Prof. Dr. Bodo Lochmann erklärt die Hintergründe zum „Schwarzen Dienstag“: Warum in der kasachischen Nationalbank die Devisenreserven schrumpfen, welche Chancen die Tenge-Abwertung für die einheimische Wirtschaft in sich birgt und welche eigentlichen wirtschaftlichen Probleme hinter der plötzlichen Abwertung des Tenge stecken.
„Schwarzer Dienstag“, so wird in vielen hiesigen Zeitungen der Tag der großen Abwertung der Tenge-Währung betitelt. Die Empörung im Volk ist groß und verständlich. Wirtschaft ist nun mal nicht nur etwas Rationales, sondern immer auch mit Emotionen verbunden, die man im Kontext der allgemeinen Politikprozesse hierzulande verstehen kann. Das Unwissen über diesen Prozess ist allerdings nicht verständlich, zumindest dann, wenn „die Amerikaner“ dafür verantwortlich gemacht werden.
Was also steckt hinter der Abwertung? Es sei zuerst daran erinnert, des 1993 der Tenge mit einem Wechselkurs von 1 Dollar zu 5 Tenge startete. Bis heute wurde die kasachische Nationalwährung schon drei mal sprunghaft abgewertet. Dies ist aus Sicht der Währung also eher der Normalprozess.
Angebot und Nachfrage von Devisen
Dabei versucht der Staat in Gestalt der Nationalbank oft, die Wechselkurse in einer bestimmten Schwankungsbreite zu stabilisieren. Dazu kauft die Nationalbank dann, wenn das Angebot an Devisen die Nachfrage übersteigt, die momentan nicht nachgefragten Devisen gegen nationale Währung auf und baut so Reserven auf. Ist umgekehrt die Nachfrage nach Devisen zeitweilig größer als das Angebot, verkauft die Nationalbank aus ihren Reserven Devisen, um das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage und damit einen stabilen Wechselkurs zu sichern.
Die Folge ist jedoch, das sich die Devisenreserven verringern, was nicht endlos gehen kann. In letzter Zeit hat diese Operation zur Stützung des Kurses des Tenge zum Dollar im Bereich von 155 Tenge viele Devisen gekostet. Allein im Januar 2014 musste die Nationalbank dafür über zwei Milliarden Dollar aus ihren Reserven verkaufen. Da die Dollarnachfrage schon einige Zeit das aus den Exporterlösen stammende Dollarangebot übersteigt und die Nationalbank den Ehrgeiz hatte, den Wechselkurs stabil zu halten, sind die Devisenreserven der Nationalbank deutlich geschrumpft.
Das Devisenangebot wird vorwiegend von den Exporteuren erwirtschaftet, die ihre Ware im Ausland verkaufen und dafür Devisen einnehmen, zu Hause aber die nationale Währung brauchen. Die Nachfrage nach Devisen geht vor allem von den Importeuren, die zum Bezahlen der Importwaren nicht die nationale Währung, sondern Devisen brauchen.
Der Export von Waren und Dienstleistungen ist für alle Länder die zentrale Quelle für den Zufluss von Devisen. Um aber exportieren zu können, braucht man Produkte, die auf den Exportmärkten wettbewerbsfähig sind. Für Kasachstan sind das im Moment fast nur Rohstoffe.
Wie ist die Lage der Wirtschaft?
Die außenwirtschaftlichen Prozesse Kasachstans, die die Basis der Wechselkursveränderungen bilden, haben sich in den letzten 15 Monaten deutlich verschlechtert. Zwar wird nach wie vor ein deutlicher Export-
überschuss erwirtschaftet. Dieser liegt im Jahr 2013 bei 25 Mrd. Dollar. Das sind aber 12 Mrd. weniger als im Vorjahr. Da in 2013 die Dienstleistungsbilanz, also Export und Import von Dienstleistungen mit etwa 8 Mrd. Dollar im Minus war, bleiben vom Waren-Export-überschuss zudem nur noch 17 Mrd. übrig. Dieses Geld wurde wiederum fast vollständig für den Ausgleich der negativen Kapitalbewegungsbilanz, einschließlich illegaler Devisentransfers ins Ausland benötigt.
