Es ist ein Trip, der uns noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Zehn Tage lang reisten wir durch eines der abgeschottetsten Länder der Welt. Immer mit dabei: das Gefühl, nie unbeobachtet zu sein.
Mehrere Monate hatten wir die Reise vorbereitet, Ziele ausgesucht, Angebote verglichen. Dann die erste Ernüchterung: Trotz des turkmenischen Reiseveranstalters lehnten es die Behörden ab, das für ein Visum notwendige Einladungsschreiben auszustellen. Die turkmenischen Behörden haben es nicht gerne, wenn Journalisten, Politologen oder Menschenrechtsaktivisten kommen wollen. Doch das Land braucht dringend Devisen. Was auch immer die Agentur gemacht hat: Im zweiten Anlauf klappt es jedenfalls mit der Einladung.
Der Präsident grüßt
Aufregung macht sich breit: Was mitnehmen? Sind Kameras erlaubt? Werden Laptops oder Telefone auf verdächtige Aufnahmen oder Notizen durchsucht? Wie wird das Wetter? Es soll viel regnen in diesem Frühjahr. Mangels Zeit wird erst am Abreisetag alles zügig in die Koffer geschmissen. Hoffentlich haben wir nichts vergessen. So gar nicht deutsch kommen wir zu spät am Flughafen an, der Check-in ist bereits geschlossen. Doch mit ein bisschen Kasachisch lässt sich die Frau am Schalter doch noch dazu erwärmen, uns einzuchecken und das Gepäck aufzunehmen. Am Ende wünscht sie uns sogar auf Deutsch eine gute Reise.
Schon beim Einstieg in das Flugzeug der nationalen Fluggesellschaft „Turkmenistan Airlines“ grüßt einen das Porträt von Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow, der eine Mütze aus zotteligem Schaffell trägt. Es soll nicht das letzte Bild bleiben, dass wir von ihm sehen werden. Am Flughafen in Aschgabat – es soll übrigens das größte vogelförmige Gebäude der Welt sein – begrüßt uns Nick. Er wird für die nächsten Tage unser Reiseleiter sein. Dabei hatten wir die Tour eigentlich ohne Guide gebucht. Nick ist ethnischer Russe, 20 Jahre alt und hat ein High-School-Jahr in den USA absolviert. Schon auf dem Weg in die Stadt erschlägt er uns mit historischen Fakten und Erläuterungen zu Gebäuden und Denkmälern. Auf der Straße zum Flughafen befindet sich der größte Springbrunnenkomplex der Welt: 27 Springbrunnen auf 15 Hektar, die die Legende von Oguz Khan und seinen sechs Söhnen darstellen. Ansonsten wirken die Straßen recht verwaist.
Wohnen im Hochzeitspalast
Turkmenistan schafft es selten in westliche Medien – und wenn, dann nur aufgrund der vielen Absurditäten. Im Januar 2018 machte die Nachricht die Runde, dass Autos mit dunkler Farbe verboten worden seien. Und tatsächlich fällt auf, dass auf den Straßen der Hauptstadt ausschließlich Fahrzeuge mit heller Farbe unterwegs sind. „Der Präsident will, dass Aschgabat die weißeste Hauptstadt der Welt wird“, erklärt Nick. Als Stadt mit der weltweit größten Dichte an weißen Marmorgebäuden hat sie es bereits in das Buch der Weltrekorde geschafft. „Elitkas“ werden diese steril wirkenden, 12-geschossigen Häuser uas Marmor genannt, sind jedoch auch für das gemeine Volk gedacht, wie uns mehrfach erzählt wird. In Turkmenistan liegt das monatliche Durchschnittseinkommen bei etwa 100 US-Dollar. Günstige Kredite sollen dafür sorgen, dass sich auch weniger Gutverdienende eine Elitewohnung leisten können.
Unser Hotel ist auf einem Hügel gelegen, weit weg von jeglichen Wohnhäusern – wie eigentlich fast jedes Hotel in Aschgabat, in dem Ausländer untergebracht sind. „Bagt Köshgi“ heißt es und ist eigentlich der „Hochzeitspalast“. So können wir schon direkt bei der Ankunft eine turkmenische Hochzeit sehen. Immerhin gibt es W-Lan in unserem Zimmer. Dass soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter und Messenger wie Whatsapp nicht funktionieren würden, war uns schon vorher bekannt. Doch selbst eine E-Mail zu verschicken, gestaltet sich plötzlich als schwierig. Viele Nachrichtenseiten sind gesperrt. Die zuvor extra heruntergeladenen VPN-Clients zum Umgehen blockierter Seiten und Dienste funktionieren auch nicht. Im Januar hat die turkmenische Regierung aktiv begonnen, gegen VPN-Verbindungen vorzugehen. Nichtsdestotrotz sollen wir in den kommenden Tagen noch einige Menschen treffen, die Wege ins freie Internet gefunden haben und sogar Geschäfte über Instagram abwickeln.
Bewegung fördert die Gesundheit
Am nächsten Tag steht eine Stadtführung auf dem Programm. Erster Stop: die Ertogul-Gazi-Moschee. Sie war 1998 ein Geschenk der Türkei und soll eine Nachbildung der Blauen Moschee in Istanbul sein. Die vier Minarette sind 63 Meter hoch und stehen für das Lebensalter des Propheten Mohammed. Die 40 Meter hohe Kuppel symbolisiert wiederum das Alter, in dem Mohammed mit seinen Prophezeiungen begonnen haben soll. 5000 Menschen finden in der Moschee Platz.
