Der Bauboom in Almaty hält unvermindert an, und nach und nach wechselt die Stadt an markanten Punkten ihr Gesicht. Doch was genau sind die Entwicklungen der letzten Jahre in der Architektur Kasachstans? Und wie sieht Almaty in 20 Jahren aus? Über diese und andere Fragen sprach die DAZ mit dem Präsidenten des Architektenverbandes der Republik Kasachstan, Prof. Akmursa Rustembekow
DAZ: Herr Rustembekow, nach welchen Leitlinien wird heutzutage architektonisch geplant?
Prof. Akmursa Rustembekow: Das Leben hat sich sehr verändert. Bestimmte Normen in der Architektur gibt es nicht mehr. Wir sehen die Rolle der Architektur und des Designs daher inzwischen ganz anders. Sie richten sich nach den Wünschen und Vorstellungen der privaten Investoren, aber selbstverständlich geben uns auch staatliche Investoren Richtlinien vor.
DAZ: Kann man denn einfach drauflos bauen, wenn es nur an finanziellen Mitteln nicht fehlt?
Rustembekow: Eine Stadt kann sich nicht chaotisch entwickeln. Vor sieben bis acht Jahren wuchsen Baustellen noch wie Pilze aus dem Boden. Damals wollten Geschäftsleute auf die schnelle Tour Geld verdienen. Die Folge davon waren unzählige „Tante-Emma-Läden“ und Kioske in Parterren der Häuser. Erstens verlieh das vielen Straßen einen hässlichen Look. Und zweitens wurden vielerorts bauliche Vorschriften nicht eingehalten; besonders in alten Gebäuden führte das zu Unfällen. Inzwischen ist das anders: die Lokalbehörden haben einen Entwicklungsplan für Bauarbeiten erstellt.
DAZ: Warum unterscheiden sich die Anforderungen einer gegenwartsbezogenen Architektur so sehr von denen vergangener Zeiten?
Rustembekow: Heute haben wir vor allem das Problem, unser System architektonischer Projektierungsmethoden und technischer Daten mit den neuen Baumaterialen, die wir vor zehn bis 13 Jahren noch gar nicht hatten, abzustimmen. Dabei handelt es sich um neue Scheiben, Glas- und Metallmischungen aus moderneren Chemiefasern, deren technische Eigenschaften die neue Architektur entscheidend mitbestimmen. Die alten Baunormen bezüglich Umweltfreundlichkeit und Erdbebensicherheit bleiben aber erhalten und werden an die moderneren Bauentwürfe und Modelle angepasst.
DAZ: Wie haben sich die Wünsche der Auftraggeber entwickelt?
Prof. Rustembekow: Die Bauplatten aus sowjetischen Zeiten sind alt geworden. Ins moderne Leben passen sie nicht mehr. Das gilt auch für die Baunormen: kleine Küchen und Wohnungen sind nicht mehr gefragt. Die Konsumenten haben andere Bedürfnisse, so, wie es die freie Marktwirtschaft verlangt und anbietet.
DAZ: Und deswegen ist besonders ein eklektizistischer Stil in der Architektur en vogue geworden?
Rustembekow: Der Bedarf nach neuen Bauflächen ist sehr groß, aber mehr Architektur bedeutet nicht unbedingt auch gute Architektur. Durch den Nachfragedruck kommt es zur „Vielfältigkeit“, der Mixtur verschiedener Stile. Zweifellos befindet sich die Architektur momentan in einer Entwicklungsphase. Sie ist bestimmt von der Suche nach etwas Neuem. Das zeigen die neuen Gebäude in Astana und in Almaty, die ich für sehr gelungen halte. Aber einen konsequenten, eigenen Stil in den Stadtteilen gibt es noch nicht. Andererseits kann man ja auch nicht behaupten, Almaty sei eine typisch kasachische Stadt. Ein wenig Eklektik ist meiner Meinung daher gewiss nicht fehl am Platze.
DAZ: Sie wollen also Almaty als ausnahmslos moderne Stadt – ohne den alten Flair und Stil?
