Jede Reise verändert die Seele. Die eigene Gesellschaft zu meiden bringt gar nichts, denn die Menschen stoßen ohnehin überall auf sich selbst. Kuat Bolatow aus Astana ist damit völlig einverstanden. Der 30-jährige Topmanager und Weltreisende lernt das Ausland per Fahrrad kennen. Durch seine positive Weltanschauung beweist der gebürtige Semipalatinsker, dass es wichtig ist, eine offene Person zu sein und sich über jeden Tag zu freuen. Derzeit ist er in Großbritannien unterwegs, vor seiner Reise sprach unsere Autorin mit ihm über seine Art zu reisen.

Woher kam die Idee mit dem Fahrrad so weit zu reisen?

Zum ersten Mal im Ausland verschlug es mich nicht nach Europa, sondern in die USA und nach Asien. Ich hatte schon lange den Traum Europa zu besuchen, aber es war mir bisher nicht gelungen. Ich fing an eine Reise zu planen, einschließlich der Verkehrsart.

Das war nicht so teuer, denn ich recherchierte Flugpreise und dachte sogar daran per Anhalter beziehungsweise mit dem Fahrrad zu fahren oder auch zu Fuß zu reisen. Dann beschloss ich das Fahrrad zu wählen. Es ist günstig und die Verkehrsgeschwindigkeit ist nicht so schnell. Autofahren ist auch gut, aber man sitzt in einem engen geschlossenen Raum, fährt etwa 500 Kilometer pro Tag und sieht nichts, außer den Weg.

Wenn man Fahrrad fährt, sieht man alles und spürt die Luft. Per Anhalter zu reisen passte mir auch nicht, denn ich mag es, die Reise zu planen und von niemand anderem abhängig zu sein. Und das Fahrrad gibt mir die Unabhängigkeit. Ich fahre dorthin, wohin ich will. Außerdem ist es gesund, und ich denke, es gibt viele Orte, wo man mit dem Fahrrad bequemer durchkommt, als mit anderen Verkehrsmitteln.

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Welche Länder hast du schon bereist?

Flagge: Diese Flagge begleitet Kuat Bolatow auf allen Abenteuern. Auf seiner letzten Reise reiste sie durch sieben europäische Länder (Niederlande, Deutschland, Liechtenstein, Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Belgien) und auch nun kommt sie mit nach Großbritannien und Nordirland. | Bild: privat

2016 habe ich sieben Länder in Europa besucht: die Niederlande, Deutschland, Liechtenstein, die Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Belgien. Bald fliege ich nach London und mit meinem Kameramann wollen wir dort etwa 2.000 Kilometer fahren.

Wird das eine übliche Reise oder ist das diesmal anders? Mittlerweile bist du bekannt – reist du im Auftrag von Sponsoren oder Institutionen?

Ja, ich kann mehr dazu erzählen. Als ich letztes Jahr Europa 32 Tage lang bereiste, luden mich viele Leute zu sich ein, um zu übernachten. Wir blieben über die sozialen Medien in Kontakt. Meist waren das unsere Landsleute aus Kasachstan, die in Europa leben, studieren oder arbeiten. Aber da waren auch Menschen aus Russland, Bulgarien, eine Holländerin und ein Deutscher. Sie kannten mich gar nicht, aber als sie etwas von einem Radfahrer aus Kasachstan gehört oder gelesen hatten, haben sie es fast als Pflicht empfunden, mich einzuladen. Als ich in Zürich war, schrieb mir meine Freundin aus Astana über eine Fernseh-Show namens „Geschichten der großen Stadt: mein Traum“ zu der man Videos einsenden konnte. Da ich viele Handyvideos meiner herzlichen Begegnungen und meiner Reise gemacht hatte, schickte ich diese ein und sie wurden in der Show gezeigt.

Die Reise misst sich an der Menge der Freunde: Kuat und sein temporärer Fahrradbegleiter Mark aus Russland zu Gast bei einem deutschen Pädagogen-Ehepaar zwischen Köln und Bonn. | Bild: privat

Fast jeden Menschen, dem ich begegnet bin, trieb eine starke Motivation an, seine Lebensziele zu erreichen. Um mich zu bedanken, entschied ich mich, das nächste Mal mit einem Kameramann durch Europa zu fahren. Auf mein Gesuch über die sozialen Netzwerke meldeten sich 122 Kameraleute!