Insgesamt hat Kasachstan in 2013 aus allen Außenwirtschaftbeziehungen kaum noch einen Überschuss erwirtschaftet, in 2012 jedoch noch einen beträchtlichen. Da mittel- und langfristig von eher sinkenden Ölpreisen als zentraler Deviseneinnahmequelle Kasachstans ausgegangen wird und sich auch die geplante Ölförderung aus dem Kaschaganfeld verzögert, sind die Aussichten für einen stabilen heimischen Devisenmarkt nicht allzu rosig. Eine Abwertung lag in der Luft und wurde in Expertenkreisen bereits seit einiger Zeit diskutiert; sie wurde jedoch überwiegend eher in Form eines allmählichen Prozesses erwartet.
Kasachstan – Abwertungsspitzenreiter
Ein zusätzlicher, aber operativ vielleicht entscheidender Faktor für den Abwertungsbeschluss war die deutliche Abwertung des russischen Rubels, der seit einiger Zeit nicht mehr von der Zentrobank Russlands gestützt wird.
Um im Rahmen der Zollunion keine Nachteile für kasachstanische Exportwaren zuzulassen, musste Kasachstan hier nachziehen. Auch eine ganze Reihe anderer Schwellenländer mussten in den letzten Monaten zum Instrument der Abwertung greifen, um die eigene Wirtschaft funktionsfähig zu halten. So hat seit Jahresanfang der russische Rubel um etwa acht Prozent, die ukrainische Griwna um elf Prozent, der ungarische Forint und der kirgisische Som um fünf Prozent abgewertet. Die etwa 20 Prozent Abwertung des Tenge sind in dem Kreis der GUS-Staaten jedoch Spitze.
Jedenfalls ist die Abwertung in Kasachstan vor allem als Maßnahme zur Unterstützung der heimischen Produzenten, vor allem der Exporteure gedacht. Die Exporteure bekommen jetzt für ihre im Ausland verkauften Waren mehr Tenge, weil der Dollarpreis dort gleich bleibt. Sie können nun die Exportpreise in Dollar verringern, um ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit auf den Außenmärkten zu erhöhen. Im Inland verbreitert sich die Basis für die Steuererhebung, was den Staat freut. Zugleich haben die Exporteure mehr eigene Mittel für Investitionen.
Chance für Binnenmarkt
Da Importwaren in Tenge wiederum nicht in Dollar teurer werden, soll und wird zumindest teilweise die Nachfrage nach ihnen sinken, was die Absatzchancen heimischer Produkte erhöhen kann, wenn diese den Anforderungen der Kunden entsprechen.
Hat jemand Devisenkredite zurückzuzahlen, muss er mehr Tenge erwirtschaften, was für eine Reihe von Unternehmen, einschließlich einiger Geschäftsbanken problematisch werden wird.
Da die Preise für Importwaren in Tenge steigen, wird die so schon nicht geringe Inflation weiter angeheizt. Hierin besteht das soziale Hauptproblem der Abwertung, welches insbesondere die Bezieher von Transferleistungen (Renten, Stipendien, Sozialleistungen) betreffen wird.
Probleme noch nicht gelöst
Die erfolgte Abwertung um 20 Prozent ist natürlich ein sehr großer Schritt, der infolge seiner Deftigkeit für erhebliche Unruhe sorgen musste. Momentan wären vielleicht acht bis zehn Prozent Abwertung ausreichend gewesen, doch die Entscheider meinten wohl, dass es politisch besser sei, gleich einen großen Schritt mit Vorlauf zu tun. Schließlich sind die wirtschaftlichen Grundprobleme, die zur stetigen und manchmal sprunghaften Abwertung führen müssen, nicht gelöst.
Zu diesen Ursachen gehört die im Vergleich zu den Devisenherkunftsländern hohe Inflation in Kasachstan, die die Wechselkursrelationen de facto automatisch verändern muss. Vor allem aber sind die Fragen des Erreichens einer ausreichenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit kasachstanischer Waren nicht gelöst.
Die Abwertung ist international ein durchaus übliches Instrument zur Verbesserung der preislichen, nicht jedoch der nichtpreislichen Wettbewerbsfähigkeit. Sie kann letztlich nur etwas Zeit zur Lösung der inneren Strukturprobleme schaffen, also die Wirtschaft in unzureichender nichtpreislicher Wettbewerbsfähigkeit manifestieren. Das aber auch nur, wenn die Konkurrenzländer nicht den gleichen Schritt tun. Wird dieses Zeitfenster von höchstens fünf Jahren nicht genutzt, wird das Thema einer sprunghaften Abwertung wieder die Gemüter beschäftigen.