Rustembekow: Moderne Häuser sind doch einfach schöner anzusehen als Plattenbauten der 40er und 50er Jahre. Dabei steht ja gar nicht zu befürchten, dass Almaty seinen Charakter verliert. Doch die neue Gestalt der Stadt wird heute geprägt. Nurly-Tau oder andere neue Wolkenkratzer verleihen ihr schon jetzt neue Seiten. Und in paar Jahren werden wir nicht mehr das Hotel Kasachstan, diese architektonisch zweifellos bedeutsame Leistung, Symbol der Stadt nennen, sondern Architekturensembles ganz anderer Art. Die Kultivierung einer individuellen Architektur bedeutet keinen Kahlschlag, die vom Alten nichts übrig lässt. Aber das Leben geht weiter und mit ihm die Architektur.
DAZ: Welche Architektur-Projekte würden Sie als Symbol der neuen Zeit auszeichnen?
Rustembekow: Zuerst das Ensemble Nurly-Tau an der AlFarabi, ein Wohnkomplex mit modernsten Baumaterialen, farblich sehr gewählt, Musterbeispiel für ein modernes Projekt, in dem alles aufeinander abgestimmt ist: Wohnfläche, Tiefgaragen, Einkaufs- und Erholungsmöglichkeiten, Dienstleistungsanbieter etc. Oder das Ensemble „Baiterek“ mit 35 Stockwerken in Astana, das als eines der besten Architekturprojekte ausgezeichnet wurde.
DAZ: Was ist derzeit besonders in der Innenarchitektur gefragt?
Rustembekow: Vor allem Komfort. Es geht nicht nur um Wohnungen oder Büros, sondern auch um Cafés, Einkaufszentren und Restaurants. Überall ist ein schöneres Ambiente gefragt, das gleichzeitig praktisch ist.
DAZ: Kommen wir auf die Bausicherheit zu sprechen. Wie wird die Erdbebengefahr einbezogen in die Architektur der Region?
Rustembekow: Erdbeben und Architektur ist ein wichtiges Thema nicht nur für Almaty, sondern weltweit. Es ist durchaus möglich, auch in erdbebengefährdeten Zonen Bauwerke zu errichten – es kommt dabei auf die richtige Konstruktionsart an. Und auf die gute Arbeit der Bauaufsichtsgremien.
DAZ: Welche Kompetenz steht solchen Gremien zu?
Rustembekow: Für einen Bau braucht man Lizenzen. Die Behörden von Almaty achten immer mehr auf die Kontrolle über sämtliche Bauarbeiten. Seit 2002 ist die Kontrolle strenger geworden.
DAZ: Aber werden die Architekturprojekte selbst auf Sicherheit geprüft? Heute entscheiden oft nicht mehr Fachleute über ein Architekturprojekt, sondern Menschen, die ihre Kompetenzen überschreiten…
Rustembekow: Das stimmt leider. Inzwischen gibt es eine Abteilung in der Stadtverwaltung für staatliche Architekturkontrolle, Autorenaufsicht und Begutachtung. Die Architekten sollten nicht nur in der Planung des Projektes involviert sein, sondern auch in der Betreuung ihrer Bauwerke. Aber oft geschieht das nicht. Dies muss geändert werden.
DAZ: Was wird es in Almaty ganz Neues geben?
Rustembekow: Es sind neue Bauobjekte, die mit Transport zu tun haben und umfangreiche Investitionen benötigen – eine längerfristige Aufgabe für die Behörden. Wir brauchen eine U-Bahn oder auch eine Magnetschwebebahn, ein japanisches Projekt, das schon 1980 in Plänen von Alma Ata eine Rolle gespielt hat. Außerdem hat Almaty ein gewichtiges Parkplatzproblem. Nicht nur hier und in Astana, sondern auch in Schymkent und anderen großen Städten sind für Kasachstan ganz neue Parkhäuser vorgesehen.
Das Gespräch führte Aigul Zhilkishina