Das Treffen von Entscheidungen ist oft keine einfache Sache. Schwierig wird es vor allem dann, wenn es sich um sehr komplexe und langfristig wirkende Dinge handelt.
Hier sollten alle Für und Wider besonders sorgfältig abgewogen und im Zweifelsfalle lieber der Überlegungsprozess noch mal von vorn begonnen werden. Das trifft natürlich auch auf Entscheidungen des Staates zu, denn schließlich werden hier Finanzen der Gemeinschaft und nicht privates Geld eingesetzt.
Erstaunt war ich in dieser Hinsicht kürzlich über eine Notiz einer bekannten hiesigen Tageszeitung, wo es um die Entscheidung zum Bau eines Kernkraftwerkes (KKW) in Kasachstan geht. Der Premierminister verwies darauf, dass Kasachstan über 25 Prozent der Welturanvorräte verfügt und diese folglich genutzt werden müssen. Alle führenden westeuropäischen Länder würden verstärkt auf die Nutzung gerade dieser Technologie zur Energieerzeugung setzen. Im gleichen Atemzug wurde kritisiert, dass noch immer keine technischen und wirtschaftlichen Berechnungen zum Bau des geplanten KKW vorliegen.
Solche Entscheidungen gibt es in der Regierungspraxis Kasachstans sehr viele – leider. Dem liegt ein Denken zugrunde, dass nur von den vorhandenen Ressourcen ausgeht, nicht jedoch von der Wirtschaftlichkeit und den Markterfordernissen. Man kann dieses Denken in die Formel kleiden: „Wir haben viele Hammel, also müssen alle viel Schaschlik essen!“ Richtig ist es jedoch umgedreht: „Weil wir Schaschlik essen wollen, brauchen wir entsprechend viele Hammel!“
Zurück zum geplanten KKW: Zum einen stimmt die Aussage des Regierungschefs ganz einfach nicht, dass „die führenden Länder Westeuropas Kurs auf die Nutzung der Kernenergie genommen“ hätten. Im Moment wird in Westeuropa ein einziges KKW neu gebaut, neue sind keine weiteren geplant. Gegenwärtig sind neue KKW politisch in Westeuropa fast nirgendwo durchsetzbar, zu tief sitzt noch der Schock von Tschernobyl und anderen, weniger spektakulären Unfällen in Kernkraftwerken. Die sich in diesem Jahr häufenden Unfälle in den angeblich so sicheren KKWs des Leichtwassertyps in Schweden und anderen „führenden westeuropäischen Ländern“ haben die kritische Haltung zur Kernenergie eher bestärkt als abgeschwächt. DAS führende Land Westeuropas (Deutschland) hat sogar beschlossen, die Kernenergie künftig nicht mehr einzusetzen und schrittweise die jetzt genutzten KKW stillzulegen. Die Ursachen für diese Verdrehung der Tatsachen durch den Premier kann man nur erahnen. Besonders problematisch aus Sicht der Entscheidungsfindung scheint mir jedoch die Tatsache zu sein, dass überhaupt noch keine technisch-ökonomischen Berechnungen zum Kernkraftwerk, also zum Verhältnis von Aufwand und Nutzen, vorliegen. Wie kann man dann schon eine Entscheidung zum Bau eines solch teuren Objektes treffen? Die Kerntechnik ist nicht nur sehr gefährlich und besonders anspruchsvoll, sie ist auch sehr teuer. 10 bis 15 Mrd. Dollar sind für das geplante Werk locker auszugeben, also bis zu einem Viertel des gesamten aktuellen Bruttoinlandsproduktes Kasachstans. Will man einige vor- und nachgelagerte Prozesse technologisch beherrschen, wird’s noch teurer. Bei solchen finanziellen, sicherheitstechnischen und anderen Dimensionen sollte lieber ein Dutzend Mal sorgfältig gerechnet werden als auch nur einmal vorschnell zu entscheiden. Jetzt soll bis Mitte Dezember 2006 die technisch-ökonomische Untersetzung nachgeliefert werden. Mit großer Sicherheit wird das eher ein Schnellschuss, aber keine ausreichend begründete Berechnung verschiedener Varianten der Deckung des wachsenden Energiebedarfs. Ehrliche und objektive Berechnungen der Möglichkeiten der Deckung des in Kasachstan wachsenden Energiebedarfs würden sehr schnell zeigen, dass ein KKW bei weitem nicht die kostengünstigste, geschweige denn die sicherheitstechnisch vorteilhafteste Variante ist. Das ist mit Sicherheit und mit großem Abstand von allen Varianten der zusätzlichen Energiebereitstellung die Energieeinsparung. Dafür spricht der Fakt, dass die Energieintensität der Produktion hierzulande bis zu viermal höher ist, als in den „führenden westeuropäischen Ländern“, die trotz der bereits erreichten Fortschritte schwerpunktmäßig auf weitere Einsparmaßnahmen setzen. Zudem gibt es mehr als genügend Berechnungen in anderen postsowjetischen Ländern zu dieser Frage, wo man mehr sachorientiert und weniger willkürlich an diese Vergleiche herangegangen ist.
Der Beschluss zum Bau eines KKW in Kasachstan ist offensichtlich ziemlich willkürlich und eher ideologisch als wirtschaftlich fundiert zustande gekommen. Das sollte eigentlich in der Politik nicht üblich sein. Schade ist zudem, dass die Bevölkerung zu alledem schweigt und in der alten Staatsgläubigkeit verharrt.
Bodo Lochmann
15/12/06