Ja, die Sache mit den Filmen und der Realität. Wie immer wieder bemerkt – die Realität sieht anders aus. In den Filmen sind diejenigen, die unglücklich verliebt sind, die Helden. Da ist es dann ganz romantisch, so tiefe Gefühle zu hegen und jahre- wenn nicht gar jahrzehntelang zu leiden. Allzu leicht vergisst man, dass das im Zeitraffertempo geschieht und das Leiden maximal 80 von 90 Filmminuten in Anspruch nimmt, weil sich die Liebenden spätestens 10 Minuten vor Filmschluss dann doch noch kriegen.
In der Realität der unsäglichen Liebesqualen sind wirklich erlebte Minuten, Stunden, Tage, Wochen und Monate kaum auszuhalten. Und in der Wirklichkeit kommt man sich nicht vor wie ein Held, sondern wie der letzte Idiot, weil man jemandem hinterher rennt, der einen gar nicht will. Wir beschmunzeln liebevoll die Damen, die vor lauter Liebeskummer tränenkullernd Eis aus Riesenpackungen essen, nachts nicht schlafen können und sonst was veranstalten, weil sie nicht wissen, wohin mit ihrem Gram beziehungsweise ihrer Leidenschaft. In der Realität fühlt sich das einfach nur Scheiße an, wenn man in dem viel zu großen Bett, in dem der Angebetete fehlt, schlaflos rumliegt.
Als Kinopublikum hat alle Welt größte Nachsicht und Mitleid mit den unglücklich verliebten Leinwandhelden, na gut, 80 Minuten lang Verständnisaufbringen kann man jedem abverlangen. In der nicht vergehen wollenden Realzeit sparen die meisten aber an Mitgefühl. Spätestens nach drei Monaten ohne Fortschritte wird man ermahnt, das Theater und Drama nun endlich zu beenden, sich „einfach“ anderweitig umzusehen. Nach weiteren zwei Monaten, in denen man immer noch nicht von dem Geliebten lassen kann, wird einem krankhaftes, komplexbeladenes Anhaften unterstellt, alte Muster aus der Kindheit, Vaterkomplex und ähnliche Klassiker. Ab zum Psychiater! Auch in psychologischen Fachzeitschriften kann man sich anlesen, dass man nicht ganz normal ist, wenn man zu lange zu sehr liebt.
Also ehrlich! Als wäre das beliebig austauschbar, wen man liebt oder als wären wir im Kindergarten: „Liebt er mich nicht, lieb ich ihn auch nicht mehr.“ Shakespeare hätte für so treue, tiefe Gefühle Verständnis gehabt. Aber in der Filmwelt sind es natürlich immer höchst tragische Umstände, die das Nicht-in-die-Puschen-Kommen des Prinzenanwärters verhindern, und seien es nur strenge Eltern, die Zwänge der Zeit oder… In der Realität heißt das: Wenn er dich wirklich will, dann kommt er auch. Und dann bekommt man gut gemeinte Tipps, die da lauten: Mach ihn eifersüchtig, mach dich rar, damit er merkt, was er an dir hat usw.
Ja, schon. Da ist was Wahres dran, hier decken sich auch Realität und Filmwelt; einzig der Unterschied: In der Filmwelt tauchen die Eifersuchtsmacher wie von selbst auf, während man das im richtigen Leben – und damit verkehrt sich die Situation ins Paradoxe – inszenieren muss und schauspielern, dass man schwer zu haben sei und sich tausend andere Prinzen um einen scharen würden. Und eigentlich will ich auch gar nicht gejagt werden, also bitte, ich bin doch kein Reh! Es fluppt oder es fluppt nicht. Und wenn es nicht fluppt, bleibt man halt ohne Schirm im Regen stehen und der holde Prinz kommt NICHT, um schützend seinen Regenmantel um einen zu legen, sondern man landet am Ende mit Schnupfen im leeren Bett, und niemand ist da, der einem die Taschentücher reicht.
In so einer Situation ist es dann gut, dass man zum Troste wenigstens noch Liebesfilme mit Happy End gucken kann. Denn seien wir ehrlich, Dokumentarfilme mit Realanspruch sind da wenig geeignet.
Julia Siebert
12/12/08