Einige Firmen unterstützen mich bei meinem Vorhaben. Eine kasachische Fluggesellschaft bot mir Flugtickets zu jedem Ort auf ihrem Flugplan an. Andere interessierten sich speziell für Kasachstaner in England. Die Stiftung des Präsidenten Nursultan Nasarbajew, eine Bank, ein Unternehmen im Bildungsbereich und die Kasachische Geographische Gesellschaft, deren T-Shirt ich jetzt trage – das sind die Hauptpartner des Projektes. Ein kasachischer Netzanbieter unterstützt mich ebenso und sponsert mir eine dauerhafte mobile Verbindung auf meinem Trip.

Gibt es neben positiven auch andere Meinungen zu deinem Unterfangen oder unterstützen alle Menschen dein Vorhaben?

Schon jetzt, vor meiner Reise, schreiben mir viele Menschen und laden mich zu sich ein. Ich werde zum Beispiel vier Tage in London verbringen. Unsere Botschaft in London und der kasachische Fernsehsender „Khabar“ planen auch ein Interview mit mir. Die „Kazakh-British Young Society“ lud mich zu ihrem Festabend ein. Menschen aus Glasgow und anderen Städten warten auch schon auf mich, obwohl ich zunächst meine Fahrt dorthin gar nicht plante.

Wie planst du die Reiseroute?

Was braucht man auf einem Fahrradtrip über mehrere tausend Kilometer? | Bild: privat

Ich genieße die Reise. Aber diesmal ist mein Hauptziel ein Dokumentarfilm über Kasachstaner in England und ein Videotagebuch der Reise. Ich habe sechs Personen dafür gefunden und fahre zu ihren Wohnorten. Aber wenn ich noch mehr interessanten Menschen begegne, werde ich meine Route verändern. Das ist der Unterschied zwischen Pauschaltourismus und einer unabhängigen Reise – ich kann meinen Reiseplan verändern. Meine Sponsoren unterstützen meine Reise.

Warum Großbritannien?

Es ist mein Kindheitstraum, einmal den Big Ben und den Picadilly Circus zu sehen. Am Anfang der Reise wollte ich nur die vier Hauptstädte der Landesteile des Vereinigten Königreichs Großbritannien – England, Wales, Schottland und Nordirland – durchfahren, also: London, Cardiff, Edinburgh und Belfast. Aber falls wir eine interessante Person in einer anderen Stadt treffen, fahren wir vielleicht einen Umweg.

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Planst du die Route selbst?

Ja, und das ist sehr leicht für mich, Ich nutze einfach Online Karten. Ich orientiere mich da auch an wichtigen Terminen mit Kasachstanernin England. Ein anderer Traum von mir ist ein Fußballspiel mit der Mannschaft „Manchester United“ zu schauen. Ich bin ein bisschen aufgeregt wegen der kommenden Tage.

Was sind die Reaktionen deiner Familie, von Freunden oder auch Fremden auf deine Abenteuer?

Kuat auf dem Weg nach Deutschland. | Bild: privat

Meine Freunde sind froh, dass ich so etwas unternehme. Sie sind alle sehr offenherzig. Aber meine echte Motivation ist meine Mutter. Sie war die erste, die mich gleich moralisch unterstützt hat. Als ich meinen Mitarbeitern von der Reise erzählte, einen Urlaubsantrag schrieb und halbbezahlten Urlaub nahm, wunderten sich einige meiner Kollegen schon sehr, warum ein Topmanager eine Fahrradreise unternehme. „Mit dem Fahrrad – so ein Quatsch!“ Aber als ich zurückkehrte, haben sie meine Idee verstanden.

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Wie war deine erste Reise?

Ich war 26, als ich zum ersten Mal ins Ausland fuhr. Türkei, Fünf-Sterne-Hotel, zehn Tage Urlaub. Als ich da war, habe ich verstanden, dass das nicht meins ist. Man bekommt ein kleines Stückchen von der Türkei für ein dickes Portemonnaie. Das ist nicht die echte Türkei. Das ist nur ein kleiner Teil des Landes, den man aufgeputzt hat. Das Mal darauf fuhr ich selbstständig nach Moskau, ohne den Service eines Reisebüros zu nutzen.

Ging während deiner Trips manchmal etwas schief? Gab es Probleme oder Gefahren?
2016 feierte unser Land das 25. Jahr der Unabhängigkeit. Die Kasachische Geographische Gesellschaft produzierte gemeinsam mit „Khabar“ eine Sendung unter dem Titel „Expedition 25“. Wir fuhren mit drei Autos durch ganz Kasachstan. Als wir vom Osten Kasachstans nach Astana zurückkehrten, hatten wir einen Unfall. Mit der Geschwindigkeit von 140 km/h war unser Fahrer eingeschlafen, und wir haben uns drei Mal überschlagen. Alle haben es relativ gut überstanden, aber ich musste auf die Reise im Januar verzichten.

