Dietrich Brauer, der bereits mit Ende Zwanzig Bischof der lutherischen Kirche im europäischen Teil Russland wurde, wird mit 31 Jahren der neue lutherische Erzbischof von Russland.
Erstmals übernimmt ein Russlanddeutscher die Leitung der Lutheraner. In Russland, wo Bischöfe der orthodoxen Kirche eher ein gesetztes Alter haben, hat die Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland (ELKR) mit großer Mehrheit den erst 31-jährigen Bischof Dietrich Brauer zum neuen geistlichen Oberhaupt ihrer Kirche gewählt.
Dass jemand mit Ende Zwanzig Bischof wird, hängt mit den Gegebenheiten der Lutheraner in Russland zusammen: Anders als die orthodoxe Kirche, die auch während der Sowjetzeit geduldet war, konnten die Lutheraner fast siebzig Jahre lang nur im Untergrund überleben und hatten nicht die Möglichkeit einer geordneten Theologenausbildung.
Die lutherische Kirche wurde erst zu Beginn der 1990er Jahren wiedergegründet als die große Aussiedlungswelle der Russlanddeutschen nach Deutschland begann. Dadurch gingen die mittleren Jahrgänge verloren, diese wurden zwar durch entsandte Geistliche aus Deutschland ersetzt. Sie haben zwar das Überleben der Kirche gesichert, aber die Hoffnung ruhte von Anfang auf der Jugend, die jetzt mit Erzbischof Brauer zum Zuge kommt. Brauer war der einzige Kandidat für das Amt des Erzbischofs, er ist der erste Einheimische, der dieses Amt bekleidet. Bislang standen dieser Kirche immer aus Deutschland entsandte Geistliche vor.
Erzbischof Brauer ist neuer Hoffnungsträger seiner Kirche
Mit der Wahl von Dietrich Brauer zum neuen lutherischen Erzbischof verbinden sich große Hoffnungen auf einen Neuanfang in dieser einst von Russlanddeutschen gegründeten Kirche im Osten. Die Evangelisch-Lutherische Kirche ist zutiefst zersplittert. Der letzte Erzbischof August Kruse, hatte bereits nach zwei Jahren sein Amt niedergelegt. Nach dem Rücktritt von Erzbischof August Kruse hatte Bischof Dietrich Brauer bereits kommissarisch sein Amt ausgeübt. Neben den immensen geographischen Entfernungen, die der kleinen Kirche mit ihren 30.000 Mitgliedern stark zusetzen, spielen vor allem auch ungelöste theologische Fragen wie beispielsweise die Berufung von Frauen zu Pfarrerinnen eine Rolle.
So grenzt es fast an ein Wunder, dass man sich trotzdem auf Dietrich Brauer als Bischof einigen konnte. Brauers Vorgänger brachten die konservativen und liberalen Lager kaum zusammen: Die Erzbischöfe waren aus Deutschland entsandt, sprachen wenig bis gar kein Russisch und verstanden die Mentalität der Menschen nicht. Dies hat sich nun geändert.
Dietrich Brauer wurde 1983 in Wladiwostok am Pazifik in einer russlanddeutschen Familie geboren, seine Familie siedelte jedoch bald nach seiner Geburt nach Moskau über. Als Schüler absolvierte er eine musikalische Ausbildung. Nach der Schule studierte er zunächst Jura und begann 2001 ein Studium am Theologischen Seminar der ELKRAS in Moskau das er 2005 beendete. Seine erste Pfarrstelle übernahm er 2005 in der Salzburger Kirche in Gusev (Gumbinnen) in der Kaliningrader Propstei im ehemaligen Ostpreußen, wo dank des großen Zuzugs von Russlanddeutschen aus Zentralasien die größte Dichte von lutherischen Gemeinden in ganz Russland besteht. Von Gumbinnen aus betreute Pastor Brauer acht Gemeinden. Von dort aus war er auch häufig in Deutschland, unter anderem zu einer längeren Fortbildung für kirchliche Leiter am Studienseminar Pullach in Bayern.
Seit 2011 war Brauer bereits Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche im europäischen Russland (ELKER) und damit mit 28 Jahren einer der jüngsten Bischöfe einer lutherischen Kirche. Das Amt des Erzbischofs der ELKR besitzt einen eher repräsentativen Charakter.
Auch für das ökumenische Gespräch mit der Russisch-Orthodoxen Kirche ist das Amt wichtig. Gerade in der Ökumene hat sich Bischof Brauer viel Vertrauen erarbeitet und genießt als russischer Staatsbürger eine größere Akzeptanz als seine bundesdeutschen Vorgänger. Die ELKR vertritt ca. 30.000 Gemeindeglieder in 214 registrierten und nichtregistrierten Gemeinden und Gemeindegruppen, zusammengefasst in 20 Propsteien zwischen Kaliningrad/Königsberg im Westen und Wladiwostok im Osten Russlands.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Russland, der Brauer nun als Erzbischof vorsteht, vertritt zwei Teilkirchen gegenüber dem russischen Staat: die Evangelisch-Lutherische Kirche Europäisches Russland (ELKER) sowie die Evangelisch-Lutherische Kirche Ural, Sibirien und Ferner Osten. (ELKUSFO).
Einheit der Lutheraner könnte durch den Ukrainekonflikt zerfallen Bereits seit dem 16. Jahrhundert entstanden die ersten lutherischen Gemeinden auf russischem Boden, vor allem vom Baltikum aus, das bereits sehr früh die Reformation übernahm. Mit der großen Einwanderung von Russlanddeutschen unter Katharina der Großen im 18. Jahrhundert dominierten die Russlanddeutschen den russischen Protestantismus. 1832 wurden die Rechte der lutherischen Kirche in einem Statut festgelegt, mehr als 2 Mio bekannten sich damals zum Luthertum in Russland. Doch mit dem Untergang des Zarenreiches und infolge der Sowjetischen Revolution wurde die Kirche bis Ende der 1930er Jahre in den Untergrund gedrängt und konnte nur im Baltikum überleben. Wiedergegründet wurde die Evangelisch-Lutherische Kirche Europäisches Russland erst 1992 von dem Letten Harald Kalnins.
Die ELKRAS ist längst keine deutsche Kirche mehr, wie zu Anfangszeiten. Sie wandelt sich, neue Gemeindemitglieder verschiedener ethnischer Herkunft müssen integriert werden. Dietrich Brauer hatte in den letzten drei Jahren keine einfache Aufgabe, diese kleine Kirche in einem Riesengebiet zusammenzuhalten – nicht nur territorial, sondern auch geistig. Der Konflikt um die Ukraine wird die nächste Belastungsprobe. Die lutherische Kirche in Russland hat das Referendum auf der Krim akzeptiert, aber bislang noch nichts unternommen, um die lutherischen Gemeinden auf der Krim aufzunehmen. Aber die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Russen und Ukrainern wird auch in den lutherischen Gemeinden mit großer Bitternis zur Kenntnis genommen. Die Zukunft des lutherischen Kirchenbundes ELKRAS, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland, in der Ukraine, in Kasachstan und Mittelasien, ist ungewiss. In Kiew, wo die lutherische Kirche in Sichtweise des Präsidentenpalastes liegt, haben Mitglieder der Gemeinde den Opfern des Euro-Maidan Erste Hilfe geleistet, während Russlanddeutsche in Russland, wie Gazprom Chef Eugen Miller oder Sberbankchef Gref zum engsten Machtapparat von Präsident Putin gehören.