler sich gänzlich auf das schlichte Landleben einließen, um sich auf ihre künstlerische Arbeit zu konzentrieren. Nach diesem Vorbild entstand auch eine Kolonie bei Bremen und stach alsbald insbesondere heraus – Worpswede, mit seinen weiten, offenen Landschaften.

Die Moorlandschaft mit den von Winden gezeichneten, schiefen Kiefern und Birken und ihren tänzelnden, eleganten Astformationen. Aber auch die Bewohner – vorrangig einfache Bauern der umliegenden Dörfer – standen für die Schönheit der Region. All das beeindruckte Fritz Mackensen, Kunststudent an der Düsseldorfer Akademie einst zutiefst, und er schwor sich, an diesen Ort zurückzukehren. Nach seiner Ausbildung entschied er sich mit seinen zwei Freunden Otto Modersohn und Hans am Ende, eine Künstlerkolonie in Worpswede zu gründen. Später sollten sich noch Fritz Overbeck, Heinrich Vogeler und Paula Becker dazugesellen. Auch der Dichter Rainer Maria Rilke, die Bildhauerin Clara Westhoff, der Maler Carl Vinnen und der Schriftsteller Manfred Hausmann sowie einige andere Künstler stießen anschließend oder zeitweilig in die Abgeschiedenheit des Landlebens hinzu. Die Künstler des Kollektivs ließen sich von den Eindrücken der gewaltigen Natur ergreifen und reproduzierten diese in künstlerischen Formen, wie Malerei, Bildhauerei, Dichtung. Die Kommune sollte dazu dienen, einen vollkommenen Schaffensprozess zu gewährleisten im Rückzug in die Natur und die gleichzeitige Gemeinschaftlichkeit. So wurde auch die Form des Zusammenlebens, das Miteinander zum Sujet einiger Künstler. Rilke verfasste Aufsätze und Künstlermonographien und schuf Dichtungen zu Worpswede. Es war vor allem die literarische Umsetzung durch Rainer Maria Rilke, die zu einer enormen Popularisierung von Worpswede führte, so Wulf Herzogenrath, der für Konzeption und Zusammenstellung der ausgestellten Werke verantwortlich war.

Ihren ersten Erfolg feierten sie in Bremen mit einer Gruppenausstellung. Hiernach wurden sie zu einer großen internationalen Ausstellung im Münchener Glaspalast eingeladen, die die Gruppe junger Künstler schlagartig bekannt machte.

Erstmalige Rezeption in Zentralasien

Heinrich Vogeler, Titelblatt der Mappe “An den Frühling“, 1899, Radierung. | Quelle: IfA

Obwohl die im Kastejew-Museum gezeigte Wanderausstellung nur einen kleinen Ausschnitt zeigt, sind das doch die Jahre, die die ursprüngliche Künstlergemeinschaft in einer überwiegenden Eintracht verbrachte. Denn das Lebensexperiment veränderte nach einigen Jahren seine Ausgansform. Einige Künstler verließen die Gemeinschaft, die immer enger zu werden schien. Man teilte sich auf mehrere Höfe auf. Auch Meinungen und politische Ansichten der Freunde gingen zunehmend auseinander und nachwachsende Künstlergenerationen gesellten sich hinzu. Auch die beiden Weltkriege hinterließen im Folgenden ihre Spuren und trieben die Schicksale zuweilen weit auseinander.

Es zeigte sich, dass das kasachstanische Publikum nicht vertraut war mit der Künstlergruppe oder den einzelnen Kunstschaffenden. Selbst Johann Heinrich Vogeler, dessen extraordinäre Laufbahn ihn zum Lebensende nach Kasachstan verschlug, ist hierzulande kaum geläufig. Sein Lebensweg und Werk wurden erst vor kurzem in Kasachstan bekannt, erzählt Maria Kopelowitsch, Kuratorin im Kastejew-Museum. Dabei hat das Schicksal gerade diesen vielseitig begabten einstigen Jugendstil-Künstler als Zeichner an die Ostfront des ersten Weltkrieges getrieben. Im späteren Lebensverlauf gab der durch seine Kriegserlebnisse zum überzeugten Pazifisten und Sozialisten gewordene Vogeler seinen „Barkenhoff“ auf, lebte als Wanderkünstler in der Sowjetunion und wandte sich immer mehr dem Expressionismus zu. Dort deportierte man ihn mit dem Einmarsch der Wehrmacht 1941 nach Kasachstan, wo er kurz darauf im Juni 1942 bei Karaganda verstarb.

Barbara von Münchhausen, die Leiterin des Goethe-Instituts Almaty machte bezugnehmend auf dieses Schicksal auf eine Veranstaltung in Karaganda aufmerksam. Am 31. Mai, dem Gedenktag der Opfer der Massenrepressionen findet, organisiert von der Friedrich-Ebert-Stiftung, im Rahmen dieser Wanderausstellung in Karaganda eine Diskussion zum Thema Deportation statt.

Um die Aufarbeitung dieser und vieler anderer historischer Erkenntnisse in ihrem Land sind Besucher und Kuratorin Maria Kopelowitsch froh. Des Weiteren gehört neben der herausgestellten Aktualität der Frauenrolle auch ein anderer wichtiger Punkt dazu, auf den Raban Richter, Kulturattaché des deutschen Generalkonsulats aufmerksam machte. Die ausgestellten Originalwerke tragen seiner Meinung nach eine besondere Aktualität in sich – ein Interesse der Künstler für Landschaften, für Bevölkerung, ein Streben nach natürlichen Lebensformen und nach der Eintracht mit Natur, was auch in heutigen Zeiten nach wie vor hochgehalten werden sollte. „Kasachstan ist ein Land, dessen Historie in vielem vom Nomadismus geprägt ist. Das heißt einer Lebensform, für die eine gleichgewichtige Koexistenz zwischen Mensch und Natur zu einer Notwendigkeit zählt.“, so Richter. Trotzdem das nomadische Leben größtenteils der kasachischen Vergangenheit angehöre, gebe es weltweit das gesellschaftliche Bedürfnis danach, sich als ein Teil der Natur zu betrachten.

Die Ausstellung ist in Almaty noch bis 8. Mai im Kastejew-Museum zu besichtigen. Weitere Ausstellungsorte sind Karagandy (31. Mai bis 19. Juni) und Bischkek (7. Bis 28. September). Organisatoren der Ausstellung sind das Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) und das Goethe-Institut mit Unterstützung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Almaty.

Julia Boxler

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