„Die Reise misst sich an der Menge der Freunde“

Was lernst du auf deinen Reisen?

Lass mich nachdenken… Erstens, ich mach mir überall gute Freunde. Mein Motto ist: die Reise beträgt keine Strecke und keine Kilometeranzahl, die Reise misst sich an der Menge der Freunde. Ich habe jetzt wirklich viele Freunde aus der ganzen Welt. Ich verstehe nun, dass je mehr ich die Welt erforsche, sie desto größer erscheint. Zugleich kann sie so klein sein, weil ich Leuten zufällig begegnen kann, die dieselben Bekannten haben.

Alle Menschen haben gleiche Werte. Besonders Kinder sind überall gleich und bezaubernd. Ich glaube an das Gute. Man wird mit diesen Erfahrungen auch zu einer einfachen Person, während es in Astana zum Beispiel üblich ist, sich zu zieren. Es lohnt sich nicht, es hat keinen Sinn, denn die Einfachheit ist viel angenehmer. Es ist wichtiger glücklich zu sein als viel Geld
zu haben.

Das ist ein gutes Gefühl. Deine neuen Freunde haben die Prüfung bestanden. Es ist schön, jemanden zu sich einzuladen, weil dieser Mensch einfach ein „Mitbürger“ oder ein guter Mensch ist. Aber hast du während der Reise an das Wort „Heimat“ gedacht? Was hast du vermisst?

Auf seinem aktuellen Trip wird er von einem jungen Kameramann aus Karaganda begleitet. | Bild: privat

Das kann ich nicht genau sagen, weil ich die ganze Stadt Astana vermisst habe. Aber ich habe eine andere interessante Geschichte. Als ich nach Europa fuhr, bat ich in einem Instagram-Video darum, Freunde und Bekannte zu erwähnen, die in Europa wohnten.

Ich hatte etwa 1.500 Follower, aber das Video wurde von mehr als 10.000 Menschen gesehen. Viele erwähnten ihre Freunde und Bekannte in Kommentaren unter diesem Video.

Als ich nach Amsterdam fuhr, habe ich so einen Mann getroffen, der mit mir den ganzen Tag spazieren ging. Ein anderer lud mich zum Mittagessen in ein bekanntes Online-Buchungsportal ein. Es waren sehr angenehme Überraschungen. Aber das waren nicht nur unsere Landsleute, in Utrecht traf ich eine Holländerin. Sie war mit dem Auto unterwegs und sprach mich auf die Fahne auf meinem Fahrrad an. Wir unterhielten uns und sie sagte, dass ich der erste Kasachstaner war, den sie je getroffen habe und lud mich ein, sie und ihre Familie zu besuchen.

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Wie war deine Reise durch Deutschland?

Dort hatte ich auch eine lustige Reise. Als ich, aus Bonn kommend, in Richtung Aachen fuhr, ging mein Fahrradschlauch kaputt. Ein Deutscher half mir bei der Reparatur. Ein anderes Mal begegnete mir ein älterer Mann mit Hund.

Wir plauderten, und auch er lud mich zu sich ein. Es stellte sich heraus, dass er Schuldirektor ist und auch seine Frau unterrichtet, und beide viel zu Kasachstan wussten. Wir freundeten uns sehr an, zum Ende umarmten sie mich beide fest und baten mich darum sie wieder zu besuchen. Doch damit nicht genug! Mein neuer Freund legte sogar ein Facebook-Profil an, um meiner Reise folgen zu können.

Ich wusste schon, dass es in Europa viele Russischsprachige gibt. Ich wartete auf den Moment, in dem jemand „Kasachstan“ oder so etwas schreien würde. Ich wartete lange und dann, in Deutschland, zwischen Frankfurt am Main und Karlsruhe passierte es! Ein Bursche mit dem Fahrrad kam mir hinterher und rief „Kasachstan!“

Es stellte sich heraus, dass er in Leninogorsk, dem heutigen Ridder geboren ist, und nun schon lange in einem Dorf in Deutschland lebt. So war es in Deutschland.

Vielen Dank für das Gespräch und wei-terhin viel Freude auf Ihren Reisen!

Das Interview führte Diana Odinzowa.

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