Von ehemals einer Millionen Kasachstanern mit deutschen Wurzeln, sind heute gerade einmal 220.000 übrig. Viele sind nach Deutschland ausgewandert. Um deutsche Traditionen in Kasachstan zu bewahren, engagiert sich die Assoziation der deutschen Minderheit in der Bildungs- und Kulturarbeit, bei der auch Jung und Alt aufeinandertreffen.

/Bild: Assoziation der Deutschen Kasachstans. ‚Ruben Bachmann (stehend) bei einer Versammlung der Begegnungszentren Kasachstans.’/

Auch die Jungen helfen, Traditionen zu bewahren.

Sprache, Jugend, Elitenförderung, Bildung – bei Ruben Bachmann laufen alle Fäden zusammen. „Man kann das Leben der Menschen nicht in einzelne Felder aufteilen, all diese Bereiche sind ja eng miteinander vernetzt“, sagt der 26-Jährige. Bei der Wiedergeburt ist er als Experte für Kultur- und Bildungsprojekte zuständig, gleichzeitig aber auch Bindeglied zwischen der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und den regionalen Wiedergeburten. Dort haben die Deutschen vor Ort die Möglichkeit, sich in Begegnungszentren zu treffen, um sich Lesungen anzuhören, deutsch zu sprechen – kurz, um ihre Kultur zu leben. In zehn Oblasten Kasachstans befinden sich diese Zentren, die von Mitarbeitern der Wiedergeburt betreut werden und regelmäßig Ort für Veranstaltungen wie Literaturabende oder Ausstellungen sind. Die Mitglieder der deutschen Minderheit können aber auch die Räumlichkeiten nutzen, um Feiertage festlich zu begehen. Ganze 52 Stätten der Begegnung werden vom kasachstanischen und indirekt über die GTZ vom deutschen Staat finanziert, um Projekte durchzuführen.

Auch das Deutsche Haus in Almaty ist ein Ort der Begegnung: Sonntagmorgen tobt hier eine ganze Horde kleiner, aufgeweckter Deutschlerner herum. Jugendliche und junge Erwachsene betreuen ehrenamtlich mehr als 30 dieser sogennanten Sonntagsschulen, in denen die Kinder herumtollen, basteln oder singen. Dabei werden sie spielerisch an die Sprache herangeführt. Seit 15 Jahren schon gibt es dieses Konzept des sonntäglichen Deutschlernens für Kinder, bei dem sie auch an die Wurzeln ihrer deutschen, kulturellen Identität herangeführt werden.

Mehr Bildung

Neben dieser kulturellen Arbeit, die Ruben Bachmann vom Deutschen Haus in Almaty aus koordiniert, ist die Wiedergeburt auch noch im Sektor der Bildungsarbeit aktiv. Das sei auch wirklich nötig, so Bachmann. „Die deutsche Minderheit ist die am schlechtesten gebildete Minderheit in Kasachstan. Nur etwa fünf Prozent der kasachstanischen Deutschen haben eine höhere Bildung genossen. Deshalb haben wir neben der Elitenförderung die fakultativen Schulen eingerichtet.“

Diese fakultativen Schulen sind Zusatzangebote für Abiturienten, die sich gezielt auf die Aufnahmeprüfungen für Stipendien wie das staatliche Programm Bolaschak vorbereiten möchten. Dieses Projekt gibt es – anders als zum Beispiel die Elitenförderung – ausschließlich in Kasachstan. An rund fünf Schulen bietet die Wiedergeburt Zusatzunterricht an, bei dem die Schüler auf Aufnahmeprüfungen für Förderprogramme vorbereitet werden. Das Angebot reicht von Kasachisch, über Fremdsprachen – vor allem Deutsch – bis zu Literatur und Geschichte Kasachstans, die in den Nachhilfestunden durch die Geschichte der Deutschen in Kasachstan ergänzt und vertieft wird. „Wir gehen dabei aber auch auf die Wünsche der Schüler ein. Wenn sie beispielsweise für eine Aufnahmeprüfung lernen, bei der auch mathematische Kenntnisse abgefragt werden, bieten wir Mathestunden an. Derzeit überlegen wir sogar, Chinesisch zu unterrichten“, sagt Bachmann.

Das Projekt läuft bereits seit einem Jahr und wurde von 45 Schülern wahrgenommen. Bei einem Drittel scheinen die fakultativen Schulen geholfen zu haben. Denn sie haben ein Stipendium bekommen; fünf von ihnen sogar in europäischen Ländern wie Deutschland, Dänemark oder der Tschechischen Republik.

Zwischen den Generationen

Von solchen Angeboten konnten die Urgroßeltern der heutigen Stipendiaten nur träumen. Ihr Leben war von Deportation, Zwangsarbeit und Entmündigung geprägt. Was tun, um das Andenken an das Schicksal der Deutschen zu bewahren? Der deutsche Jugendverband in Kasachstan hatte eine Idee: einen Dokumentarfilm über das Erlebnis der Zwangsarbeit der Russlanddeutschen zu drehen. Insgesamt 200 bis 300 halbstündige Interviews werden deutschstämmige jugendliche für diesen Film führen. Sie fragen: Wie war das Gefühl, im Zug zu sitzen? Beschreiben Sie den Moment der Ankunft im Arbeitslager.

„Einige der noch etwa 1.000 Überlebenden aus dieser Zeit haben uns eine Antwort verweigert, weil sie immer noch Angst haben, dass sie jemand dafür wieder in ein Lager steckt“, sagt Ruben Bachmann. Hier prallen Lebenswelten aufeinander, Gräben zwischen den verschiedenen Generationen tun sich auf. Denn für den Jugendlichen von heute liegen die Erfahrungen des Urgroßvaters in weiter Ferne, sie sind unwirklich. Der Dokumentarfilm, der auch im Fernsehen ausgestrahlt werden soll, liefert somit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis zwischen Jung und Alt. Ruben Bachmann erklärt: „Wir stellen eine Verbindung zwischen den Generationen her; auch weil der Film im nächsten Jahr an den Gedenkfeiern zu 70 Jahren Deportation einem breiten Publikum präsentiert werden soll.“

Von Vinzenz Greiner

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