90 Prozent der Bevölkerung bekennen sich zum Islam, neun Prozent sind russisch-orthodox. In dem Sechs-Millionen-Einwohner-Land sind etwa 77 Prozent ethnische Turkmenen. Neun Prozent macht die usbekische Minderheit aus, die im Norden an der Grenze zu Usbekistan lebt. Der Rest sind Russen, Armenier, Tartaren, Deutsche oder Koreaner, um nur einige zu nennen. Denn ebenso wie die anderen Staaten Zentralasiens war auch Turkmenistan in der Sowjetunion Zielort für Stalins Deportationen. Vor allem die russische Minderheit verschwindet seit der Unabhängigkeit 1991 aus dem Land – je nach Quelle ist sie von 13 auf mittlerweile nur noch sechs Prozent gesunken.
Am Neutralitätsdenkmal erleben wir die nächste Hochzeit: ganz traditionell trägt die Braut, deren Gesicht durch einen schweren Schleier verdeckt ist, ein rotes Kleid und viel Schmuck. Etwa 25 Kilogramm soll er schwer sein. Während der Bräutigam im Anzug gerade steht, läuft sie in gebückter Haltung hinterher. Im Park um das Denkmal treffen wir auf eine Gruppe Angestellte, die gerade einen Betriebsausflug macht. „Es ist Tag der Gesundheit“, erklärt einer von ihnen. Das heißt, Bewegung ist angesagt: Fahrrad fahren, laufen oder inline skaten. Da es Samstag ist, klingt es irgendwie nach Subbotnik.
Ein besonderes Erbe
Das Neutralitätsdenkmal ist vor allem deshalb bekannt geworden, weil sich auf der Spitze eine goldene Statue des ersten Präsidenten befindet, die sich mit der Sonne dreht. Nach dem Tod von Saparmurad Nijasow im Jahr 2006 wurde das Denkmal jedoch aus dem Stadtzentrum entfernt und drei Kilometer weiter wiederaufgebaut. 95 Meter hoch ist der dreifüßige Turm, denn 1995 wurde Turkmenistan von den Vereinten Nationen offiziell als „neutrales“ Land anerkannt. In der Praxis bedeutet Neutralität jedoch eher Isolation. Das Land ist in wenigen internationalen Organisationen Mitglied und hat nur mit wenigen Ländern diplomatische Beziehungen aufgebaut.
Abgesehen von dem politischen Erbe Nijasows, ist dieser vor allem wegen seines extremen Personenkults in die Geschichtsbücher eingegangen. Sein Buch „Ruchnama – Reflektionen über die spirituellen Werte der Turkmenen“ wurde zur Pflichtlektüre. Kein Studienabschluss, kein Führerschein ohne aus der „Ruchnama“ zu zitieren. 2005 ließ er ein Exemplar ins Weltall befördern, dort kreist es, an einem russischen Satelliten befestigt, bis heute um die Erde. Ausländische Firmen, die in Turkmenistan Geschäfte machen wollten, mussten das Werk in ihre jeweilige Landessprache übersetzen. So kommt es, dass es Übersetzungen in 40 Sprachen gibt. Die deutsche Version des ersten Bandes stammt übrigens von DaimlerChrysler, die des zweiten Bandes von Siemens und Zeppelin. Dem Buch wurde auch ein riesiges Denkmal in Aschgabat gesetzt: in Rosa und Grün gibt es eine Nachbildung, die sich früher öffnen ließ. Auf einem Monitor wurden dann wichtige Ereignisse aus der turkmenischen Geschichte nach 1991 gezeigt. 2006 starb der erste Präsident. Nijasows Nachfolger wurde sein Leibarzt Gurbanguly Berdimuhamedow, der das Land nicht weniger autoritär regiert.
Ein Rekord folgt auf den nächsten
Ansonsten hat Aschgabat einiges an Kuriositäten zu bieten: Im Teppichmuseum ist der weltweit größte handgeknüpfte Teppich ausgestellt, die Fernsehstation ist das größte Gebäude in Sternenform und das größte Indoor-Riesenrad steht auch hier. Die Verehrung für Pferde, die anders als sonst in Zentralasien, hier nicht gegessen werden, geht so weit, dass auch die größte goldene Reiterstatue in Turkmenistans Hauptstadt zu finden ist. Bis 2010 stand hier mit 133 Metern zudem der höchste Flaggenmast der Welt.
1948 zerstörte ein Erdbeben mehr als 90 Prozent der Stadt. Nach offiziellen Angaben starben 14.000 Menschen, andere Quellen gehen von mehr als 100.000 Toten aus. Aschgabat wurde in den 50er Jahren von der Sowjetführung komplett neu aufgebaut. Daran erinnern vor allem die breiten Straßen und Prospekte in der Stadt. Ansonsten muss das sowjetische architektonische Erbe nach und nach den „Elitkas“ und anderen vermeintlich schickeren Gebäuden weichen.
Am Abend treffen wir einige Deutsche, die in Aschgabat leben. Sie geben uns den Rat, bloß nicht zu offen zu reden, immer zu schauen, wer gerade in der Nähe ist und bei „kritischen“ Themen das Telefon nicht auf dem Tisch liegen zu haben. Wir ahnen: Die kommenden Tage werden nicht einfach.