Wirklich ernst. Und so lange ich auch suche – ich kann kaum etwas Amüsantes daran finden, so lange keine Lösungen gefunden sind. Und die sind nicht in Sicht.
Es geht um Geringqualifizierte in Deutschland. Ob diese auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine Chance haben, lautete die Fragestellung eines Fachgesprächs, an dem ich teilnahm.
Die Ausgangsbedingung: Es gibt nicht genug Arbeit für alle. Gut, das ist weder eine Neuigkeit, noch überraschend. Denn nur sozialistische Modelle sorgen dafür, dass jeder was zu tun hat. Aber hier geht es um sinnvolle Beschäftigungen. Gehen wir einen Schritt weiter: Es gibt immer weniger Arbeit. Auch das ist nicht neu (Die Stichworte hierzu lauten: Industrialisierung, Rationalisierung, Globalisierung usw.). Dritter Punkt: Wir haben einen Rückgang des produzierenden Gewerbes und einen Anstieg des Dienstleistungssektors. Ja, auch nicht erst seit gestern. Jedoch – langsam nähern wir uns dem springenden Punkt – hiermit verbunden sind höhere Anforderungen an die Arbeitnehmer. Und damit kommen wir endlich wieder zum Thema zurück. Der Anteil der Jobs, für die eine geringe oder gar keine Qualifikation ausreicht, nimmt drastisch ab. Zwar bleiben „einfache“ Jobs grundsätzlich erhalten, denn schließlich wird ja immer überall geputzt. Aber – und hier kommt die wirklich schlechte Nachricht – in vielen Arbeitsbereichen verlangen die Arbeitgeber immer höhere Qualifikationen. Auch in nicht besonders anspruchsvollen Tätigkeiten werden Ausbildungen gern gesehen. Und jetzt kommt der Dolchstoß für die Geringqualifizierten. Es gibt in Deutschland genug ausgebildete Fachkräfte, die solch einfache Tätigkeiten annehmen müssen. Damit wollen wir nicht ins Jammerhorn blasen, denn in anderen Ländern ist es längst Realität, dass Akademiker nicht akademisch arbeiten, sondern als Museumswächter oder Kontrolleure in Bahn und Bus. Ein kurzer Blick gen Russland genügt. Da aber immer mehr ausgebildete Menschen in Deutschland bereit sind, andere Tätigkeiten als die erlernten zu verrichten, findet zwangsläufig eine Verdrängung statt. Denn nicht alle sind ausgebildet, und was sollen diese dann tun? Und selbst, wenn sie ausgebildet wären, mehr Arbeit gäbe es trotzdem nicht. Aber Achtung, es kommt noch schlimmer – die Arbeit in Teilzeit und geförderte Beschäftigungsmodelle auf geringfügiger Basis nehmen zu. Das heißt, wer einen Vollzeitjob mit geringen Anforderungen sucht, von dem er sich und seine Familie ernähren kann, wird kaum etwas finden. Na gut, könnte man noch sagen, in anderen Ländern haben die Leute auch mehrere Jobs, in Russland wie in den USA. Aber in Deutschland lohnt sich wegen des Steuersystems schon der zweite Job nicht mehr, von dem Verdienst bleibt schlicht nichts übrig. Und jetzt lässt es sich wirklich nicht mehr verleugnen – die eigentlichen Verlierer in dem ganzen Desaster sind die Menschen mit Migrationshintergrund. Denn zu den höheren Anforderungen zählen auch hervorragende Deutschkenntnisse und von vielen wird die Ausbildung nicht anerkannt. Für unsere Freunde in Russland und in vielen anderen Ländern sind solche Zustände normale Lebensrealität. Doch für uns ist das neu. Und darum können wir darüber auch noch nicht lachen. Und eigentlich wollen wir auch gar nicht darüber lachen, auch später nicht, sondern das Problem lösen. Uns fällt nur eines ein: Dass Beschäftigung nicht mehr nur als „Arbeit haben“ verstanden wird, sondern als „Tätigsein“. Denn zu tun gibt es genug, vor allem im gesellschaftlichen Bereich. Ein kleiner Trost, der zarte Hauch einer Lösung. Aber ein noch weiter und mühseliger Weg. Ich sagte doch, dass es diesmal ernst ist.
Von Julia Seibert
06/10/06