Politik und Wirtschaft sind einerseits relativ selbständige Sachbereiche, die eigenen Regeln und Entwicklungsprozessen unterliegen. Andererseits sind sie aber auch sehr eng miteinander verbunden, hängen voneinander ab und stimulieren oder bremsen sich wechselseitig.

Nun ist das große Politikereignis des Jahres in Kasachstan – die Parlamentswahlen – bereits Geschichte. Die Wahlergebnisse sind bekannt, das Wahlvolk ist zur Tagesordnung übergegangen (wenn es sich durch die Wahlen denn überhaupt von dieser hat abbringen lassen), nur die Berufsanalytiker beschäftigen sich noch mit diesen und jenen Aspekten des Wahlverlaufs. Das eingetretene Ergebnis des Sieges der bereits bisher regierenden Partei hat niemanden überrascht, höchstens vielleicht doch in dieser spektakulären Höhe. Dieses fast 90-Prozent-Ergebnis gibt denn der Opposition denn auch Anlass zu unterschiedlichsten Spekulationen über die Ursachen ihrer Niederlage und zum Aufzählen und Nachweisen der verschiedensten Verletzungen des Wahlgesetzes. Die wird es mit Sicherheit gegeben haben, doch ausschlaggebend dürfte das nicht gewesen sein. Die Wählenden – das waren mit etwa zwei Dritteln der Wahlberechtigten ähnlich viele, wie in Deutschland zur Wahl gehen – haben eher den Präsidenten und seine Stabilitätspolitik bestätigt, als andere, vielleicht auch bessere, dafür aber ungewisse Alternativen zu bevorzugen.

Die Sieger jubeln nun, die Opposition ist betrübt, da sie nun gar nicht mehr im Parlament vertreten ist. Für die Breite des Volkes scheint Letzteres auch ziemlich unwichtig zu sein. Das ist auch nicht verwunderlich, ist es der Opposition aus verschiedensten Gründen doch bisher noch nicht gelungen, sich als wirkliche Alternative zu profilieren und darzustellen. Zwar haben sich wichtige Oppositionsgruppen im Frühjahr zur Sozialdemokratischen Partei zusammengeschlossen, doch an inhaltlichen Alternativen, schlagkräftigen Argumenten und einer ausreichenden Aktionsbasis mangelt es noch. (…)

Die Opposition ist in Demokratien ein extrem wichtiges Element für eine normale Entwicklung der Gesellschaft. Die Aufgabe der Opposition ist, die Regierung zu kontrollieren, mit eigenen Vorschlägen zu einem besseren Arbeiten zu treiben, der Gesellschaft Alternativen der Entwicklung aufzuzeigen. Entscheidungs- und Entwicklungsalternativen gibt es immer, auch bei einem noch so guten Präsidenten. Die Gestaltung von Alternativen hängt natürlich sehr von den Ansichten und Philosophien ab, die die einzelnen gesellschaftlichen Kräfte vertreten. Ein Land ist in der Regel nur dann stark, wenn es auch eine starke Opposition hat. Die Folgen einer schwachen und zersplitterten Opposition kann man im Moment am Beispiel Deutschland beobachten. Die Folgen sind keinesfalls positiv. Zumindest aus dieser Sicht kann ich die Wahlen hierzulande nicht als großen Fortschritt in Sachen Demokratie werten. Weniger deshalb, weil es möglicherweise mehr oder weniger zahlenmäßig große Unregelmäßigkeiten im Wahlprozess gegeben haben könnte und wahrscheinlich auch gegeben hat. Mir missfällt, dass das Volk, die Wähler selbst, die Chance vertan haben, eine einigermaßen wirksame parlamentarische Kontrolle der Tätigkeit der Regierung zu installieren. Dieser Vorwurf ist vor allem den Wählern in Almaty zu machen. Diese haben durch ihre extrem geringe Wahlbeteiligung – bei bekanntermaßen höherer Neigung, oppositionelle Parteien zu wählen – die Chance nicht genutzt, wenigstens einen Ansatz von kritischem Ausgleich im Landesparlament zu sichern. Jetzt kommt es auf die sicher vorhandenen, aber genauso sicher wenigen Abgeordneten der Regierungspartei an, sich nicht nur als Bestätigungsmaschine für von oben vorgegebene Projekte und Strategien zu verstehen, sondern auch strategische Regierungs- und Präsidentenpositionen kritisch zu hinterfragen. Das wird nicht einfach, da der Selbstdisziplinierungsfaktor in einer Regierungsfraktion immer ziemlich groß ist, da ja der Abgeordenetensessel in starkem Maße der Partei und der Fraktion zu verdanken sind. Das Zusanmmenfassen kritisch-konstruktiver Kräfte in einer eigenen Fraktion ist meist der bessere Weg für die Sicherung einer konstruktiven Parlamentsarbeit. Schließlich muss die Opposition beweisen, dass sie mindestens ebenso gute, vielleicht sogar die besseren Alternativen zur Lösung konkreter Fragen und Probleme hat.

Besser wird das Land in Hinsicht praktizierter Demokratie nach diesen Wahlen wohl eher nicht.

Bodo Lochmann

31/08/07

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